Den Martin Luther King Day am 21. Jänner hat Kamala Harris genutzt, um als zweites politisches Schwergewicht nach Elizabeth Warren ihre Kandidatur für die demokratische Nominierung als US-Präsidentin anzukündigen. Harris ist Senatorin aus Kalifornien und damit ein liberaler Superstar, ihre Mutter war Inderin, ihr Vater Jamaikaner. Beide Eltern kommen aus der BürgerInnenrechtsbewegung. Harris hat sich als Generalstaatsanwältin einen Namen gemacht und dabei harte Strafen genauso gefordert, wie eine Kriminaljustizreform zum Ende der Schlechterstellung von Minderheiten im Justiz- und Gefängniswesen.
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Die progressive Agenda ist mehrheitsfähig

Zwei, die mit progressiver Agenda große Erfolge gelandet haben: Bayerns Grünen-Chefin Kahtarina Schulze und der erfolgreichste Demokrat in Texas seit einer Generation, Beto O’Rourke
Der Wiener WU-Professor Michael Meyer ist ein hochdekorierter Forscher in Sachen Nonprofit-Management und ein anerkannter Betriebswirt. In der Deutung der von ihm konstatierten Spaltung der USA angesichts des Ergebnisses der Midterm Elections vom 6. November und der Übertragung seiner Befunde auf europäische Demokratien, kommt er in seinem vielgeteilten Standard-Kommentar, zu einem nach meinem Dafürhalten falschen Schluss. Meyers auf amerikanische ForscherInnen gestützte und auf Europa übertragene These, es wären nicht die ökonomischen Verhältnisse sondern kulturelle Unterschiede, entlang denen sich Gräben auftäten, ist sachlich angesichts der jüngsten Wahlen nicht zu halten. Die US-Wahlen der letzten 15 Jahre wurden im Mittleren Westen entschieden und die WählerInnen dort haben sogar sehr konsistent entlang ökonomisch-materialistischer Kriterien entschieden: Gewählt haben Mehrheiten in den entscheidenden und stark von Autoindustrie und Export abhängigen US-Bundesstaaten – wie Michigan und Pennsylvania – jene, die ihre Kredite gerettet (Obama ’08) und die Autoindustrie staatlich wiederbelebt haben (Obama ’12) sowie jene, die US-jobschädigende Freihandelsabkommen rückzunehmen (Sanders bzw. Trump ’16) und ebenso US-jobschädigende Zollkriege einzustellen (US-DemokratInnen ’18) versprochen haben.
Richtig ist für die USA wie für viele europäische Ländern die Feststellung einer politischen Polarisierung zwischen Stadt und Land: Die US-DemokratInnen haben letzten Dienstag in Städten und Speckgürteln gewonnen, in denen seit 50 Jahren keine Nicht-RepublikanerInnen mehr gewählt wurden und gleichzeitig einige ihrer letzten demokratischen SenatorInnen auf republikanischem Boden verloren. Noch ein Hinweis für die Stadt-Land-Dissonanz: Jüngste deutsche Wahlergebnisse zeigen, dass die rechtsextreme AfD in bayerischen und hessischen Städten kaum ein zweistelliges Ergebnis schafft. Wir kennen gleichzeitig ostdeutsche Landstriche mit 30% und mehr für die AfD, wo die Landflucht dazu führt, dass selbst die wenigen noch vorhandenen Jobs in der öffentlichen Infrastruktur abgebaut werden. Sind die Rechtsextremen dort so stark, weil ihnen die Gleichberechtigung von Frauen, von Homosexuellen und MigrantInnen „keine Freude“ macht, wie Meyer behauptet? Oder doch, weil ihre Regionen ökonomisch sterben und weil die SPD mit grüner Beitragstäterschaft bei Hartz IV den erwerbsarbeitslos gewordenen Menschen mit neoliberalen Arbeitsmarktreformen auch noch ihr Arbeitslosengeld radikal gekürzt hat?
Wichtige Hinweise auf die richtige Antwort für Österreich liefert die qualitative Grundlagenarbeit von Jörg Flecker und Sabine Kirschenhofer unter dem Titel „Die populistische Lücke“ (hier in der Kurzversion zu lesen). Der Abbau von Arbeitsplätzen der öffentlichen Hand, an denen ganze Familieneinkommen hängen, habe bei großen Tankern der ehemals verstaatlichten Industrie und Dienstleistungsbetrieben zu einem Abbau von 75-90% der Beschäftigten geführt. Dagegen zu protestieren, sei unter neoliberalem Regime aber de facto nicht mehr möglich, wären doch laut den österreichischen AutorInnen genau diese Beschäftigten „selbst seit Jahren als ineffizient und als Privilegierte am Pranger“ gestanden und selbst die gewählten Vertretungen der ArbeitnehmerInnen hätten keine Strategie entwickelt, dem Abbau des Wohlfahrtsstaates effektiv entgegenzuwirken. Diese Entwürdigungen und materiellen Existenzbedrohungen wirken laut der der Studie „Die populistische Lücke“ zusammen (!) mit als ethnisch-kulturell formulierten Konflikten, die sich aber ebenfalls entlang ökonomisch-materialistischer Kriterien bewegen: Explizit genannt wird mehr Konkurrenz am Arbeits- und am Wohnungsmarkt durch Einwanderung. Die Studie kommt zur Frage der ökonomischen oder kulturellen Begründung für die Abkehr vieler WählerInnen von demokratischen Parteien und Institutionen schließlich zum Schluss, dass Beides – die Bedrohung des ökonomischen Status und als kulturell verklausulierte arbeitsmarktpolitische Bedrohungen – für den Aufstieg dessen verantwortlich ist, was heute in Trump, AfD und FPÖ kumuliert.
Die genannte Untersuchung legt aber, ebenso wie die jüngsten Wahlergebnisse in den USA, völlig andere Empfehlungen für die Arbeit gegen rechte DemokratiegefährderInnen nahe, als sie Prof. Meyer gibt: Statt des Wirtschaftsprofessors Appells an weniger progressive Agenda nennen österreichische Forschungsergebnisse vor allem ökonomische und arbeitsmarktpolitische Gründe für den Rechtsruck der letzten Jahrzehnte (und damit deren Revision als Gegenstrategie, würde ich meinen). Ein genauer Blick auf die US-Wahlergebnisse von letztem Dienstag bestätigt die These der Notwendigkeit materialistischer progressiver Themen. Fast zwei Drittel der WählerInnen haben bei den deutlich von DemokratInnen gewonnen Kongresswahlen die Gesundheitsversorgung und die wirtschaftliche Lage als Hauptwahlmotiv angegeben, nur ein Drittel fand kulturelle Themen wie Einwanderung und Waffengesetze zentral. Die guten Ergebnisse der Parteien links der Mitte in Städten und prosperierenden Gegenden dies- und jenseits des Atlantiks könnten schließlich ein Anlass sein, die defensive Ansage Prof. Meyers gegen eine offensive und auf Arbeitsmarkt, Verteilung und kulturelle Vielfalt ausgerichtete progressive Agenda zu tauschen: In den USA haben die DemokratInnen in sämtlichen wachsenden WählerInnengruppen – Junge, Latinos, StädterInnen und VorstädterInnen – klare Mehrheiten und gewinnen da, wo sie authentisch auftreten und Enthusiasmus erzeugen. Inhaltlich wäre das ja sowieso verkehrt: Aber die Erkenntnisse aus den USA und aus der österreichischen Forschung sprechen auch taktisch dagegen, die progressive Agenda aufzugeben.
0,08% der USA wählen heute
state of the union

Senatorin Elizabeth Warren und Senator Bernie Sanders, Mit-FavoritInnen auf das Weiße Haus 2020
Ein Jahr nach dem Amtsantritt von Donald Trump aus US-Präsident ist auch schon wieder weniger als ein Jahr vor dem wichtigsten Test für die Beliebtheit eines Amtsinhabers oder einer Amtsinhaberin und seiner/ihrer Wiederwahlchancen. Die einzig wahren Umfragen, die man in so unsicheren Zeiten noch wirklich glauben kann, sind die Vollerhebungen: Sprich echte Wahlgänge und deren Ergebnisse.
widerstand lohnt sich

Demonstration gegen Schwarzblau in Innsbruck am 19. Dezember 2017
500 Euro Studiengebühren pro Semester: Das war eine der konkreteren Einigungen von Schwarzblau, die man während der Verhandlungen gehört hat. Das war auch irgendwie ein logischer schwarzblauer Vorschlag: Bringt keine große Aufregung außer in für Schwarzblau eh kaum erreichbaren Gruppen. Bringt die „Richtigen“ gegen Schwarzblau auf, die dann auch demonstrieren und die man dafür wieder beschimpfen und die eigene Klientel bedienen kann. Mit den Neos außerdem eine Oppositionspartei im Boot bei einem Studiengebühren-Beschluss. Eine runde G’schicht für Kurz und Strache.
wo gibt’s das sonst?

Screenshot: ORF TVThek, http://bit.ly/2pHD3Wl
Bemerkenswert ist das schon: Die Debatte der SpitzenkandidatInnen für die ÖH-Wahl ist schon lange die einzige Wahl, bei der es bei den stärksten Gruppierungen immer einen ganz hohen Frauenanteil gibt. Gestern standen in der von Armin Wolf moderierten Runde sogar vier Frauen der vier großen Fraktionen vier Männern von kleinen Fraktionen gegenüber.
macron, le pen und der rechtsruck: versuch einer einordnung
Auch wenn es gruselig ist, muss es zumindest immer ein bißchen historisch sein, was man miterlebt. Dabei ist der gestrige erste Wahlgang, was den Front National betrifft, noch nicht besonders historisch. Was in Frankreich passiert, ist auch international kein besonderer Bruch, sondern die Wahlen schreiben zwei internationale Trends fort: Das stete, aber langsame Wachstum der Rechtsradikalen. Und die Neoliberalisierung der Sozialdemokratie, die sich in immer mehr Ländern zu Wahlvereinen für gesellschaftspolitisch offene aber verteilungs- und sozialpolitisch rechte fesche Männer entwickelt.
nächste phase: andere optionen
Die Beruhigung durch die Wahl von Alexander Van der Bellen war nur kurz. Nicht nur Anton Pelinka konstatiert, dass die österreichische Bundesregierung seit 4. Dezember agiert, als wäre es umgekehrt ausgegangen. Es ist, als säße Norbert Hofer in der Hofburg und als müsse man den rechten Bundespräsidenten jede Woche mit einer Gesetzesverschärfung gegen die Menschenrechte, mit einer Einschränkung der demokratischen Grundrechte oder mit einem rabiaten Vorschlag zur Armenbekämpfung gnädig stimmen, um der Auflösung des Parlaments zuvorzukommen. Die SPÖ macht mit einem Kriterienkatalog die Türe zur FPÖ sperrangelweit auf, in Wien gilt der Strache-affine SPÖ-Wohnbaustadtrat Ludwig als wahrscheinlichster Häupl-Nachfolger. Der Kanzler sagt zum Kriterienkatalog der SPÖ, der solle als „Kompass dienen“ und eine „gewisse [!] Verbindlichkeit“ haben.