sind wir nicht alle ein bißchen grasser?

Irgendwann gewöhnen sich die Menschen halt an Sauereien. Irgendwann werden die Sauereien Teil der Normalität. Irgendwann regt man sich nicht mehr über Dinge auf, die 10 Jahre davor noch ein Skandal gewesen wären. Die Vergrasserisierung der Republik hat angefangen, als der ehemalige von der ÖVP berufene Finanzminister noch nicht einmal „Owa bitte, Frau Thurner“ sagen konnte. Sind wir nicht alle ein bißchen Grasser, müssten sich große Teile der politischen Elite dieses Landes fragen. Sie müssten ehrlicherweise mit ja antworten. Und dankbar sein, dass hinter dem System Grasser ihre Verscherbelungen so niedlich aussehen. Ich sage nur Sobotka.

Und jetzt keine Geschichtestunde, sondern ein paar dezente Hinweise zur Erinnerung: Vor fast genau 34 Jahren explodiert das Frachtschiff „Lucona“ vor den Malediven, sechs Besatzungsmitglieder kommen uns Leben. Es handelt sich, wie sich später herausstellen sollte, um einen Versicherungsbetrug, für den das Enfant terrible der Wiener SPÖ-Szene, Udo Proksch, verantwortlich ist. 1989 treten der rote Innenminister Blecha und der rote Nationalratspräsident Gratz wegen der drohenden Aufdeckung ihrer Verstrickungen in einem U-Ausschuss aufflogen, zurück.

1980 fliegt der AKH-Skandal auf. Es geht um Schmiergelder in zweistelliger Millionenhöhe und um massive Protektion der Schuldigen durch die SPÖ Wien. Zu dem Zeitpunkt schon im Visier der Justiz und zehn Jahre später verurteilt: Der schönste Finanzminister der Republik vor Grasser, Hannes Androsch. Er war gleichzeitig oberster Finanzhüter des Landes und Beteiligter an einer großen Steuerberatungskanzlei, die aufgrund millionenschwerer Aufträge staatseigener Unternehmen florierte. Später konnte Androsch Steuerhinterziehung nachgewiesen werden.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann sind sie noch heute Sprachrohre der SPÖ. Hannes Androsch spricht zu allen möglichen und unmöglichen Themen als kritisch-solidarische Stimme für die SPÖ – oft genug unwidersprochen. Karl Blecha ist als Chef der SPÖ-PensionistInnen einer der wichtigsten Strippenzieher im roten Reichsviertel. Grasser ist 30 Jahre später gekommen. Aber er ist auch nur die überspitzte postmoderne Karikatur der Männer, die die Moral der SPÖ und damit zum damaligen Zeitpunkt der Republik über Bord geworfen haben. Der erste Spitzenpolitiker vom Typus Grasser – telegen bis zum Umfallen und um keine Inszenierung verlegen, kommt übrigens auch aus der SPÖ: Es ist Bundeskanzler Klima, der mit Boxhandschuhen und mit gelben Gummistiefeln für die Gazetten posierte und damit der Entpolitisierung der Politik in die Hände spielte.

Und dann wundert sich noch jemand, dass man gegen Grasser nicht ankommt? In einem Land, in dem die Menschen seit den späten 70er-Jahren systematisch an Freunderlwirtschaft bis ins Kriminal gewöhnt worden sind? In einem Land, in dem sich die 30 Jahre durchgehend stärkste Partei die Menschen oft genug für zu dumm für ernsthafte Politik gehalten und ihnen statt dessen dümmliche Pseudopolitik vorgesetzt hat? Wenn irgendwer der Vergrasserisierung ernsthaft beikommen will, braucht es eine Transparenzoffensive in der Politik, die sich gewaschen hat. Daran ist zu messen, ob es den Regierungsparteien bei ihrem viel zu sanften Druck auf Grasser nur um Grasser geht, oder um mehr Demokratie und weniger Freunderlwirtschaft.

werner beinhart? ja, bitte!

Jaja, man wird sich ja wohl noch was wünschen dürfen, werden viele jetzt sagen. Aber „Werner Beinhart“ als Titel für eine Faymann-Story geht im besten Fall als paradoxe Intervention, im schlechtesten Fall aber als blanke Realitätsverweigerung durch. Was Herbert Lackner in der großen Innenpolitik-Story im aktuellen Profil schreibt, hätte Angelika Feigl, die entenbekämpfende Ex-Pressesprecherin des Bundeskanzlers und Lebensgefährtin von Krone-Redakteur Claus Pandi auch nicht schöner formulieren können. Die ÖVP sei unter ferner liefen, mit dem Gerechtigkeitsthema habe die SPÖ den Wind in der politischen Debatte gedreht. Das klingt ein bißchen nach dem Schwanz, der mit dem Hund wedelt.

Ich seh ihn nicht, den Aufwind der SPÖ. Ich sehe, dass die Rechten mit 33% mit Abstand stärkste Kraft in diesem Land würden, wäre gestern gewählt worden. Man klammert sich in dieser bitteren Zeit an Strohhalme, dafür hab ich volles Verständnis. Aber klar ist auch: Die SPÖ hat eben noch kein Rezept gegen den Aufstieg der Freiheitlichen gefunden. Und es hilft nichts, die ÖVP auf einem Niveau zu schlagen, während Strache vorbeizieht. So weit, so eindeutig, würd ich meinen.

Ich bin heute am Terminal Tower in Linz vorbeigefahren. Das ist der Turm, um den es in den jüngst veröffentlichten Aufdecker-Geschichten in der Wiener Stadtzeitung „Falter“ geht. In zwei Sätzen: Das Linzer Finanzamt sucht im Frühjahr 2005 neue Räumlichkeiten. Davon bekommt der Baukonzern Porr Wind. Er beteiligt sich an der Finanzierung eben dieses Turms, mit der Aussicht, dass sich dort das Finanzamt einmietet – ein verlässlicher, zahlungskräftiger Kunde. Der oberste Chef der Finanzämter: Finanzminister Grasser. Die Verhandlungen stocken im Mai und schwupps stehen die Grasser-Freunde Meischberger und Plech auf der Matte. Dann geht alles sehr schnell, die Verträge sind bald unter Dach und Fach. Meischberger kassiert im Dezember 2005 200.000 Euro von der Porr, gut 56.000 davon legt er auf ein Konto, auf das auch Plech Zugriff hat.

Und weil das jetzt doch sieben statt zwei Sätzen geworden sind, bin ich auch schon bei dem Punkt, über den ich gestern mit einem Freund diskutiert habe. Die schwerreichen Grasser-Freunde, die unter der Ägide des FPÖ-Finanzministers noch reicher geworden sind, kommen mitten aus der Freiheitlichen Partei. Das Thema dominiert die Bundespolitik seit dem 2. Oktober 2009: Da gab’s die erste APA-Meldung zu den Schlagworten „Grasser“ und „Buwog“. Und in der SPÖ arbeiten die Hinterbänkler an dem Thema.

Das ist deswegen so ärgerlich, weil das Thema so viel Potenzial für die SPÖ hätte. Weil es so schön zeigt, was für Typen bei den Blauen am Werk waren, die sich als Vertreterin der sogenannten kleinen Leute versteht. Wenn schon die ganze SPÖ in verklärender Kreisky-Nostalgie schwebt, dann sollte sich dessen Nachfolger ein Scheibchen vom Sonnenkönig abschneiden: Geharnischte Worte Richtung FPÖ und geharnischte Worte Richtung ÖVP, die gemeinsam mit den Meischbergers und Plechs diese Republik moralisch ruiniert und finanziell ausgeräumt haben, wären an der Zeit. Dann dürfte Herbert Lackner ruhig „Werner Beinhart“ schreiben. Es könnte der Republik nicht viel Besseres passieren.

edlinger, neisser und die infektionskrankheit haider

Wo die 40 verschwundenen Haider-Millionen sind, wäre ja unerheblich. Wären sie nicht ein spätes Urteil über den nunmehrigen einfachen Abgeordneten Wolfgang Schüssel. Und die 40 Millionen, die Haider-Haberer irgendwo verschustert oder in „Sicherheit“ gebracht haben, lassen mich an den letzten SPÖ-Finanzminister Rudi Edlinger denken. Viele haben sich damals 1999 im Parlament über Edlingers ausnehmend hässliche Krawatte mit Würsten gewundert – bis er erklärt hat, er würde „eher einem Hund eine Wurst anvertrauen, als der ÖVP das Finanzministerium“. Wie Recht er doch hatte.

Es gab wenige in der ÖVP, die 2000 in der von Kanzleritis geplagten Partei klaren Blick behielten. „Jedes Zusammengehen mit Haider ist eine Infektionskrankheit, macht dich krank. Die ÖVP hat einen Rechtsruck gemacht, den ich persönlich überhaupt nicht unterstützen kann, die ÖVP hat zum Teil seine politischen Manieren angenommen (…)“, sagt 2007 der ehemalige Zweite Nationalratspräsident. Heinrich Neisser hat auch 2000 keinen Hehl aus seiner Ablehnung von schwarz-blau gemacht. Er musste dafür einstecken, hat in Vorlesungen erzählt, wie sich zur Sanktionszeit Freunde von ihm abgewandt haben. Wie Recht er doch hatte.

Karl-Heinz Grasser und seine Freunderln haben nicht nur das Tafelsilber der Republik verscherbelt. Sie haben dabei auch kräftig mitgeschnitten, es geht um zweistellige Millionenbeträge. Wäre es nach vielen in der ÖVP gegangen, wäre derselbe Karl-Heinz Grasser 2006 nach Schüssels Wahlniederlage Parteichef und Vizekanzler geworden. Und jetzt also die 40 verschwundenen Haider-Millionen, ein Mosaikstein im politischen Vermächtnis Wolfgang Schüssels. „Es gibt nur ein einziges Land, mit dem wir uns da vergleichen können und der Vergleich macht mich nicht sehr glücklich: Das ist Italien“, sagt ÖVP-Neisser über Haider 2002. Wie Recht er doch hatte.

1986 ist Fred Sinowatz zurückgetreten, sein Nachfolger Franz Vranitzky hat wegen des Haider-Putsches in der FPÖ sofort Neuwahlen herbeigeführt. Die SPÖ verlor leicht zugunsten der FPÖ, Mandatsstand 77:18. Heute liegen rot und blau in Umfragen gleichauf. Vranitzky ließ seine SPÖ auch nicht annähernd an Haiders FPÖ anstreifen. Wie Recht er doch hatte.