mit sicherheit schöner scheitern

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Sie haben der ÖVP nicht geholfen (Quelle: bit.ly/1pmFlqN)

Selten haben WählerInnen die ÖVP so böse bestraft, wie gestern in Tirols zweitgrößter Stadt. Jörg Haider hat in Kufstein bei der Nationalratswahl 1999 über 39% gemacht. Genau so viel Prozent hatte die ÖVP hier bei der Gemeinderatswahl 1998 und 2004. Vor sechs Jahren ging es dann runter auf 30% und der Bürgermeister ging verloren: Statt des alten schwarzen Patriarchen Marschitz kam ein parteifreier Bürgerlicher ins Rathaus. Und als die Schutz suchenden Menschen mehr wurden, schaltet der Neue nicht auf Abwehr und auf Angst, sondern auf Überzeugungsarbeit und bringt über 100 Flüchtlinge in Kufstein unter. In der ehemaligen blauen Hochburg ist auf einmal einer am Werk, der Dinge wie „wir spüren die Flüchtlinge nicht“ sagt und „es muss aufhören, dass sich Gemeinden so massiv zur Wehr setzen.“ Und als Kufstein noch einmal 29 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufnimmt, geht auch die traditionell erfolgreiche Bürgerliste auf den Bürgermeister los.

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klassenkampf

Seit gestern gilt die Steuerreform.

Mit 1.300 Euro brutto (1.062 netto) bekommt man 32 Euro mehr. 
Mit 1.700 Euro brutto (1.253 netto) bekommt man 57 Euro mehr.
Mit 2.000 Euro brutto (1.482 netto) bekommt man 72 Euro mehr.
Mit 2.500 Euro brutto (1.670 netto) bekommt man 79 Euro mehr.
Mit 3.000 Euro brutto (2.015 netto) bekommt man 109 Euro mehr.
Mit 3.500 Euro brutto (2.138 netto) bekommt man 124 Euro mehr.
Mit 4.000 Euro brutto (2.371 netto) bekommt man 129 Euro mehr.

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von der sammelbewegung zur restpartei

Die ÖVP bröckelt an allen Ecken und Enden. Angefangen hat das alles in Innsbruck. Der Gemeinderat Herwig van Staa wird 1993 wegen wiederholter Kritik an der ÖVP-Stadtführung aus dem Gemeinderatsklub ausgeschlossen. Der Oberösterreicher tritt mit einer Wirtschaftsbund-Sammelliste als „Für Innsbruck“ an, erreicht über 22%, schlägt die alte ÖVP. Damals Nummer eins in Innsbruck – man glaubt es kaum mehr: Die SPÖ mit fast 27% der Stimmen. Herwig van Staa wird Bürgermeister und bis heute regieren in Innsbruck „Für Innsbruck“-BürgermeisterInnen. Jüngst allerdings nicht mehr in einer großen Koalition gemeinsam mit Alt-ÖVP und SPÖ, sondern in einer Ampelregierung mit Grünen und SPÖ.

Der Feind im eigenen Bett

2008 schafft der schwarze Arbeiterkammer-Präsident Fritz Dinkhauser im Frühsommer mit seiner Liste 18% bei den Tiroler Landtagswahlen, die ÖVP landet auf einem historischen Tief von nur mehr 40%. Nach dem Sommer folgt die Nationalratswahl, bei der Jörg Haiders BZÖ auf sensationelle 12% kommt und vor allem bei enttäuschten ÖVPlerInnen fischt. Und 2013? Da treten bei der Nationalratswahl ein neoliberaler Großindustrieller und ein liberaler Wirtschaftsbündler mit eigenen Listen an. Die Industriellenvereinigung fordert regelmäßig Bildungsreformen, ein ehemaliger Landesschulrats-Präsident zieht durch die Landen und wirbt mit der roten Ministerin für moderne Schulpolitik. Die Vorgängerin der Ministerin verabschiedet sich mit 63 Vorzugsstimmen aus dem Amt. Ehemalige Parteigranden von Neisser bis Busek richten der ÖVP-Spitze regelmäßig unfreundliche Grüße aus und geißeln die schwarze Politik. Ein eigener Landesrat wird zum Sargnagel der nunmehrigen Opferbeauftragten, des ersten weiblichen steirischen Landeshauptmanns a.D. Die ehemalige Großpartei muss sich nicht nur mit der roten Koalitionspartnerin herumschlagen, sondern mit Gegenkandidaturen und mit etlichen Gegenstimmen aus dem, was früher einmal die eigenen Reihen waren.

Das Ende der Wende

Was einmal eine Sammelpartei von Wertkonservativen, Wirtschaftsliberalen, dienstbeflissenen BeamtInnen und treuen Gottesfürchtigen war, geht an den immanenten Widersprüchen zu Grunde. Schwarz-Blau war ganz harter Tobak für viele liberale ÖVPlerInnen, die ich kennengelernt habe. Mit Ächzen und Stöhnen konnten sie noch da oder dort ein positives Reförmchen ins Treffen führen. Aber in Summe war klar: da bröckelt was. Wer will schon mit Jörg Haider und Ernst Strasser, mit Peter Westenthaler und Karl-Heinz Grasser in einen Topf geworfen werden? Nach schwarz-blau soll Josef Pröll mit einer Perspektivengruppe die ÖVP wieder verbreitern. Zivilpakt für Homosexuelle, Arbeitsbewilligung für mit ÖsterreicherInnen verheiratete Drittstaatsangehörige, Gratiskindergarten. Dann sagt der unglückliche Willi Molterer „Es reicht“ und verliert die Wahlen gegen Faymann. Der junge Pröll wird zwar Molterers Nachfolger als Vizekanzler, aber seine Papiere verschwinden in der Rundablage. Heute hat Niederösterreichs jähzorniger Landesfürst die ÖVP fester in seiner Hand, als je zuvor.

Warum wir die ÖVP brauchen

Was da nach Schwarz-blau an liberalen Pflänzchen war, ist erstickt worden. Das Ruder haben in der ÖVP nach der Mésalliance mit Jörg Haider die übernommen, die unter Schüssel Karrieresprünge gemacht haben. Die beiden Hannese Missethon und Rauch, Schottermitzi und Betoniererfritz überstrahlen ihre jeweiligen Parteichefs bei Weitem. Und die Politik dieser zweifelhaften Figuren verjagt die Großindustriellen und Liberalen. Ich hab es schon einmal geschrieben: Mir tut es leid um die ÖVP. Mit guten Köpfen an der Spitze hätte die ehemalige Volkspartei nämlich eine Integrationsfunktion wertkonservativer, durch Identitätspolitik ansprechbarer WählerInnen ins politische System diesseits der Wahnsinns-Grenze, die jetzt zu Strache und Stronach rennen.

lasst die besten recherchieren

Ein bißchen hat uns die Story schon gewundert: Ein Mann mit Anzug liegt sechs Stunden am nachmittag blutüberströmt in einem Tiefgaragenabgang. Hunderte Menschen gehen an ihm vorbei, ohne einen Finger zu rühren, ohne die Rettung zu alarmieren. „Das ist keine Szene aus einem Horrorfilm, sondern hat sich mitten in Innsbruck abgespielt – zur besten Geschäftszeit“, schreibt der Chefredakteur der Tiroler Tageszeitung. Es handelt sich beim Verletzten um einen ehemaligen Landeshauptmann – sonst hätt’s das „Leitmedium“ dieses eigenartigen Landes wohl nicht über Tage auf ihre Titelseite geschrieben. Und dann setzte die Empörungsindustrie ein – Appelle an die Zivilcourage aus allen Richtungen, die Gesellschaft verrohe, ein schockierter Caritas-Chef, ein betroffener Sozial-Landesrat, ein bestürzter Rotkreuz-Präsident, eine tagelange Kampagne. Der ORF übernimmt die Story, der „Standard“ und die „Kleine Zeitung“ ebenso.

Heute ist’s Tirols an sich akribischster Journalist, der wieder Mal eine Bombe platzen lässt. Nicht sechs Stunden, sondern zehn Minuten habe der sturzbesoffene Partl im Tiefgaragenabgang gelegen, schreibt Markus Wilhelm. Partl habe den Vollrausch und die offenbar versuchte alkoholisierte Heimfahrt vor seiner Frau verbergen wollen, deswegen habe er sein Gelage mit ÖVP-Granden im Hotel Europa in seiner Erzählung um fünf Stunden verkürzt und sein hilfloses Herumliegen in der Tiefgarage um fünf Stunden verlängert.

Besoffene ÖVP-Politiker, die über den Durst trinken und dann schwindlige Halbwahrheiten erzählen und Medien, die ihnen den Rücken freihalten – klingt irgendwie plausibler, als die Variante mit dem 6 Stunden von hunderten PassantInnen ignorierten blutenden Schwerverletzten im Anzug. Das heißt nicht, dass Wilhelms Variante stimmt. Aber eine so heftige Gegendarstellung heißt für ein Leitmedium wie die Tiroler Tageszeitung und erst recht für den öffentlich-rechtlichen ORF, dass noch einmal ganz genau hingeschaut werden muss.

Da müssen KellnerInnen im Hotel Europa gewesen sein, die gesehen haben, ob Partl um 15 Uhr nüchtern oder um 20 Uhr stockbesoffen gegangen ist. Da muss irgendwo Partls Schwiegertochter sein, die er nach dem Aufwachen in der Klinik angerufen hat. Die ÄrztInnen werden Partls Blut auf Alkohol untersucht haben. Ob es ein offener oder ein wegen der Bauarbeiten am Landhausplatz geschlossener Abgang war? Das kann nicht so schwer zu recherchieren sein. Aber umso notwendiger, wenn die genannten Medien noch ein kleines bißchen Anstand gegenüber denen haben, der sie unterlassene Hilfeleistung vorgeworfen haben. Von Glaubwürdigkeit mal ganz zu Schweigen.