5 schöne schlüsse aus der wiederwahl

  1. What you call ‚minorities‘ is the new majority

CNN-Landkartenzauberer John King macht normalerweise keine Fehler. Er ist vorsichtig mit Prognosen, hat gestern zwei Stunden lang immer wieder gesagt, dass Florida und damit die Wahl eigentlich für Obama gewonnen sind, ohne Florida zu ‚callen‘, also eine sichere Vorhersage zu machen. Vier Tage vor der Wahl sagt John King ‚if Obama falls below 40 percent of the white vote, there’s hardly any path to 270.‘ Gestern haben laut Wahltagsbefragungen von CNN 61% der „weißen“ AmerikanerInnen Mitt Romney ihre Stimme gegeben, Barack Obama hat die 40%-Hürde 2008 noch leicht genommen, gestern hat er weniger als 40% der „weißen“ Stimmen bekommen. Aber das, was so lässig „Minderheiten“ heißt, ist keine Minderheit mehr. Es gibt eine neue Mehrheit in den USA. Die politische Landkarte ist mit der Wiederwahl Obamas nachhaltig verändert. Der Präsident hat 6 Bush-Staaten zwei Mal hintereinander gewonnen, mitunter mit massiven Stimmenunterschieden weit jenseits der Schwankungsbreiten: Iowa +5, New Hampshire +5, Nevada +6, New Mexico +10. Diese ’new majority‘ hat übrigens ein gemeinsames Programm: Sie tritt für eine staatliche Grundversorgung im Gesundheitsbereich ein. Sie will eine vehemente, aber kooperative Außenpolitik. Die ’new majority‘ will gleiche Chancen für Alle und mehr Steuern für die Reichen. Die Diskreditierung dieser Minderheiten, sie hätten 2008 nur einen aus ihren Reihen wählen wollen und seien eigentlich unpolitisch, funktioniert nicht mehr. Die genannten Programmpunkte verbinden die ’new majority‘ viel mehr, als ethnische Zuschreibungen, die in einem ‚melting pot‘ längst verschwimmen. „There is no black America, no white America, no Latino America, no Asian America. There is the United States of America“, sagt Obama bei seinem ersten großen Auftritt auf der nationalen Bühne vor 8 Jahren. Menschen entlang ihrer Bedürfnisse zu clustern, statt entlang ihrer „Ethnien“ wäre hoch an der Zeit. Alles andere reduziert sie nämlich auf Dinge, die sie nicht beeinflussen können.

  1. Vergewaltigungsverharmloser verlieren

Die beiden republikanischen Senatoren, die im letzten Monat mit Vergewaltigungs-Verharmlosungen auf sich aufmerksam gemacht haben, waren beide klare Favoriten in ihren Senatsrennen. Sie haben beide verloren. Paul Ryan mag noch so jung und fesch sein: Mit menschenverachtendem Frauenhass gewinnt man einen liberalen Bundesstaat nicht, nur weil man von dort kommt. Nicht nur das: Todd Akin und Richard Mourdock haben mit ihren unsäglichen Äußerungen auch dem Präsidenten eine Steilvorlage aufgelegt. Der hat sie perfekt für seinen Kampf um die Stimmen der Frauen genutzt.

  1. Die Momente des Abends

Na klar haben TV-Sender den Wunsch, möglichst lang alles offen darzustellen, was vielleicht schon gar nicht mehr offen ist. Trotzdem: Florida war in den Worten von John King, Gloria Borger und David Gergen schon klar, bevor die Cable Networks Obama wegen der Zahlen aus Ohio zum Sieger ausriefen. Michigan war zehn Minuten nach dem Schluss der dortigen Wahllokale schon von allen TV-Stationen den DemokratInnen zugeschlagen. Das war der erste Moment, der mich sicher machte, dass Obama gewinnen würde. Bis zuletzt hatten die RepublikanerInnen versucht, demokratisches Kernland zu ‚battlegrounds‘ zu erklären. Wenn sie in Michigan so scheiterten, musste das auch für Ohio und Wisconsin aussagekräftig sein. Auch so ein Moment: Die Wahltagsbefragungen in Virginia und Florida. Wenn Obama in denen Kopf an Kopf mit Romney liegt, war klar, dass sich die Umfragen der letzten Tage als richtig herausstellen werden. Das ließ für Ohio nur Gutes erwarten. Und dann gab es diese etwas verwackelten Berichte aus fertig ausgezählten Swing Districts an der Atlantikküste, Fairfax, Cuyahoga und Co. Dort war Obama nach Auswertung aller Stimmen mindestens gleich stark, wie bei seinem Wahlsieg 2008. Auch das ein viel eindeutigerer Indikator, als das spannende, stundenlange, aber essenzlose Verfolgen der Auszählung in Florida mit schwankenden Mehrheiten.

  1. Mein Star des Wahlkampfs

Kein Obama, kein Biden, kein Clinton. Ich hab das Rennen sehr genau verfolgt und mich nach der verhunzten 1. TV-Debatte und Umfragen, die Romney landesweit 7% vorne sahen, immer an einen gehalten, der schließlich einen Triumph feiern sollte. Amerikas größter Statistik-Freak hat schon 2008 49 von 50 Staaten richtig vorhergesagt. Heute sollte er seinen Job an den Nagel hängen. Nate Silver hat alle 50 Staaten richtig prognostiziert.

Und ein Blick auf seine ‚final prediction‘ am Tag vor der Wahl zeigt: Er hat sogar die Abstände antizipiert. Wie der das macht? Mit einer Methode, die Politik-ForscherInnen von beliebigen MeinungsforscherInnen unterscheidet. Seine Zahlen gehen zurück in die 50er-Jahre, seine historischen Vergleiche sind Geschichte-Stunden für geneigte LeserInnen. Ich hab selten soviel über die USA gelernt, wie beim Lesen seiner Blogs.

und schließlich 5) Ist das eine Demokratie?

Ja, amerikanische Wahlen sind geplant wie militärische Operationen, ihnen sind auch die Begriffe ‚battlegrounds‘, ‚ground game‘ und Co., entlehnt. Ohne viel Geld geht das alles nicht. Vieles Versprochene bleibt Versprochenes. Der Pathos ist für mitteleuropäische Verhältnisse unvorstellbar. Und trotzdem: Die diverseste Nation der Welt ist gleichzeitig eines der größten Länder auf der Welt. Sie ist ausgestattet mit Kontrollmechanismen gegen Machtüberschuss auf einer Seite der politischen Lager, wie in keinem zweiten Land der Welt. Sie erlebt aber auch Geschichten, wie kein zweites Land der Welt. ‚Unlikely story‘ nannte Barack Obama die Tatsache, dass er es als früh halbwaiser Sohn eines Kenianers und einer Frau aus Tennessee ganz nach oben kommen würde. Aber er hat es geschafft, das politische System dieser diversen Nation ist durchlässig für sogenannte Minderheiten  geworden. Bobby Jindal, Marco Rubio, Deval Patrick, Nikki Haley, Julian Castro. In seiner Siegesrede in Chicago gestern Nacht formuliert der alte neue Präsident zielsicher, was die Chancen, die Herausforderungen und die Gefahren repräsentativer Demokratie sind. Schöner als hier, könnte man das kaum sagen. „The role of citizens doesn’t end with the vote.“

 

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Wer mehr lesen will: Ich hab das ganze Jahr über zu den US-Wahlen gebloggt. Hier gibt’s zusammenfassende Lesetipps.

mit updates: ein jahr usa-blog

11 Monate hab ich jetzt über die US-Wahlen gebloggt. Dienstag Nacht ist es so weit: Dann wissen wir, ob Barack Obama Präsident bleibt, oder ob Mitt Romney den demokratischen Amtsinhaber überraschend schlagen kann. Mit einer langen Pause zwischen dem absehbaren Ende der republikanischen Vorwahlen und dem Vorgeplänkel vor den großen Nominierungsparteitagen hab ich immer wieder versucht, Einblicke in ein für uns MitteleuropäerInnen so verrückt wirkendes Wahlsystem zu geben.

Hier eine kleine upgedatete Zusammenfassung des Querg’schriebenen mit wahlrelevanten aktuellen Links zu den jeweiligen Themen:

obama vs romney

Warum ohne Ohio Dienstag Nacht gar nichts geht. Der ‚American Prospector‘ hat eine gute Doku über einen der entscheidenden Wahlbezirke.

‚Closing arguments‘ im Vergleich: Darum hat Barack Obama das finale Momentum auf seiner Seite:

Warum Umfrage Momentaufnahmen sind. Und das schwerer zu messende ‚ground game“ entscheidet Pew hat trotzdem untersucht, wer beim ‚canvassing‘ gewinnt.

Nicht die ‚independants‘, sondern die ParteigängerInnen entscheiden 2012. Und wer sie mobilisiert, braucht ‚turncoats‘.

So gewinnt Mitt Romney. Und wie sich die Landkarte verändert, am Beispiel Virginia. Dort ist übrigens das Senats-Rennen genau so spannend, wie das um die Stimmen für den Präsidenten.

Paul Ryan als ‚running mate‘ – ein ‚mispick‚. Ich glaub, ich behalte recht. Auch wenn Favorit Marco Rubio natürlich brav blieb

romney vs santorum vs gingrich

Mitt Romney hinkt aus den ‚dixie primaries‘. Und Rick Santorum treibt ihn nach zwei weiteren Wahlsiegen nach rechts. Der fanatische Christ, Romneys massivster Widersacher in den Vorwahlen, ist übrigens am 22. August das letzte Mal öffentlich aufgetreten.

4. Jänner, nach den ersten Vorwahlen in Iowa. Meine Voraussage, dass Mitt Romney einen Vizepräsidentschaftskandidaten aus der Tea Party braucht, hält.

Vorweihnachtlicher Rückblick und Ausblick: Wie eine rechte Sekte die Grand Old Party übernommen hat. Bis zu Romneys überraschendem Turnaround als bei der ersten Präsidentschaftsdebatte bleibt die Kandidatur des Milliardärs deshalb aussichtslos.

‚Early states‘: was ist das für ein komisches Wahlsystem, wo Kandidaten jahrelang einen Bundesstaat, in dem 1% der Bevölkerung lebt, durchpflügen? Dort treffen Evangelikale und friedensbewegte Hippies aufeinander.

Warum die Frau, die Obama in Ohio, Florida, New Mexico und New Hampshire geschlagen hat, ‚running mate‘ werden sollte. Meine Prognose, dass Hillary Clinton die nächste Vizepräsidentin wird, war falsch. Was nichts daran ändert, dass sie unabhängig vom Wahlausgang am Dienstag ‚frontrunnerin‘ für 2016 ist.

Andreas Khol und Newt Gingrich. Martin Bartenstein und Mitt Romney. Warum das alles gar nicht so verrückt ist, wie es wirkt.

 

ceterum censeo

Ich bin übrigens für Barack Obama. Aber das ist politisch gleichermaßen klar wie aus den Artikeln herauszulesen. We’ve come too far to turn back now. 

as ohio goes, so goes the nation

So, das geht jetzt wirklich ganz einfach. Im US-amerikanischen Wahlsystem zählt nicht jede Stimme gleich viel. Wer PräsidentIn wird, entscheiden Delegierte jedes Bundesstaats, die im Electoral College so stimmen, wie die einfache, relative Mehrheit ihrer Bevölkerung. Das heißt: Wer am meisten Stimmen in einem Staat hat, bekommt alle Wahl“männer“. 270 davon braucht man, um PräsidentIn zu werden.

Obama fehlen noch 23 Wahl“männer“

Präsident Obama hat 247 Stimmen fix, es fehlen also 23 zum Sieg am 6. November. Es gibt 7 Staaten, die noch offen sind. Ich nehme das eigentlich demokratische Wisconsin und das eigentlich republikanische North Carolina aus. Die sind in den Umfragen noch nicht außerhalb der Schwankungsbreite. Aber wenn Romney das blaue Wisconsin gewinnt, hat er davor an genug anderen Plätzen Wahl“männer“ gesammelt, um Präsident zu sein. Das gleiche gilt für Obama und North Carolina. Ich halt mich da an die sehr einleuchtende Definition von Bill Clintons Chefstrategen James Carville.

Hier also die Staaten, aus denen Obama insgesamt 23 Stimmen fürs Electoral College braucht.

  • Florida 29
  • Ohio 18
  • Virginia 13
  • Colorado 9
  • Nevada 6
  • Iowa 6
  • New Hampshire 4

Buckeye: Alles andere, Nebensache

Die wahrscheinlichste Variante für den amtierenden Präsidenten ist, dass er mit Ohio und Nevada über die Ziellinie kommt. In beiden Staaten hat Obama die letzten Wochen hindurch knappe, aber stabile Führungen. Verliert Obama die drei verbliebenen großen Staaten Florida, Ohio und Virginia, kann er trotzdem Präsident bleiben, wenn er die vier kleineren gewinnt. Aber wieder gilt: Es ist sehr unwahrscheinlich, einen Staat mit stabilen Führungen (Ohio) zu verlieren und gleichzeitig einen zu gewinnen, der wirklich Spitz auf Knopf steht (Colorado, New Hampshire, Virginia).

Im Klartext: Wenn der Sturm „Sandy“ das Rennen nicht dreht, wird am 20. Jänner derjenige den Amtseid ablegen, der Ohio gewinnt. Alles andere ergibt sich für den Gewinner des Buckeye State von selbst.

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Fußnote am Rande, weil das noch ein riesengroßes Fragezeichen ist: Der meistgelesene Wahl-Statistiker im Web, Nate Silver, hat 2008 mit komplizierten Algorithmen 49 von 50 Staaten richtig vorausgesagt. Und er schreibt gestern auf seinem Blog, dass seine prognostizierten Gewinner für dem 6. November in allen 50 Staaten die gleichen sind, wie am 7. Juni. Faszinierend, irgendwie.

was obama von bush gelernt hat

Sie sind hundertfach abgetestet – in Telefoninterviews, in Fokusgruppen, bei aufwändigen Befragungen der eigenen MitarbeiterInnen. Bevor eine große politische Kampagne ihre wichtigsten Botschaften auf allen erdenklichen Kanälen zu den WählerInnen trägt, weiß sie schon sehr genau, welche WählerInnen wie darauf reagieren. Die ‚punch lines‘, die Kernbotschaften, werden gezielt an zentralen Stellen in alle Reden eingebaut. Sie stehen auf Plakaten und auf Flugzetteln, sie werden in Fernsehinterviews eingebaut.

Flip Flop

John Kerry, der Mann, der George W. Bush nach 4 Jahren im Oval Office ablösen sollte, kann ein Liedchen von Punch Lines singen. Rechtzeitig vor der Wahl im November 2004 porträtierte der Amtsinhaber den Herausforderer mit teilweise skurrilen Werbespots zu Randthemen, die eigentlich keine Bedeutung hatten als Flip-Flopper, als Wackelkandidaten. Wirklich hängen geblieben ist, auch aufgrund der einfachen Machart, dieser Spot mit Donauwalzer. In der zweiten Fernsehdebatte legte Kerry den RepublikanerInnen dann einen Elfer ohne Tormann auf. Das Schicksal des demokratischen Herausforderers war damit besiegelt. „In Zeiten des Kriegs braucht Amerika einen standfesten Präsidenten, auf dessen Positionen man sich verlassen kann“, war der rote Faden der erfolgreichen Wiederwahl-Kampagne von George W. Bush.

Der Kandidat des Status quo

Und heute? „Romney hopes that you come down with what we call Romnesia. But here’s the good news: Obamacare covers pre-existing conditions“. Das ist die Punch-Line, die Obama bei seinen gestrigen Auftritten in Denver, Colorado, in Richmond, Virginia und bei der Jay Leno Show matraartig wiederholt. Die Botschaft ist auf vielen Ebenen gut gewählt: Sie verbindet die Porträtierung Romneys als unverlässlichen Wackelkandidaten mit einem der wichtigsten Verkaufsargumente des Präsidenten bei den unter noch nicht entschiedenen WählerInnen überrepräsentierten Frauen: Mit dem Gesundheitsprogramm der Obama-Administration. Die ‚punch line‘, den Herausforderer als unbekannt und unsicher zu zeichnen, ist ein Klassiker unter den ‚closing arguments‘ von AmtsinhaberInnen. Kombiniert mit „You know me. You know I say what I mean and I mean what I say“, heißt der Subtext: Ihr mögt nicht mit allem einverstanden sein, was ich sage. Aber mit mir gibt’s keine bösen Überraschungen: auf mich ist Verlass.

‚War on women‘ reloaded

Romney schlägt sich gleichzeitig mit einem durchgeknallten republikanischen Kongresskandidaten herum: Richard Mourdock aus Indiana hat in der TV-Debatte zum Thema Abtreibungen bei Vergewaltigungen gesagt, sogar wenn ein Leben mit einer Vergewaltigung anfange, habe Gott es so gewollt. Der Zufall will es, dass am Tag zuvor ein gemeinsamer Werbespot mit Romney und Mourdock veröffentlicht wurde. Wasser auf die Mühlen der DemokratInnen, die sofort dieses Video in den Äther schickten. Barack Obama bekam bei Jay Leno gestern abend die Chance für eine deutliche Abgrenzung von Mourdock und den RepublikanerInnen.

Die jenseitige Position des Hinterwäldlers aus Indiana ist noch dazu das ideale Framing für die DemokratInnen, eine Zwischenkampagne aus dem Frühsommer in Erinnerung zu rufen: ‚War on Women‘ war das Buzzword, mit dem die DemokratInnen thematisierten, in welche Niederungen der 50er-Jahre sich Mitt Romney begab, um die Nominierung einer von konservativen ExtremistInnen dominierten Republikanischen Partei zu bekommen.

Closing argument

Romneys „closing argument“ war eigentlich auch gut vorbereitet: Der republikanische Herausforderer wollte im Oktober erzählen, dass der 44. Präsident der Vereinigten Staaten zu verantworten hat, dass die Arbeitslosigkeit den 44. Monat in Folge über 8 Prozent liegt. Sie ist nur im September auf 7,8% gesunken. Bad luck for Mitt. Die Artikel darüber, dass das „closing argument“ von Romney nicht funktioniert, füllten Seiten und halbe TV-Sendungen. Das Finale von Barack Obama dagegen lässt sich gut an. Das liegt auch daran, dass sein „closing argument“ geschickt seine zwei wesentlichen Botschaften – Romneys Unverlässlichkeit und den Kampf um die von Frauen eindeutig befürwortete Gesundheitsreform – vereint. Und dass ihm ein republikanischer Knallkopf aus Indiana zur Hilfe eilt.

vergesst die umfragen

Barack Obama hat heute Nacht die Grundlage für einen Sieg am 6. November gelegt. Vergesst die inhaltlichen Details – es geht so kurz vor einer Wahl nicht mehr um Themen, sondern um das, was sie auf der anderen Seite des Atlantiks Momentum nennen. Wir würden „politische Großwetterlage“ dazu sagen. Wichtig ist, dass die Menschen zu dieser Stunde in Tampa, in Cincinnati, in Des Moines und in Reno in den Morgennachrichten hören, wer gewonnen hat. Da sind die Umfragen unzweifelhaft, nur der Abstand variiert.

Telefone laufen heiß

Damit ist das Rennen natürlich noch nicht gelaufen: Jetzt entscheiden die Füße. Eine so knappe Wahl, wie die in zwei Wochen bevorstehende, wird unter dem Radar der nationalen Berichterstattung entschieden. Schaffen es die Romney-Leute im umkämpften Bundesstaat Virginia, Obamas Bemerkung über Schiffe, Pferde und Bajonette als gegen die Marine gerichtet zu drehen? Das könnte im Staat mit dem größten militärischen Hafen der Welt entscheidend sein. Um den Patzer von Romney in diese Richtung zu drehen, reichen aber keine bösen Werbespots. Mindestens so wichtig für die Deutungshoheit einer Kampagne sind überzeugende Freiwillige, die von Tür zu Tür rennen oder ihr Telefon heiß laufen lassen und mit ihren MitbürgerInnen über die Wahl diskutieren.

Anderes Beispiel, die Auto-Industrie. Meiner Ansicht nach war Mitt Romney schlecht beraten, auf Obamas diesbezügliche Attacke einzugehen. Er musste damit 5 Minuten lang über ein Thema reden, das Obama dem rettenden Ufer im 18 Wahlmänner starken wahlentscheidenden Flächenstaat Ohio näher bringt. Aber wieder: Vorausgesetzt, zehntausende gut gebriefte Freiwillige werden von der Kampagne zeitnah mit den besten Argumenten ausgestattet und sind in der Lage, den aufgelegten Elfer auch reinzudrücken.

Symbolpolitik setzt den Rahmen, „ground game“ entscheidet

Die mediale Aufmerksamkeit richtet sich jetzt auf die Frage, wer von den beiden Kandidaten in den verbleibenden zwei Wochen in welchem Bundesstaat wieviele Reden hält. Freilich hat das Symbolcharakter, keine Frage. Aber auch der Anreiz dieser ’stump speeches‘ hat etwas mit der Mobilisierung der Freiwilligen zu tun. Erstens ist eine Rede in einer halb leeren Turnhalle peinlich. Und zweitens ist ein Ticket für eine große Abschlussveranstaltung ein toller Anreiz für Freiwillige, sich noch mehr anzustrengen und noch mehr Telefonanrufe zu machen.

Ich trau mich deswegen zu sagen: Die Debatte nachzuschauen, ist etwas für Politik-Nerds und für außenpolitisch sehr Interessierte, die jedes Wort einer Denkschule zuordnen können. Aber vergesst die 48-48 Umfragen aus Ohio, Florida und Virginia. Alles unter 50% ist schlicht nicht vorherzusagen. Jetzt entscheiden die Freiwilligen.

get out the vote

Bei US-Wahlen nehmen wesentlich weniger Menschen ihr Stimmrecht wahr, als hierzulande. Bei Präsidentschaftswahlen liegt die Wahlbeteiligung der letzten Jahre bei knapp über 50%, bei den Kongresswahlen, die versetzt im 4-Jahres-Rhythmus stattfinden, wählen noch weniger BürgerInnen. Dadurch kommt der Mobilisierung der eigenen ParteigängerInnen noch wesentlich mehr Bedeutung zu, als bei Wahlgängen, an denen 80% oder mehr ihre Stimme abgeben.

Im Mittelpunkt der Kampagnen von Barack Obama und Mitt Romney werden deshalb in den nächsten Wochen nicht nur die umkämpften „Independents“ stehen, sondern auch der Versuch, durch Polarisierung und Emotionalisierung die eigenen Leute möglichst vollständig an den Wahlurnen zu versammeln. „Get out the vote efforts“ ist das Buzzword der US-Politik, wenn es um diese Dramatisierung geht. Wie wichtig diese Bemühungen sind, zeigt eine viel zu wenig beachtete Zahl der Wahl 2008, als Barack Obama Präsident wurde. Hätten nämlich 2008 nur die BürgerInnen gewählt, die auch 2004 ihre Stimmen abgegeben hatten, wäre wahrscheinlich John McCain US-Präsident geworden und das Duell dieses Herbsts hieße Hillary Clinton gegen John McCain. Aber Barack Obama hat landesweit mehrere Millionen „neue“ BürgerInnen zum Wählen gebracht und die haben ihn weit über die magische Anzahl von 270 Stimmen im Electoral College gehoben.

wie obama 2008 gewann

Diese neuen WählerInnen sind aber nicht von selbst gekommen, sondern der Mobilisierung liegt jahrelange, höchst professionelle Vorbereitung zu Grunde. Inhaltlich hat Barack Obama seine Kernbotschaft jahrelang immer lauter an immer prominenteren Plätzen angebracht: „There is no liberal America and a conservative America, there are no red states and blue states, there is no black, white and latino America, there is the United States of America“, kommt bereits 2004 in einer berühmt gewordenen Parteitagsrede vor und bleibt über die Amtseinführung im Februar 2009 hinaus der rote Faden. Sticking to the message, das Festhalten an einer Botschaft, macht Barack Obama zur unverwechselbaren Marke.

Organisatorisch hat die Obama-Kampagne früh sehr viel Geld in Field Offices investiert, die vor Ort Dinner Parties organisiert haben, zu Convention Nights geladen haben und natürlich von Haustür zu Haustür gegangen sind. Diese Field Offices gab es schon vor den innerparteilichen Vorwahlen, die ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl begannen. Auf sie konnte die Obama-Kampagne dann natürlich auch im Hauptwahlgang zurückgreifen. Essenziell dabei ist der Ansatz von Community Building, den Obama bereits aus seiner Sozialarbeiter-Tätigkeit in den Suburbs von Chicago mitbrachte. Modernste Technologien ließen Menschen schnell und einfach herausfinden, wer in ihrer Nachbarschaft noch bereit wäre, den Kandidaten zu unterstützen. Wer besonders viele Anrufe „on behalf of Barack“ tätigte, konnte ein Abendessen mit dem Kandidaten gewinnen und vieles mehr. Und schließlich waren die Gruppen unterwegs, um in benachteiligten Stadtteilen schlichte Aufklärungsarbeit zu leisten: Wie registriert man sich als Wählerin? Wo ist das Wahllokal? Was mach ich mit diesen vielen bunten Zetteln zu Volksabstimmungen und anderen Wahlgängen, die da auch noch in dem Kuvert sind? Ganz banale Fragen, die viele AmerikanerInnen vom Wählen abhalten.

wie obama 2012 gewinnt

Und heute, 2012? Da hat Barack Obama einen ganz entscheidenden Vorteil: 35% der AmerikanerInnen bezeichnen sich als eher der Partei des Präsidenten zugewandt, nur 30% jener von Herausforderer Mitt Romney. Seit dem prägt das Schlagwort vom „enthusiasm gap“ den US-Diskurs. Wenn es Obama gelingen sollte, einen gleich großen Anteil der demokratischen UnterstützerInnen auch tatsächlich an die Urnen zu bringen, wie das für Mitt Romney für die RepublikanerInnen tut, ist die Wiederwahl gesichert. Das soll die massive Aufmerksamkeit garantieren, die US-Stars und Sternchen aus spezifischen demokratischen Communities garantieren. Etwa Hollywood-Star Eva Longoria und der populäre Bürgermeister von San Antonia, Julian Castro, für die rasend wachsende Minderheit der spanischstämmigen US-AmerikanerInnen. Oder Scarlett Johansen als Identifikationsfigur für junge Aufsteigerinnen. Kerry Washington als junge schwarze Schauspielerin oder etwa George Clooney als Frauenmagnet.

Und, last but not least, die Asse im Kampf um die über 30% nicht deklarierten WählerInnen: turncoats, also ParteiwechslerInnen. 2008 hatte ein „turncoat“ den Swing State Pennsylvania für Barack Obama gesichert: Arlen Spector war noch als US-Senator von der republikanischen zur demokratischen Partei gewechselt und hat dann die Werbetrommel für Obama gerührt. Im Florida tourt derzeit Charlie Crist für Barack Obama. Der Mann war Gouverneur, also Staatsschef des Sunshine State, verlor dann aber die parteiinterne Vorwahl um einen Senats-Sitz. Wenn der Präsident Florida gewinnt, ist ihm die Wiederwahl nicht zu nehmen.

 

das electoral college verstehen

270 ist die magische Zahl. Wer 270 Wahlmänner und -frauen gewinnt, ist als US-Präsidentin gewählt. Stimmen fürs Electoral College gewinnt man, indem man einzelne Bundesstaaten für sich entscheidet. Und zwar mit einer relativen Mehrheit der Stimmen – es müssen nicht 50% sein. Florida bringt zum Beispiel 29 Stimmen im Electoral College, Michigan 16, kleinere Staaten wie Nevada oder Iowa fünf. Wer in Florida am meisten Stimmen macht, selbst wenn es bei mehr als zwei Kandidaturen nur 48% sind, kriegt alle 29 Stimmen für’s Electoral College.

Das heißt auch: In fast allen Bundesstaaten findet kein Wahlkampf statt. Sie sind „red states“, also republikanisch und „blue states“, also demokratisch. Klassisch demokratisch sind die Pazifikküste, die großen Industriestaaten um die großen Seen an der Grenze zu Kanada und die Staaten am Atlantik nördlich der früheren Bürgerkriegslinie. Klassisch republikanisch sind der sogenannte „bible belt“ im Südosten des Landes, der Mittlere Westen und alles dazwischen.

die hauptstadt wächst in republikanisches kernland

Wahlgekämpft wird dafür umso intensiver in den sogenannten „Swing States“. Das sind Bundesstaaten, bei denen das Ergebnis nicht aufgrund der politischen Struktur schon vorhersehbar ist. Die Swing States sind meist Staaten mit einer sehr stark durchmischten Bevölkerung. Das können Staaten sein, wo sich etwa die BewohnerInnen von Großsstädten und ländlicher Gegenden anzahlmäßig die Waage halten. Oder Staaten, in denen frühere ethnische Minderheiten einen immer größeren Anteil der Gesamtbevölkerung ausmachen.

Ich will das am Beispiel von Virginia ein bißchen genauer erklären. Virginia war immer ein tiefroter, also republikanischer Staat. Das hat sich langsam geändert, als die Vorstädte der tief “blauen“, also demokratischen Hauptstadt Washington D.C., die je eigentlich ein eigener Staat ist, weit nach Virginia hinein gewachsen sind. Gleichzeitig gibt es in Virginia einen wachsenden Anteil afroamerikanischer Bevölkerung, die nach vielen Jahren politischer Abstinenz unter anderem durch die Kandidatur von Barack Obama motiviert wurde, wieder wählen zu gehen. Und 2008 passierte im ehemals tiefrepublikanischen Staat tatsächlich die Überraschung: Seit 1964 bekam das erste Mal wieder ein demokratischer Präsidentschaftskandidat die Mehrheit der Stimmen.

Die Swing States von 2012 hat bei der letzten Wahl alle Barack Obama gewonnen. Der Wahlerfolg gegen John McCain war außergewöhnlich hoch. Für die Wahlen im November reicht es schon, wenn Obama die Hälfte der Staaten gewinnt. Die 9 Staaten, deren Ausgang nicht schon von vornherein klar ist, sind Nevada, Colorado, Iowa, Wisconsin, Ohio, Virginia, North Carolina, New Hampshire und Florida.

so gewinnt mitt romney

Und wer braucht jetzt welche Staaten, um am 6. November zu gewinnen? Von demokratischer Seite ist die Rechnung ein bißchen kompliziert. Von republikanischer Seite gibt’s eine recht einfache Faustregel. Sie heißt 3 + 2 + 1. Mitt Romney muss die drei republikanischen Kernstaaten zurückgewinnen, die Barack Obama 2008 gewonnen hat. Das sind Indiana (wird passieren), North Carolina (wahrscheinlich) und Florida (da steht’s Spitz auf Knopf). Dazu muss Romney die zwei ehemals republikanischen Kerngebiete gewinnen, die seit 2008 Swing States sind – nämlich Virginia (Spitz auf Knopf) und Ohio (da liegt Obama vorne). Das sind die 3+2, die Romney gewinnen muss. Und wenn er dann noch einen der restlichen kleinen Swing States dazugewinnt, egal welchen, landet er über 270 Stimmen im Electoral College und ist damit 45. Präsident der Vereinigten Staaten.

Das Problem ist nur: Die Chancen dafür, dass das alles passiert, stehen schlecht. Wenn Barack Obama einen der drei bevölkerungsreichsten Swing States – Florida, Ohio oder Virginia – gewinnt, gibt es keine realistische Variante mehr für Romney, den Amtsinhaber zu schlagen. „Run the board“ nennen die auf CNN das, was Mitt Romney tun muss: Fast alles gewinnen, was im Moment offen ist.

a big night for barack obama

Was für eine Wahlnacht: Drei Stunden mussten Polit-Junkies wie ich darauf warten, dass auch die letzten drei Wahllokale ausgezählt waren und klar war, dass der republikanische Präsidentschaftsbewerber Rick Santorum nicht den ganz großen Preis gewonnen hat: Den Sieg bei den ersten Vorwahlen in Iowa. 8 Stimmen waren es, die Santorum am Schluss auf den haushohen Favoriten auf das republikanische Ticket, Mitt Romney, gefehlt haben.

Wichtiger als die 8 Stimmen sind aber, behaupte ich, 6 Stimmen.Nämlich die 6 Stimmen, die Romney gestern weniger in Iowa bekommen hat, als bei den Iowa caucuses 2008. Sie offenbaren das Dilemma, in dem die Grand Old Party steckt: Ihr kaum mehr zu schlagender frontrunner kommt in einem der wichtigen Swing States für die Präsidentschaftswahl nicht über 25% Unterstützung aus der eigenen Partei hinaus. Mitt Romney wird, wenn kein Watergate passiert, im November gegen Barack Obama antreten. Aber der Amtsinhaber kann seit gestern wieder ruhiger schlafen.

Die Mehrheit der RepublikanerInnen in Iowa hat gestern nämlich für einen rechtskonservativen Kandidaten oder für eine Kandidatin aus dem Lager der Tea Party gestimmt: 25% für Santorum, 13 für Gingrich, 10 für Perry und 5 für Bachmann, sind in Summe 53%. Dazu kommen noch die SympathisantInnen der Tea Party, die sich von der konservativen Galionsfigur Rand Paul überreden haben lassen, dessen Vater zu wählen, der aber kein rechtskonservativer, sondern ein libertärer Querdenker ist. Spätestens nach den übernächsten Vorwahlen in South Carolina werden zwei dieser vier ‚true conservatives‘ aus dem Rennen sein. Der Kuchen für die beiden Verbleibenden – ich tippe auf Santorum und Gingrich – wird größer. Romney kann zwar die größte Minderheit auf sich vereinen – und zwar demnächst in New Hampshire noch eine deutlich größere Minderheit, als gestern in Iowa. Aber die Mehrheit der RepublikanerInnen gewinnt Romney höchstens in einer ‚Anything but Obama‘-Stimmung.

Das lässt nur einen Schluss zu: Der vermutliche republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney wird sich als Vizepräsidentschaftskandidaten oder -kandidatin jemanden aus den Reihen der Tea Party holen müssen. Ein moderater Republikaner könnte Obama schlagen. Aber ein moderater Republikaner mit einem radikalen ‚runnig mate‘? Obskure religiöse FanatikerInnen den sprichwörtlichen ‚heartbeat away from the White House‘? Das hatten wir doch schon einmal.