häuslrepublik

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Über welche Menschen in Wahlkämpfen gesprochen wird, sagt viel darüber aus, wessen Bedürfnisse im Mittelpunkt der Interesse der Parteien stehen. Insofern ist der BZÖ-Versuch, mit dem Plakatieren von „Patchwork-Familien“ zu punkten, richtig innovativ. Der Oscar für die meistgenannte Bevölkerungsgruppe neben Stronachs Dauerschleife „Funktionäre“ geht aber an die Immobilien-ErbInnen. Unterschiedliche Freigrenzen bei den Vorschlägen zu einer Vermögensbesteuerung in den Modellen von SPÖ (1 Million) und Grünen (500.000 Euro) sind Anlass für JournalistInnen und Klientelparteien der Vermögenden, mit frei erfundenen Einzelbeispielen zu beweisen zu wollen, dass eine minimale Besteuerung der reichsten 5% der ÖsterreicherInnen ganze Familien in den Ruin treibe.

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eure kinder werden so wie wir

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Das nette Lächeln, das mitfühlende G’schau, das aktive Zuhören. Das es geht doch um die Kinder in jedem zweiten Satz, die Sorge in der Stimme, die Verantwortung auf der Stirn. Dauernd Familie und Generationen sagen, aber Sekunden später gleichgeschlechtlich Liebende und lebende Familien anpatzen. Das froh sein, „eine persönliche Geschichte“ gehört zu haben, um sie gleich wieder wegzureden und als Ausnahme darstellen zu können. Und dann, zum Schluss „Umerziehung“ zur gleichberechtigten Darstellung verschiedener sexueller Orientierungen sagen: Gudrun Veronika Kugler hat mich heute zur Weißglut getrieben. Weil ich dieses zynische Nett-tun satt hab, hinter dem sich bornierter Gleichschaltungswunsch und blanker Hass gegenüber Homosexuellen versteckt.

von der kernfamilie zur kernfrage

Die Theologin war heute zu Gast im Puls 4–Format „Pro/Contra“ – eine Diskussionssendung über die LehrerInnenbroschüre „Ganz schön intim“, die sich mit sexueller Aufklärung von 6-12jährigen befasst. Die Broschüre ist ein Unterrichtsbehelf mit Vorschlägen für eine respektvolle, umsichtige Annäherung an verschiedene Sexualitäten und bricht damit mit dem heteronormativen Bild von Liebe. Vorneweg: die Broschüre stellt an einigen Stellen Familienformen vor, die das österreichische Recht noch nicht als legal sieht, die aber trotzdem längst gesellschaftliche Realität sind. So wie Schwangerschaftsabbruch übrigens, der zwar straffrei gestellt, aber de iure nicht erlaubt ist. Schnell war die Diskussion da angekommen, wo sie die militanten Homophoben am Podium und im Publikum haben wollten: Ist Homosexualität normal? Darf man Kindern das zeigen? Sollen homosexuelle Menschen Kinder adoptieren dürfen.

Langsam platzte es heraus aus den ach so verständnisvollen Radikalos. Da ein „Kindesmissbrauch“ für die Erziehung von Kindern in einer nicht-heterosexuellen PartnerInnenschaft – kurz nachdem zwei Reihen weiter vorne eine lesbische Mutter von ihrer Freundin und ihrem Sohn erzählt hatte. Und der Schlussakkord: „Umerziehung“ für eine Broschüre, die längst real gewordene Beziehungs- und Familienformen nicht mehr unter den Tisch fallen lässt, sondern thematisiert und existieren lässt.

einladungspolitik ist politik

Ich bin es leid, dass diese sich so brav und anständig gebärdende Meute den öffentlichen Diskurs dominiert. Ich bin es leid, dass junge Menschen wegen dieser organisierten Hetzpartie ihre vermeintlich von der Norm abweichenden Liebes-, Beziehungs- und Sexualvorstellungen verleugnen müssen. Und Schlimmeres. Ich bin es leid, dass strukturell diskriminierende Pauschalurteile in der veröffentlichten Debatte so abgebildet werden, als wären sie ganz normale Meinungen von ganz normalen BürgerInnen, JuristInnen und Eltern. Deren Kindern kann man nur eine ordentliche Pubertät und ganz viel Rebellion wünschen. Aber die anderen Kinder und ihre vielfältigen Lebensträume kann man vor den HetzerInnen und ihrer repressiven Moral schützen.

Demokratischer Diskurs ist nicht, wenn Alle gar alles sagen dürfen, was ihnen in den Kram passt. Demokratie verlangt auch, dass systematische grobe Respektlosigkeiten gegenüber großen Gruppen von Menschen erst gar keine Plattform bekommen. Zensur wäre, Gudrun Veronika Kugler das Mikro abzudrehen. Sie erst gar nicht einzuladen, wäre ein Zeichen journalistischer Verantwortung gewesen.

Menschenverachtend.

70 AsylwerberInnen trotzen der Kälte im windigen Votivpark. Da, wo auf allen Seiten Autos, Busse, Bims und Fahrräder vorbeifahren, wollen sie auf ihre hoffnungslose Situation und auf die desaströse Flüchtlingspolitik in diesem Land aufmerksam machen. Jahrelanges, nervenzermürbendes Warten inmitten des geschäftigen Treibens. Sie sind zu Fuß aus Niederösterreich nach Wien gekommen. Von ihren Geschichte, die sie heute erzählt haben, ist mir noch kälter geworden.

Die FPÖ-Bonzen sind heute mit ihren Dienstchauffeuren nach Traiskirchen gefahren. Sie haben dort das Lager besichtigt und dann gefunden, das sei eine Zumutung. Für die AnrainerInnen nämlich. Kein Wort von den Schicksalen der Heimatlosen, denen diese Republik keine menschenwürdige Bleibe zur Verfügung stellt. Nicht einmal auf Zeit.

Ich find das menschenverachtend. Und jene, die sich die Rassisten und Rassistinnen als Koalitionstrumpf in der Hinterhand halten, sind an der Legitimation dieses Irrsinns mit schuld.

lieber standard: zitront euch doch selbst

Es ist ja beinahe ungewollt aufklärerisch, was Österreichs renommierteste Tageszeitung in diesen Tagen zulässt. Die aberwitzige Melange der im „Standard“ veröffentlichten Kommentare zeigt, dass die Errungenschaften der Frauenbewegung und der ArbeiterInnenbewegung nicht sicher sind. Jetzt kann man das natürlich „freie Meinungsäußerung“ nennen, was eine selbsterklärte Antifeministin, die bereitwillig auf Antifeministen-Kongressen referiert, von sich gibt. Bei einer Organisation, deren Logo wir irgendwoher aus der Antifa kennen (siehe Bild). Irgendwer findet sicher auch den Wunsch nach der Wiedereinführung der Kinderarbeit ein lustiges Gedankenspiel.

Aber der „Standard“ ist nicht das Forum der Piratenpartei, in dem Hinz und Kunz sich ohne Zugangsschranken vor sehr speziellem Publikum verbal die Fressen panieren. Der „Standard“ ist eine Qualitätszeitung. Eine Bastion des liberalen Österreichs. Mit einer ganzen Reihe verdienter JournalistInnen aus allen Ressorts, die bei der Auswahl ihrer Artikel nicht den Anschein der Schimäre „Objektivität“ erwecken wollen, sondern regelmäßig auch Partei ergreifen. Mir fällt da an erster Stelle Irene Brickner ein, ohne die ein paar weniger Grauslichkeiten österreichischer Asylpolitik bekannt würden und die in der Auswahl ihrer Artikel und mit den Statements in ihren Kommentaren auch Sprachrohr tausender in diesem Land um die Menschenrechte Engagierter ist.

Genau wie sich Matthias Cremer seine Fotomotive, wie sich Hans Rauscher sein Einserkastl und wie sich Gudrun Harrer den Fokus ihrer Analysen aussuchen, sucht sich auch die LeserInnenbrief-Redaktion aus, welche Schreiben veröffentlicht werden und welche nicht. Soll mir also niemand mit „objektiv“ und „freier Meinungsäußerung“ kommen. Da sitzen RedakteurInnen, die eine Auswahl treffen. Und weil die letzte Standard-Doppelseite das einzige Feuilleton-artige am österreichischen Tageszeitungs-Markt ist, ist sie besonders meinungsbildend. Das ist eine ordentliche Portion Verantwortung auf den Schultern der zuständigen Redakteure (ohne Innen, so weit ich weiß). Die ergreifen auch Partei. Und haben, wie Eva Maltschnig vor kurzem aufgezeigt hat, schon bisher einen sehr speziellen Fokus bei Gender-Themen gehabt. Letztes tristes Highlight: Ein redaktionell veröffentlichter Kommentar, der irgendwo zwischen Jeannee und Franz Weinpolter Platz finden hätte können. Aber nicht in einer Qualitätszeitung. Zitront euch doch selbst.

Und wenn man glaubt, es geht nicht mehr schlimmer, kommt irgendwo ein antisemitischer Jude, eine rassistische Ausländerin, ein homophober Schwuler oder eben eine antifeministische Frau daher. Wenige Tage, nachdem der Atheisten-Aktivist Laizitäts-Befürworter Niko Alm die Haltung der Religionsgemeinschaften in der Debatte um die männliche Beschneidung in der Überschrift „Vergewaltigung“ nennen darf und der „Standard“ das druckt veröffentlicht, erzählt die weibliche Ikone der Maskulistenbewegung die rührende Geschichte von einem armen Mann, dessen Frau einfach so ins Frauenhaus geflohen ist, um ihm das Kind zu entziehen. Und was für ein Mann: Braungebrannt, Flugzeug-Pilot war er gewesen – jetzt ist er mager. Einen Herzinfarkt hat er gehabt. Die Frau und die „lila Keule“ des Feminismus haben ihm zugesetzt. En passant watscht die Autorin des Kommentars noch die Einrichtung von Frauenhäusern an sich. Die letzte Zuflucht für gewaltgeplagte Frauen bringt Monika Ebeling mit „feministischen Kriegshetzerinnen“ in Verbindung. Was für ein Bild: feministische Kriegshetzerinnen in den 70ern, als Vietnam brannte und an den Nebenfronten des Kalten Kriegs Millionen verreckten.

Vorsicht: Ich will nicht bestreiten, dass das Familienrecht nach Reformen schreit. Das Besuchsrecht für Väter ist nicht optimal geregelt. Die automatische gemeinsame Obsorge halte ich für Schmähfuh, aber wir können sie zivilisiert diskutieren. Genau das verunmöglicht aber das redaktionelle Veröffentlichen eines Kommentars wie jenes von Monika Ebeling. Da erzählt uns Eine ernsthaft, Frauenhäuser wären strategische Stationen in Ehestreitigkeiten um Kinder. Da wirft Eine die Themen Gewalt in der Familie, Geschlechterquoten in den ChefInnenetagen und eine Tränendrüsen-Geschichte zusammen, um konsequent ihre Agenda zu verfolgen: eine stringende antifeministische Agenda nämlich. Die kann sie ja ruhig haben, die Frau Ebeling. Aber eine Qualitätszeitung darf so einen Kommentar nicht abdrucken. Man stelle sich einen „Standard“-Kommentar vor, der ähnlich rassistisch ist, wie Ebelings Text antifeministisch. Never gonna happen.

drei bedingungen für die beschneidungsdebatte

So, jetzt hab ich mich von Berufs wegen für diesen Blog-Eintrag doch in die Beschneidungs-Debatte eingelesen. Drei Dinge, die ich wichtig find – als Prämissen für einen sensiblen, respektvollen und zielführenden Umgang mit diesem Thema.

 

  1. Murphys Gesetz

Es gibt für jedes Problem eine einfache, falsche Lösung. So wie alles, was in den letzten Wochen haudraufmäßig beschlossen wurde. Wenn die Beschneidung tatsächlich so furchtbar wäre, wie manche heute mit drastischen Bildern von blutverschmierten Babies beweisen wollen und wenn die Praxis mit einem Verbot morgen gestoppt wäre, könnte man das diskutieren. Wie war das auch schon in der Debatte über Schwangerschaftsabbruch (Achtung: keine Gleichsetzung der Eingriffe!)? Wenn ihr das verbietet, wird’s teurer, unhygienischer und gefährlicher. Wie war das mit dem Kopftuchverbot in Schulen (Achtung: keine Gleichsetzung)? Wenn ihr die Kopftücher verbietet, werden die religiösen Privateinrichtungen aus dem Boden schießen. Wenn wir von heute auf morgen keine Jungen vor der Beschneidung schützen können, dürfen wir sie auch nicht von heute auf morgen verbieten. Das schadet nämlich nur: den Betroffenen, der politischen Klima und dem interreligiösen Dialog.

  1. Identitätsthemen sind leicht für Außenstehende

Na logo find ich es absurd, dass acht Tage alte Menschen einen medizinisch unnötigen Eingriff über sich ergehen lassen müssen. Das kann ich aber auch leicht sagen, weil das nicht einer der zentralen Momente meines Glaubens ist. Da hab ich’s als Atheist sehr einfach. Dass sich Juden und Jüdinnen angegriffen fühlen wenn ein (wenn auch fragwürdiges) zentrales Element ihrer Glaubenslehre, das 65 Jahre lang unbestritten war in diesem Land, auf einmal Objekt einer Verbotsdebatte wird. Das rechtfertigt nicht den mehr als schrägen Holocaust-Vergleich von Ariel Muzicant. Aber es erklärt die Emotion der Glaubensvertreter, wenn das Judentum und der Islam von heute auf morgen von vielen ihrer eigentlichen BündnispartnerInnen, der pluralistischen Linken, so massiv stark angegriffen werden.

  1. „Genitalverstümmelung“ ist nicht gleich Genitalverstümmelung

Die männliche „Genitalverstümmelung“ zieht: Ich kann mich an keine so lebhafte Debatte im deutschen Sprachraum über weibliche Genitalverstümmelung erinnern, seit 15 Jahren nicht. Trotzdem führen zahlreiche selbsternannte Gleichberechtigungskämpfer den Vergleich der Eingriffe spazieren. Das ist völlig unpassend. Einerseits, weil die weibliche Genitalverstümmelung offenbar nie so viele Leute interessiert hat, wie jetzt die männliche Beschneidung. Und zweitens, weil der Vergleich schlicht nicht stimmt. Die Entfernung von Klitoris und Schamlippen hat mit der Beschneidung der Vorhaut soviel zu tun, wie eine Zahnfüllung mit einer Wurzelbehandlung.

Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann man gemeinsam mit Vertretern und hoffentlich auch Vertreterinnen der Glaubensgemeinschaften einen Dialog über die männliche Beschneidung führen. Haudrauf und Fahrdrüber befriedigt zwar die Seelen vieler Rechter und leider auch mancher Linker. Mit dem Kindeswohl hat das aber überhaupt nichts mehr zu tun.

wie bürgerInnen zweiter klasse

„Österreich kann es sich nicht leisten…“ – Sätze die so anfangen, enden mit einer ökonomischen Argumentation über die Notwendigkeit von Bildungsreformen. Schön und gut, das mag ja alles sein. Aber wenn es wirtschaftlich sinnvoll wäre, Kinder früh in verschiedene Schulen aufzuteilen, Eliten zu fördern und die Kinder der unteren 50% ohne Weichen auf die Ausbildungsschienen ihrer Eltern zu stellen, wären die UnterstützerInnen des Bildungsvolksbegehrens trotzdem dagegen.

Ich will die Gerechtigkeitsfrage nicht von ökonomischen Parametern abhängig gemacht sehen. Der Blick auf die einzelnen, von der verfahrenen Bildungssituation am meisten betroffenen Menschen, ist schärfer. Im Innsbrucker Caritas Integrationshaus helfe ich einmal in der Woche Kindern beim Hausaufgaben machen. Es sind MigrantInnenkinder. Eine bunte Mischung aus Kindern aus bildungsorientierten und bildungsfernen Elternhäusern, aus braven und aus schlimmen, aus motivierten und aus schwerer zu motivierenden Kindern. Aber eines haben sie fast alle gemeinsam, bei denen zuhause nicht deutsch gesprochen wird: Sie tun sich grammatikalisch schwer, sie bringen komplizierte Satzkonstruktionen nicht zu Ende, sie konjugieren Hilfszeitwörter falsch. Da gibt es Kinder mit enormem Wissensdrang, die ihre Biologie-Aufgaben im Garten des Integrationshauses praktisch überprüfen, da gibt es RechenkönigInnen, kreative kleine KünstlerInnen und Kinder mit einem schier unglaublichen Erinnerungsvermögen. Ins Gymnasium werden sie es alle nicht schaffen.

Dieser Misere muss man drei Schritte entgegensetzen. Erstens: Wir müssen so früh wie möglich, und wenn nötig mit Zwang, dafür sorgen, dass diese Kinder deutsch lernen. Einverstanden. Weiter geht die Diskussion momentan leider nicht. Es fehlt zweitens: Wir müssen es Kindern, in deren Elternhäusern verschiedene Sprachen gesprochen werden ermöglichen, ihre Muttersprache zu perfektionieren, weil sie Voraussetzung ist, dass sie eine zweite Sprache perfekt lernen. Und es fehlt drittens: Wir müssen dafür sorgen, dass bei 10jährigen nicht aufgrund nicht perfekter Sprachkenntnisse die musischen, naturwissenschaftlichen oder kreativen Begabungen brach gelegt werden.

Und auch wenn das böse G-Wort aus dem Text des Volksbegehrens gestrichen wurde: Mir ist egal, ob die Gesamtschule ökonomisch attraktiver ist. Wenn Bildung emanzipatorisch sein soll, dann doch am allermeisten beim Ermöglichen des Ausbruchs aus festgefahrenen sozialen Strukturen. Die Gesamtschule ist gerechter, sie lässt Kindern mehr verschiedene Wege offen. Sie verhindert, dass sich die Kinder im Innsbrucker Integrationshaus mit 10 schon fühlen, wie BürgerInnen zweiter Klasse.Ob man das will, sollte nicht von Standortfragen abhängen.

(zuerst publiziert auf http://www.bildungsdeck.at/blog)

wenn ich werner faymann wäre

Die Verniederösterreichisierung der Volkspartei schreitet voran. Der neue ÖVP-Chef Spindelegger, vorgestern noch „starker Mann“ mit „Generalvollmacht“, wird keine ruhigen Ostern haben: Begehrlichkeiten aus dem ÖVP-Bund, Pöstchen für dieses und Funktiönchen für jenes Bundesland. Wer immer noch glaubt, das Spindelegger auch nur eine Skizze für eine „ÖVP neu“ entwerfen dürfe, kennt die Landeshäuptlinge und die Bündefürsten der Volkspartei schlecht.

Und das angesichts von 22% für die ÖVP in den Umfragen. Angesichts eines historischen Tiefstands, in dem sämtliche ehemaligen Freunderln sich sogar von Ernst Strasser lossagen. Von jenem Strasser, der einst ein Shooting-Star der ÖVP war, wie Spindelegger heute. Gleichzeitig ist überall die Rede von der Reformfähigkeit der Volkspartei, von der Anpassung des Programms an die Lebensrealität der in Ballungszentren lebenden ÖsterreicherInnen, die immer mehr und unter denen die ÖVP-WählerInnen immer weniger werden. In seiner Forderung nach einer programmatischen Neuausrichung hat ja dem heute im Kreuzfeuer stehenden Wirtschaftskammer-Präsidenten niemand widersprochen – nur den neuen schwachen Parteichef darf ja niemand angreifen und damit seine Hintermänner enttarnen.

Also: Wenn ich Werner Faymann wäre, würde ich meine Bildungsministerin bitten, morgen ein neues Ganztags- und Gesamtschulkonzept auf den Tisch und es dann im Parlament zur Abstimmung vorzulegen. Wenn ich Werner Faymann wäre, tät die Verteilungsgerechtigkeits-Kampagne nur so scheppern und es würde Vermögenssteuer-Offensiven und Transparenz-Initiativen nur so regnen angesichts dessen, dass die „Wos woa mei Leistung“-ÖVP jetzt auf einmal über Leistungsgerechtigkeit reden will. Wenn ich Werner Faymann wäre, würd ich eines der gesellschaftspolitischen Themen aufs Tapet bringen, bei dem die Mehrheit der ÖsterreicherInnen längst liberaler ist, als die ÖVP – die Homo-Ehe zum Beispiel. Wenn ich Werner Faymann wäre, würde ich die im Parlament vorhandene Mehrheit für eine Volksabstimmung über die Wehrpflicht mobilisieren.

Lauter Gelgenheiten für die SPÖ, Profil zu zeigen. Lauter Gelgenheiten für Spindelegger, die BlockiererInnen in seiner Partei unter Durck zu setzen und die Reformfähigkeit der ÖVP unter Beweis zu stellen. Ich bin aber nicht Werner Faymann. Und der glaubt immer noch, eine Koalition wäre eine Ehe und nicht auch der Kampf um die relative Mehrheit in diesem Land. Und den sollte man anders führen, als eine Mediation bei einer Ehekrise. Vor allem in Kenntnis der Alternativen.

ein notwendiges übel

Ich starte mit Zugeständnissen. Meine feministischen FreundInnen finden das unnötig. Man räume damit den Kampfplatz und gebe schon nach, bevor man überhaupt angefangen habe, zu überzeugen. Trotzdem: Mit FeministInnen zu diskutieren, ist manchmal mühsam. Political correctness vom Purismus der Integrationsdebatte bis zum Anspruch auf Antiheteronormativität macht drei Viertel aller Witze kaputt, die mir einfallen. Gegenderte Sprache führt zu schrecklich hässlichen, bis zur Unleserlichkeit entstellten, Texten. Wenn feministische Subkulturen miteinander über Gleichheits- und Differenzfeminismus und über dekonstruktivistischen oder Postfeminismus streiten, muss ich an trotzkistische Sekten denken. Es nervt, wenn in Abrede gestellt wird, dass Buben geschlechtsspezifische Identitätsfindungsprobleme haben und in manchen spezifischen Konstellationen ärmer dran sind, als Mädchen. Ich würd mich ärgern, wenn ich einen tollen Job wegen einer Frauenquote nicht kriegen würd. Und es gibt in der Tat regelrechte Männerhasserinnen, mit denen jede Minute Gespräch eine verschwendete Minute ist.

Das haben sich die Männer in den 60er-Jahren wahrscheinlich auch gedacht, als die sogenannte zweite Welle des Feminismus losging. Heute wissen wir um ihre Errungenschaften vom modernen Familienrecht über die Straffreistellung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur vollkommenen Gleichberechtigung am Papier. Und wir wissen heute, dass Gesellschaften, die Männern und Frauen gleiche Chancen bieten und zu diesem Zweck auch das eine oder andere Zwangsinstrument verwenden, glücklicher, (kinder)reicher und friedlicher sind. Jetzt fällt der hundertste Weltfrauentag auf den Faschingsdienstag. Auf den Tag im Jahr, an dem Frauennotrufe und Gewaltschutzeinrichtungen Sonderschichten schieben, weil exzessiver Alkoholmissbrauch und männliche Gewalt gegen Frauen und Kinder leider wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge passen. Manchmal hat Meister Zufall skurill glückliche Einfälle und spielt der Lehrmeisterin Geschichte in die Hände. Nichts könnte die Notwendigkeit feministischen Engagements deutlicher unterstreichen, als eine traditionelle Sauforgie mit all ihren unschönen Konsequenzen am Internationalen Frauentag.

„I myself have never been able to find out precisely what feminism is; I only know that people call me a feminist whenever I express sentiments that differentiate me from a doormat“, schreibt die irisiche Schriftstellerin Rebecca West im Jahr, ja wirklich, 1913. Die Sache mit dem Fußabtreter mag fast 100 Jahre später nicht mehr so ganz stimmen. Aber wenn mehr als die Hälfte der Pensionistinnen keine eigenständige Pension haben, weil sie ein Leben lang bei ihren Männern mitversichert waren, ist das eine staatliche Einladung, das Abhängigkeitsverhältnis auszunutzen. Und wenn eine junge Frau heute 5 Jahre lang weg ist vom Arbeitsmarkt, hilft ich auch kein Müttergeld dagegen, dass sie keinen ordentlichen Job bekommt und dem Fußabtreter einen großen Schritt näher gekommen ist. Wer zahlt, schafft an, gilt in Ehen leider in zugespitzter Form.

Wenn also in Summe alle glücklicher werden, wenn diese Ungerechtigkeiten ausgeräumt sind? Warum wehren sich die meisten Männer dann mit Händen und Füßen gegen den Feminismus? Erstens, weil er ihnen Privilegien wegnimmt, die sich ihre Geschlechtsgenossen über Jahrhunderte herausgenommen haben. Und zweitens, weil sie nicht verstanden haben, dass sie von einer gleichberechtigten Gesellschaft auch profitieren. Am Beispiel Kindererziehung und Job wird das am deutlichsten. Wer die unbezahlte Familienarbeit nicht machen muss, macht die Regeln. Aber 60-Stunden-Wochen und Selbstverwirklichung ausschließlich im beruflichen Umfeld machen kaputt. Sie führen vom Burn-out über die Midlife Crisis direkt zum Herzinfarkt. Wer die unbezahlte Familienarbeit alleine machen muss und sich erfolgreich von der Gesellschaft einreden hat lassen, dass sich die Selbstverwirklichung nur mehr an den Schulnoten der Kinder und an der Anzahl der Geburtstagsgäste der Kleinen messen lässt, wird dumm.

Das werden die meisten von uns Männern aber nicht verstehen. Deswegen liegt es auch weiter an den Feministinnen und an den Feministen (wenn es so was in männlich geben kann), für eine gerechtere Welt zu sorgen. Dafür nehm ich das Mühsame von ganz oben gerne in Kauf. Mit Handkuss, quasi.