regiert von zwölfkommasieben prozent

Caspar Einem, Heide Schmidt, Ursula Plassnik. Drei der bekanntesten von unzähligen politischen Opfern der „Kronen Zeitung“. Das Schmierblatt ist zum Selbstläufer geworden. Hinter vorgehaltener Hand distanzieren sich zwar auch PolitikerInnen mit Grausen vom Kleinformat. Aber trotzdem sind das Guglhupf-Essen von Thomas Klestil und dem alten Hans Dichand und der vielzitierte erste PolitikerInnen-Blick am morgen in die Kronenzeitung sprichwörtlich geworden. Der Gusenbauer/Faymann-EU-Leserbrief war die einzige Bewerbung, die der heutige Bundeskanzler in seinem Leben geschrieben hat, haben wir am #dnp12-Kongress geflachst. Das Schmierblatt diktiert die Linie der demokratisch gewählten Regierung. Dabei legt die größte Studie über Wahlverhalten in Österreich, die je gemacht worden ist, nahe: Das müsste nicht sein.

Vorneweg: Das ist ein sehr kleiner Ausschnitt an den Unmengen von Daten, die das Team um die Forschungsleiter Fritz Plasser und Günther Lengauer in drei Jahren gesammelt und ausgewertet haben. Wer im Politgeschäft arbeitet, kommt nicht daran vorbei, sich mit der Wirkung von verschiedenen Werbemitteln, der Reichweiten der Medien, der Professionalisierung von Wahlkämpfen und der Rolle von Social Media zu beschäftigen. Deshalb kaufen!

angefüttert

So, zu den Zahlen: 12,7% der ÖsterreicherInnen lesen nur (!) die Kronenzeitung. Das sind 980.000 Menschen. Nicht gewählt haben bei der letzten Nationalratswahl 1,76 Millionen Menschen, also fast doppelt so viele. Nur Boulevardmedien (also Krone, Österreich, heute), lesen 24,3%. Das heißt aber auch: Drei Viertel der ÖsterreicherInnen, ungefähr so viele, wie wählen gehen, beziehen ihre politischen Informationen auch aus anderen Medien, als vom Boulevard. Der Zeitungsmarkt ist natürlich trotzdem trist. 26% lesen jeden Tag die Krone, 8% die Kleine, 6% täglich den Kurier, 5% die OÖN, 4% den Standard, 3% die Presse. Zum Vergleich: Frankfurter Allgemeine 2,5%, Süddeutsche 2%, Welt 1,7%. Da stehen Österreichs Qualitätsmedien gar nicht so schlecht dar.

Aber zurück zur Krone. Man kann die Zahlen ja mal umdrehen: 6 Millionen ÖsterreicherInnen lesen nicht nur Boulevardzeitungen, 7,3 Millionen ÖsterreicherInnen nicht nur die Krone. Die hat trotzdem eine marktbeherrschende Stellung, keine Frage. Aber die Zahlen spiegeln nicht wieder, dass ohne das Schmierblatt keine mehrheitsfähige Politik zu machen ist. Ganz im Gegenteil: 60% der ÖsterreicherInnen lesen weniger als ein Mal pro Woche oder gar nicht die Krone.

abhängig

Aber die Abhängigkeit vom Kleinformat ist so durchdringend im politischen Mainstream, dass sich viel zu viele im vorauseilenden Gehorsam üben. Und in ihren Mediaplänen den Riesen, den sie eigentlich verachten, auch noch so füttern, dass dessen beherrschende Marktstellung schon rein ökonomisch schwer zu durchbrechen ist. Wen’s interessiert, hier die Preise der Krone: Eine ganze Seite kostet ein mittelständisches Brutto-Jahreseinkommen. Wen wählen Krone-ExklusivleserInnen? Ein Drittel der SPÖ- und FPÖ-Stimmen kommen aus der Dichandschen Prawda, ein Fünftel der BZÖ-Stimmen, 16% der ÖVP und 9% der Grün-Stimmen. Aber trotzdem: Auf 87% der ÖsterreicherInnen hat die Krone kein faktisches Informationsmonopol. Via 12,7% -ExklusivleserInnen regieren deren HerausgeberInnen dieses Land mit stiller, aber umso tatkräftigerer Mithilfe der politischen Elite.

ausgefüttert?

Gleichzeitig sind 70% der ÖsterreicherInnen unter 35 in Social Media aktiv. Dort gewinnen die Inhalte an Bedeutung, die viele Menschen interessieren. Dort sitzt kein Herausgeber im obersten Stock seines Hochhauses und entscheidet per Handstreich, wer regieren darf und wer nicht. Dort kann man zwar auch kommerzielle Werbung schalten, aber die ist bei weitem nicht so dominant im Vergleich zum redaktionellen Inhalt, wie im Print-Boulevard. Die nächsten Wahlen werden nicht in den Social Media gewonnen, keine Frage. Aber die Online-Nutzung ohne redaktionelle Gatekeeper wächst und der Print-Anteil an der Information schrumpft rasant. Es wäre Zeit, der Muthgasse die Gefolgschaft zu kündigen.

chuzpe in hässlicher schreibschrift

Wenn ein Kind seine Eltern umbringt und dann bei der Gerichtsverhandlung auf mildernde Umstände plädiert, weil es Vollwaise ist, nennt man das Chuzpe. Ganz so schlimm treibt’s die ÖVP dann doch nicht. Aber wie locker das Steuergeld bei Eigenwerbung sitzt und mit welchen miesen Methoden Branding betrieben wird, während die kleinen Kultur- und Integrationsvereine unter dem Vorwand der Wirtschaftskrise kaputtgespart werden, ist schon bemerkenswert.

Ein besonders perfides Beispiel dieser Methode sind die Motive mit einer der hässlichsten Schriften, die Wordart ausspucken kann. Monatelang hängten nämlich in Tirol – selbstverständlich nur ganz zufällig vor der Gemeinderatswahl vergangenen März – diese Plakate, auf denen Frauen Kinder behüteten und Männer im Gemeinderat Entscheidungen fällten.

Anfang März tauchten dann in einem TV-Bericht diese Sackerln in der ÖVP-Parteizentrale auf. Fleißig packten ältere Herren Jausen in die Sackerln, die für ÖVP-Wahlwerbung vorgesehen waren. Im Vordergrund sprach VP-Geschäftsführer Rauch.

Heute ist diese Schrift überall. Fast jede Werbung der Landesregierung funktioniert mit dieser stilisierten Schulschrift. Die ÖVP hat ihre Lektion in Sachen Branding gelernt. Aber dass die Landesregierung eine sexistische Kampagne um eine siebenstellige Euro-Summe lanciert, die Schrift der Kampagne dann für den ÖVP-Gemeinderatswahlkampf weiterverwendet und jetzt wieder für die Publikationen der Landesregierung, ist schon ziemlich dreist.

Das mag man jetzt kleinlich nennen, das kann schon sein. Aber die Chuzpe in hässlicher Schreibschrift ist sinnbildlich für die Verschwendungen der Tiroler Landesregierung vom Bergisel bis zum Brenner-Basistunnel, vom 1,5 Mio. Euro teuren Büroumbau beim Finanzlandesrat bis zum Luxus eines 400.000 Euro-Versorgungspostens für den baldigen ehemaligen Bürgermeister von Schwaz.

inserate für die armen. politik für die g’stopften

Besonders kreativ muss man ja nicht sein, um den eigentlichen Zweck der sündteuren neuen Inserat-Kampagne von Onkel Seppi zu erraten. Demnächst werden hunderttausende ÖsterreicherInnen erfahren, wieviel Geld ihnen der Finanzminister wegnimmt. Wenn er’s für die armen Kinder tut, dann wird man’s ihm vielleicht nicht so übel nehmen – so das Kalkül der ÖVP-Kampagne.

Wie’s den wirklich armen Kindern geht, ist dem Onkel Seppi aber herzlich Schweinsbraten. Denn er hat im Winter neu definiert, für wen die ÖVP Politik machen will – nämlich für die „Leistungsträger“ der Gesellschaft. Und das sind für Onkel Seppi all jene, die Steuern zahlen. Die wirklich armen Kinder, die wirklich mit Schulden und fast ohne berufliche Perspektive ins Leben einsteigen, sind keine Kinder von Prölls „Leistungsträgern“. Sie heißen Jennifer, Ayse und Kevin und ihre Eltern zahlen keine Steuern. Aber nicht, weil sie nicht rund um die Uhr arbeiten. Sondern weil sie trotzdem zu wenig verdienen.

Besonders leistungsunwillig sind in den Augen der ÖVP natürlich die Frauen. Nicht nur ein paar hundert, sondern 1,6 Millionen Frauen zahlen keine Steuern, sondern höchstens Sozialversicherungs-Abgaben. Denn sie arbeiten geringfügig oder in Teilzeit. Oder um weniger Stundenlohn als ein Bier in Onkel Seppis schicken Urlaubsdestinationen kostet. Wer eh schon nicht genug zum Leben hat, die kann man nicht auch noch zum Steuern zahlen zwingen. Zumindest bisher.

Denn irgendwer muss ja die geschmacklose Kampagne des ÖVP-Chefs auf Kosten der SteuerzahlerInnen zahlen. Irgendwer muss ja mehr zahlen, damit es sich Österreich weiter leisten kann, Steuerschlupfloch für Privatstiftungen zu sein. Irgendwer muss ja das Bankenpaket, die Eurofighter und die Kinderbeihilfe für TopverdienerInnen finanzieren. Die armen Kinder müssen sich tatsächlich vor ihrer Zukunft fürchten. Aber nicht wegen der Staatsschulden. Sondern weil die Partei der G’stopften Politik für die G’stopften macht. Jennifer, Ayse und Kevin werden’s noch spüren.