Zwei Euro kostet die Salatgurke – das war noch nie so. Politisch hat es die FPÖ leider großteils mit Gurkentruppen zu tun. Ich hab in vielen politischen Runden hinter verschlossenen Türen von allen Fraktionen immer wieder gehört, dass das mit der Armut in Österreich ja nicht so sei, die Leute sollen sich halt nicht einen teuren Flachbildschirm kaufen, wenn sie knapp bei Kassa sind und wenn man die Autos von den Ausländern ausschaut, dann kann es mit deren hoher Armutsgefährdung ja auch nicht so weit her sein.
In der Politik verdienen halt oft Leute, die zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, auf einmal viel mehr als sie jemals am freien Arbeitsmarkt verdienen würden. Da spüren sich leider viele überhaupt nimmer. Aber mehr: es kann ja auch nicht alles gratis sein und was nix kostet, ist nicht wert. Ich hab diese Oberklassen-Sch*** von Roten und Grünen gehört, von Schwarzen und ihren türkisen und pinken Schattierungen sowieso.
Es ist kollektives Bewusstsein der classe politique, die aufgrund der üppigen Ausstattung der Parteien in Österreich auch eine soziale Klasse konstituiert.
Und das ist auch der Grund, warum sowas wie absurd hohe Lebensmittelpreise (oder Immobilienmieten) die allermeisten Menschen aus der classe politique zwar aus der Zeitung kennen, aber nicht aus ihrer Realität.
Das wirkt auch: „Those who are closest to the pain should be closest to the power“, sagt die 🇺🇸-Paradelinke Alexandria Ocasio-Cortez. Not so much in Schnitzelland.
Und wenn dann doch jemand nicht ausgelassen wird bei Fragen nach Lebensmittel- & Mietpreisen, dann wird der freie Markt beschworen. Dabei steht nirgends, dass Energieversorger im öffentlichen Eigentum Gewinne machen müssen. Es steht nirgends, dass Immobiliengesellschaften im öffentlichen Eigentum jedes Jahr positiv abschließen müssen, auch wenn das MieterInnen in den Ruin treibt. Und es steht nirgends, dass die Steuer auf Lebensmittel des Grundbedarfs nicht ausgesetzt werden kann, wenn viele Leute ihren Kindern kein halbwegs gehaltvolles Essen mehr auf den Tisch stellen können.
Aber da ist der Bogen zurück: wenn du nicht glaubst, dass Menschen in Ö am Hungertuch nagen, weil es das in deinem Bezirk, in deiner politischen Klasse und in deinem Freundeskreis nicht gibt, dann bist du zwar ein fester Trottel, aber du wirst auch keinen Handlungsbedarf sehen.
Dabei wird der immer massiver. Schon zu Beginn der Teuerungskrise haben die guten ÖkonomInnen gesagt, das wird ein bißchen dauern, bis es die meisten Leute spüren, aber dann wird’s umso heftiger. Einmal einen Urlaub auslassen, das schaffen auch viele in der Mittelschicht noch. Aber jeden Monat 200, 300, 400 Euro mehr Energiekosten und galoppierende Mieten, das geht sich längerfristig für viele Menschen nicht aus.
Ich stelle zwei individuelle Beobachtungen dazu:
Seit einem halben Jahr nimmt die Zahl der Menschen, die vor und hinter mir im Supermarkt ausschließlich Eigenmarken der Supermarktketten kaufen, stetig zu. Da kann man jetzt auch sagen, naja ist ja nicht schlimm. Aber auch das hat für viele Leute was mit Würde zu tun, ob sie von allem das billigste kaufen müssen, damit es sich ausgeht.
Zweite Beobachtung: eine Bekannte arbeitet mit wohnungslos gewordenen Menschen und sagt, seit ein paar Wochen geht’s in ihrer Beratungsstelle gegen Delogierungen so richtig ab. Und eine Freundin, die zugewanderten Menschen bei der Wohnungssuche behilflich sein soll, sagt, sie können eigentlich zusperren. Es gibt am freien Markt de facto keine Wohnung mehr 50 Kilometer um Innsbruck, die jemandem vermittelt werden könnte, der/die noch in Ausbildung ist oder schlecht verdient.
Man kann sich vor all dem wegducken, ein paar Monate, vielleicht auch zwei, drei Jahre. Aber dass hunderte, dann tausenden, dann zehntausende, dann hunderttausende Menschen nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen sollen, das gefährdet langfristig auch die Demokratie.
Es ist für einen FPÖ-Kickl gegen die Gurkentruppen der politischen Konkurrenz ein Leichtes, viele dieser Leute einzusammeln & ihre berechtigte Wut für sein gefährliches Anliegen zu gewinnen.
Aber es ist nie zu spät: ein Grundrecht auf ein Dach über dem Kopf und auf leistbare Energieversorgung, ein Rechtsanspruch auf ein kostenloses warmes Mittagessen für die Kinder in einer Betreuungseinrichtung, eine staatlich verordnete Höchstmiete pro Quadratmeter, das ist alles möglich. Man muss es nur tun.
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