46 fragen zu #46

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http://www.joebiden.com

Heute wird Joe Biden als 46. US-Präsident angelobt. Kamala Harris wird die erste Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten. Aber wie funktioniert eigentlich dieses US-amerikanische Politische System? Dem habe ich mich anlässlich des Präsidenten Nummer 46 in 46 Fragen und Antworten angenähert. Das Sortiment kommt aus den zahlreichen Fragen, die ich seit der US-Wahl am 3. November online und im echten Leben zur US-Politik gestellt bekommen habe, vom Supreme Court bis zur Air Force One und vom Atomkoffer bis zu den Chancen einer progressiven Klimapolitik.

Die 46 Fragen sind unabhängig voneinander lesbar und weitgehend auch unabhängig voneinander verständlich: Man kann beim Lesen also springen und nur lesen, was man noch nicht weiß oder was eine/n interessiert. Wer alle 46 Fragen liest, bekommt einen Überblick über Funktionsweise, Möglichkeiten und Schwächen der Demokratie in den Vereinigten Staaten. Die Antworten sind so untechnisch und so lesbar wie möglich formuliert. Auf 78 Seiten werden die politischen Aussichten des 78jährigen US-Präsidenten beschrieben.

Ich wünsche ebensoviel Freude mit der Lektüre, wie ich beim Schreiben hatte.

Graikdesigner Charly Krimmel hat das Dokument schön layoutiert und gesetzt – vielen Dank dafür und hier die schöne, besser lesbare Version:

Wer für diese Arbeit etwas beitragen will, den/die bitte ich um eine Spende an den Verein von Doro Blancke, die sich für Flüchtlinge u.a in Österreich, in Afghanistan und auf Lesbos engagiert. Das Momentum Institut setzt sich für progressive Perspektiven in Österreich ein und freut sich über Unterstützung. Und der Flüchtlingsdienst der Evangelischen Diakonie ist ein verlässlicher Partner für Menschenrechte und für die Beratung von geflüchteten Menschen in Österreich.

Fragen und Anregungen an mich, wie immer an @pablodiabolo auf Twitter oder unter paul.aigner54@gmail.com.

alles zur us-wahl auf einen blick

Hervorgehoben

Ich schreibe auf diesem Blog hauptsächlich, aber nicht nur über US-amerikanische Politik im Allgemeinen und über die anstehenden Präsidentschafts- und Senatswahlen im Speziellen.

Die Beiträge sind chronologisch geordnet. Sie setzen oft grundlegendes Wissen über das US-Wahl- und Parteiensystem voraus. Ich versuche aber, die Beiträge trotzdem möglichst lesbar für Menschen zu machen, die sich erst seit kurzem mit der US-Politik beschäftigen.

Der Schwerpunkt zur US-Wahl wird nicht am 3. November zu Ende sein: Alleine schon deshalb, weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass wir am 3. November ein Ergebnis wissen werden. Eine Reihe von Staaten zählt auch vor dem Wahltag abgegebene, aber erst nach dem Wahltag angekommene Wahlkarten. Bevor die nicht eingelangt und gezählt sind, gibt es kein Ergebnis. Nur ein hoher Sieg von Joe Biden und Kamala Harris würde es erlauben, am Wahlabend einen höchst wahrscheinlichen Sieger zu erklären. Das ist aber wegen der sehr hohen zu erwartenden Anzahl an Wahlkarten und wenig Erfahrung damit, wie das Stimmverhalten der Wahlkarten-WählerInnen ist, unwahrs

Spezialfragen beantworte ich, so ich sie beantworten kann, gerne auf Twitter (@pablodiabolo) oder per Mail an paul.aigner54@gmail.com. Wer alle Beitrag automatisch in seiner/ihrer Mailbox haben möchte, kann sie unter „Lies immer gleich quer“ abonnieren: Einfach deine/Ihre Mailadresse hier eintragen, dann landet jeder neue Blog-Beitrag automatisch in der Mailbox.

zwei-euro-gurken und kickls kanzlerträume


Zwei Euro kostet die Salatgurke – das war noch nie so. Politisch hat es die FPÖ leider großteils mit Gurkentruppen zu tun. Ich hab in vielen politischen Runden hinter verschlossenen Türen von allen Fraktionen immer wieder gehört, dass das mit der Armut in Österreich ja nicht so sei, die Leute sollen sich halt nicht einen teuren Flachbildschirm kaufen, wenn sie knapp bei Kassa sind und wenn man die Autos von den Ausländern ausschaut, dann kann es mit deren hoher Armutsgefährdung ja auch nicht so weit her sein.

In der Politik verdienen halt oft Leute, die zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, auf einmal viel mehr als sie jemals am freien Arbeitsmarkt verdienen würden. Da spüren sich leider viele überhaupt nimmer. Aber mehr: es kann ja auch nicht alles gratis sein und was nix kostet, ist nicht wert. Ich hab diese Oberklassen-Sch*** von Roten und Grünen gehört, von Schwarzen und ihren türkisen und pinken Schattierungen sowieso.

Es ist kollektives Bewusstsein der classe politique, die aufgrund der üppigen Ausstattung der Parteien in Österreich auch eine soziale Klasse konstituiert.

Und das ist auch der Grund, warum sowas wie absurd hohe Lebensmittelpreise (oder Immobilienmieten) die allermeisten Menschen aus der classe politique zwar aus der Zeitung kennen, aber nicht aus ihrer Realität.

Das wirkt auch: „Those who are closest to the pain should be closest to the power“, sagt die 🇺🇸-Paradelinke Alexandria Ocasio-Cortez. Not so much in Schnitzelland.

Und wenn dann doch jemand nicht ausgelassen wird bei Fragen nach Lebensmittel- & Mietpreisen, dann wird der freie Markt beschworen. Dabei steht nirgends, dass Energieversorger im öffentlichen Eigentum Gewinne machen müssen. Es steht nirgends, dass Immobiliengesellschaften im öffentlichen Eigentum jedes Jahr positiv abschließen müssen, auch wenn das MieterInnen in den Ruin treibt. Und es steht nirgends, dass die Steuer auf Lebensmittel des Grundbedarfs nicht ausgesetzt werden kann, wenn viele Leute ihren Kindern kein halbwegs gehaltvolles Essen mehr auf den Tisch stellen können.

Aber da ist der Bogen zurück: wenn du nicht glaubst, dass Menschen in Ö am Hungertuch nagen, weil es das in deinem Bezirk, in deiner politischen Klasse und in deinem Freundeskreis nicht gibt, dann bist du zwar ein fester Trottel, aber du wirst auch keinen Handlungsbedarf sehen.

Dabei wird der immer massiver. Schon zu Beginn der Teuerungskrise haben die guten ÖkonomInnen gesagt, das wird ein bißchen dauern, bis es die meisten Leute spüren, aber dann wird’s umso heftiger. Einmal einen Urlaub auslassen, das schaffen auch viele in der Mittelschicht noch. Aber jeden Monat 200, 300, 400 Euro mehr Energiekosten und galoppierende Mieten, das geht sich längerfristig für viele Menschen nicht aus.

Ich stelle zwei individuelle Beobachtungen dazu:

Seit einem halben Jahr nimmt die Zahl der Menschen, die vor und hinter mir im Supermarkt ausschließlich Eigenmarken der Supermarktketten kaufen, stetig zu. Da kann man jetzt auch sagen, naja ist ja nicht schlimm. Aber auch das hat für viele Leute was mit Würde zu tun, ob sie von allem das billigste kaufen müssen, damit es sich ausgeht.

Zweite Beobachtung: eine Bekannte arbeitet mit wohnungslos gewordenen Menschen und sagt, seit ein paar Wochen geht’s in ihrer Beratungsstelle gegen Delogierungen so richtig ab. Und eine Freundin, die zugewanderten Menschen bei der Wohnungssuche behilflich sein soll, sagt, sie können eigentlich zusperren. Es gibt am freien Markt de facto keine Wohnung mehr 50 Kilometer um Innsbruck, die jemandem vermittelt werden könnte, der/die noch in Ausbildung ist oder schlecht verdient.

Man kann sich vor all dem wegducken, ein paar Monate, vielleicht auch zwei, drei Jahre. Aber dass hunderte, dann tausenden, dann zehntausende, dann hunderttausende Menschen nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen sollen, das gefährdet langfristig auch die Demokratie.

Es ist für einen FPÖ-Kickl gegen die Gurkentruppen der politischen Konkurrenz ein Leichtes, viele dieser Leute einzusammeln & ihre berechtigte Wut für sein gefährliches Anliegen zu gewinnen.

Aber es ist nie zu spät: ein Grundrecht auf ein Dach über dem Kopf und auf leistbare Energieversorgung, ein Rechtsanspruch auf ein kostenloses warmes Mittagessen für die Kinder in einer Betreuungseinrichtung, eine staatlich verordnete Höchstmiete pro Quadratmeter, das ist alles möglich. Man muss es nur tun.

biden hat troubles

Nun, das wird schwierig für Joe Biden: an mittlerweile drei verschiedenen Orten, in seinem früheren Think-Tank-Büro, in seiner Garage und in seinem Wohnhaus in Wilmington/Delaware, sind Regierungsdokumente aufgetaucht, die da nicht sein sollten.

Denn es gibt eine strenge Geheimhaltungs- und Dokumentationspflicht für offiziellen Schriftverkehr in höchsten politischen Ämtern in den USA.

Biden sagt, er sei kooperativ – seine eigenen Anwälte hätten beim Aufräumen seines Think-Tank-Büros die Dokumente gefunden, er hätte von Anfang an aktiv mit der Justiz kooperiert und er zieht damit natürlich bewusst einen starken Kontrast zu Donald Trump. Denn auch bei dem sind im vergangenen Sommer in Privatunterkünften geheimzuhaltende und dem Nationalarchiv zur Verfügung zu stellende Dokumente gefunden worden. Allerdings musste bei

Trump das FBI einmarschieren, nachdem dessen Anwälte monatelang die Existenz von Dokumenten geleugnet und die Herausgabe verweigert hatten.

Es gibt also schon einen großen Unterschied in der Form, aus dem sich auch eine vermutlich unterschiedliche inhaltliche Problematik zwischen Trumps und Bidens Regierungsakten ableiten lässt.

Allerdings ist die Optik dennoch dramatisch: es ist unklar, was der Inhalt der Biden-Geheimdokumente ist. Aber es ist klar, was die RepublikanerInnen und der ihnen gewogene Teil der Öffentlichkeit daraus machen wird.

Das seit November knapp unter republikanischer Führung stehende House wird es nicht dabei belassen, die juristischen Untersuchungen dem Justizministerium und dessen Sonderermittler zu überlassen.

Zwar wurde ein von Trump nominierter ehemaliger Staatsanwalt als Sonderermittler eingesetzt, aber der Elfer liegt am Punkt: mit einer raschen politischen Ermittlung durch einen Ausschuss des House gehen alle Diskussionen über das Chaos bei den RepublikanerInnen weg.

Die RepublikanerInnen werden das Thema ausschlachten, ganz egal was wirklich dran und drin ist in den Dokumenten. Ob Joe Biden die eigenen demokratischen Reihen geschlossen und dennoch zur Wiederwahl antreten wird können, das hängt ganz entscheidend von der weiteren Krisenkommunikation und von der Substanz der Dokumente ab.

Ausführlicher könnt ihr das im Podcast des „Kurier“ nachhören, der mich heute dazu interviewt hat:

https://kurier.at/podcasts/daily/neue-geheimakten-was-biden-jetzt-droht/402289463

6. Jänner – dieses Mal von innen

Vor zwei Jahren sind die Abgeordneten um ihr Leben gelaufen, weil der amtierende Präsident einen rechtsradikalen bewaffneten Mob auf das Herz der US-Demokratie gehetzt hat. Das war der 6. Jänner von außen.

Die Rechtsradikalen sind noch da. Der Putsch-Präsident auch. Er kann wieder kandidieren, weil über 90% der republikanischen MandatsträgerInnen ihm trotz Putschversuchs die Treue gehalten und seine Amtsenthebung und dann das lebenslange Amtsverbot abgelehnt haben. Heute sehen wir die Bande wieder in Aktion.

Es ist wieder der 6. Jänner. Dieses Mal von innen.

Na na, das ist ja eine Verharmlosung der Gewalt von vor auf den Tag genau zwei Jahren und jetzt läuft nur ein demokratischer Abstimmungsprozess mal etwas länger, hör ich viele sagen & schreiben.

Aber das eine und das andere, der physische Sturm auf das Kapitol und das Niederreißen aller Spielregeln im Kapitol, das Zerstören der demokratischen Institutionen auf die brachiale Art von außen und auf die strategische Art von innen, sie gehören zusammen.

Ja wozu soll man diesen Kongress noch schützen, wenn da so ein Kasperltheater mit elf Wahlgängen gleichen Ergebnisses über drei Tage abgehalten wird? Brauchen wir die NasenbohrerInnen in Washington eigentlich wirklich? Das fragen sich viele AmerikanerInnen & jene, die statt der Institutionen lieber einen Mann (!) mit starkem Durchgriffsrecht hätten, die lachen sich ins Fäustchen und vielleicht holen sie auch wieder ihre Waffen und ihre Sturmanzüge aus den Kellern.

Der 6. Jänner von außen hat Wunden und viele wachsame BürgerInnen hinterlassen. Der 6. Jänner von innen ist nicht das Ende von etwas, sondern der Anfang. Denn mit dem Außerkraftsetzen fast aller Spielregeln, die ein funktionierendes Parlament arbeitsfähig macht, wird sich ein Republikaner – McCarthy oder Scalise – den formal drittmächtigsten Job in der US-Demokratie sichern.

Aber der Preis ist ein Parlament,
das von winzigen Minderheiten sabotiert und am Arbeiten gehindert werden kann und wird.

Zwei Jahre nach dem 6. Jänner von außen wird der 6. Jänner von innen jetzt für zwei Jahre den Politikbetrieb in Washington stilllegen.

Das ist ein Schaden an der Demokratie, der kaum wieder gut zu machen sein wird.

Nie vergessen: 100.000 Stimmen, weniger als 0,7%, anders verteilt und Trump wäre heute noch Präsident. Und er steht 2024 wieder vor der Tür des Weißen Hauses und will rein.

Ein kaputter Kongress hilft ihm dabei.

warnocks sieg ist trumps waterloo

Good Morning with your 51st Democratic Senator: Raphael Warnock hat die Stichwahl um den Senatssitz in Georgia gewonnen.

Aber es ist mit 3% Vorsprung knapp genug, dass die bei den Republicans schon im November bei der Kongresswahl ausgebrochene Debatte über Trump weiter angeheizt wird. Denn Georgia ist mit Arizona und Pennsylvania eines von zumindest drei knappen Senatsrennen, in dem Trumps handverlesene und durchgedrückte Kandidaten möglicherweise die entscheidenden paar Prozent weniger gemacht haben als ein langweiliger Establishment Republikaner.

Hat Trump den RepublikanerInnen Georgia und den Senat gekostet? Die Diskussion ist umso heißer, weil die DemokratInnen 2021 bei der Stichwahl in Georgia beide Sitze gewannen, nachdem Trump wochenlang gegen Brief- und Frühwahl Misstrauen geschürt und damit auch republikanische WählerInnen verschreckt haben dürfte. Und am Tag nach dieser Doppelniederlage folgte der Putschversuch am Kapitol. Also eine sehr aufgeladene Geschichte. Georgia ist außerdem der Staat, in dem Trump auf Stimmensuche beim Staatssekretär war und wo ihn die republikanische Spitze mit diesem Anliegen auflaufen ließ.

Donald Trump will 2024 wieder Präsident werden. Aber dass er mit Ausnahme von 2016 jede Wahl verloren und die Republicans mit sich heruntergezogen hat, das wird jetzt mit dem Scheitern seines Kandidaten in Georgia noch offensichtlicher.

Die kommenden Wochen werden von der Frage dominiert, ob die republikanische Partei sich aus Trumps Würfegriff befreit. Raphael Warnocks Sieg gibt den DemokratInnen ein Polster von einem Sitz Mehrheit für die Senatswahl 2024, bei der sie viele schwierige Sitze verteidigen müssen. Er macht aber auch das Mehrheiten finden für Personalentscheidungen, RichtetInnenbestellungen und Gesetzesinitiativen für Präsident Joe Biden im Senat einfacher, weil man nicht immer alle DemokratInnen an Bord braucht.

Last not least: Raphael Warnock ist der 1. demokratische Südstaaten-Senator und bleibt das jetzt bis 2028. Das ist als Symbol wichtig und es wird auch dem Trend in Georgia, das immer demokratischer wird, gut tun. Das ist auch für die Präsidentschaftswahl 2024 entscheidend.

der herr huber, der herr maier und der herr trump

Ich weiß nicht, ob die Medien und die Leute checken, dass diese ganze Asyl – Mittelmeer zumachen – Balkan schließen genau der gleiche unrealistische Shit ist wie Donald Trumps Mauer. Es geht nicht.

Man kann es legal haben oder illegalisiert im Dunklen. Aber wer kommen will, kommt. Easy as that.

Wenn ich nach Mali will, weil ich mir dort ein besseres Leben erhoffe, dann werd ich nicht über den Brenner nach Bozen fahren und mich dort drei Jahre in ein Zeltlager legen, bis über meinen Antrag entschieden worden ist, sondern ich werd mich irgendwie nach Mali durchschlagen.

Wenn sich ein Herr Huber oder Maier also vor eine Kamera stellt und sagt, wir müssen nur die Grenzen schützen oder Anträge nur im Nachbarland zulassen, müsste die Antwort darauf eigentlich lautes Lachen und die Nachfrage sein, ob er die Welt für blöd verkaufen wolle oder wirklich keinen blassen Schimmer von der Materie habe. Man müsste den Herrn Huber od Maier erinnern, dass das Botschaftsasyl, die Antragsstellung vor Ort, mit genau dem Grund sonst zu vieler Anträge abgeschafft wurde und ihn auf das riesengroße Loch in der Trumpesken Geschichte hinweisen, das wir Realität nennen.

Alle dieser Trumpesken Vorschläge verlassen sich auf die Faulheit in der Berichterstattung und auf das Ressentiment. Es ist nichts davon umsetzbar.

„Wollen Sie dann an der tausende Kilometer langen See- und Landgrenze einen Schießbefehl?“ müsste man die Hubers und Maiers fragen und „wollen sie nach 1945 eingeführten und mit 1939-45 begründeten Schutz vor Verfolgung wirklich beenden und wir würden Sie sich dann historisch einordnen?“

Man muss diese Debatte, wie alle anderen, hart führen und man darf einen Funken Realitätssinn von Menschen in Verantwortungspositionen erwarten. Wer sie damit durchkommen lässt, dass irgendwer anderer irgendwas tun soll, was aber praktisch unmöglich ist, kann den Presseausweis eigentlich gleich im Innenministerium abgeben. Beim Dollfuß-Fan.

Donald Trump hat übrigens im Innenministerium fragen lassen, ob man den Grenzwassergraben, den er gerne hätte, zur Abschreckung mit Krokodilen bestücken könnte. Gut, dass die bei uns nicht heimisch sind. Viel fehlt nicht mehr zu dem (Fascho-)„Vorschlag“.

demokratInnen favorisiert für 2024

Es wird immer besser: Der Wahlsieg der DemokratInnen bei der Senatswahl vor zwei Wochen wird für sie immer erfreulicher, je vollständiger die Daten werden. Klares Bild: Die DemokratInnen haben die Senatswahl gewonnen und die RepräsentantInnenhaus-Wahl trotz viel schlechterer Vorzeichen nur ganz knapp verloren, obwohl die WählerInnenstruktur nicht gut für sie war. Was heißt das: Üblicherweise brauchen die DemokratInnen für Wahlsiege in knappen Gegenden sehr sehr viele WählerInnen, die sich eigentlich kaum für Politik interessieren und nur sehr unregelmäßig wählen gehen, aber wenn sie dann gehen, fast alle demokratisch wählen. Das sind vor allem Schwarze und Latinx, vor allem junge WählerInnen und Menschen mit Arbeitszeiten und Kinderbetreuungspflichten, die das möglicherweise stundenlang vor dem Wahllokal warten einem ganz normalen Dienstag nicht einfach so organisieren können. Gehen viele von denen wählen, dann gewinnen DemokratInnen. Gehen wenige von denen wählen, dann gewinnen RepublikanerInnen, die das verlässlichere Stammpublikum haben. So war die Regel bis vor zwei Wochen.

Und jetzt haben die DemokratInnen bei den Kongresswahlen außergewöhnlich gut abgeschnitten, obwohl die Beteiligung in der Klientel, die sie für Wahlsiege unbedingt brauchen, niedrig war. Beispiele dafür: Den Swing State Wisconsin hat Joe Biden um 20.000 Stimmen gewonnen, der demokratische Senatskandidat Mandela Barnes um 20.000 Stimmen verloren. Alleine in Wisconsins größter Stadt Milwaukee, hat Biden 180.000 Stimmen mehr als Trump gewonnen – Mandela Barnes hat dort nur 130.000 Stimmen mehr als sein republikanischer Gegner. Weitere 30.000 Stimmen Unterschied fehlen Barnes im Vergleich zu Biden in Wisconsins zweitgrößter Stadt, Madison. Ähnliches Bild in Pennsylvania: Im gesamten Bundesstaat ist die Beteiligung seit der letzten Kongresswahl um 7% gestiegen – aber in der größten Stadt Philadelphia, die zu 80% demokratisch wählt, um ganze 17% gesunken. Trotzdem hat der Demokrat John Fetterman das Senatsrennen so klar gewonnen, wie schon 15 Jahre mehr kein Demokrat ein Rennen in Pennsylvania.

Also: Dort wo die DemokratInnen ihre Vorsprünge holen, waren deutlich weniger Leute wählen als zuletzt. Und trotzdem haben die demokratischen KandidatInnen gleich gut oder besser abgeschnitten. Das heißt: Die sogenannte politische Mitte, die Unabhängigen, die normalerweise zu ca. 60% republikanisch wählen, sind dieses Mal auf die demokratische Seite gekippt. Anders geht sich das nicht aus – und die mit Vorsicht zu genießenden Wahltagsbefragungen sagen das auch mit einem einheitlichen und sehr deutlichen Trend.

Für Donald Trump und die RepublikanerInnen bedeutet das Troubles. Wenn sie selbst bei einer deutlich zu ihrem Vorteil zusammengesetzten WählerInnenschaft nicht gewinnen können, dann wird das im Präsidentschaftswahljahr 2024 noch einmal deutlich schwerer. Gemessen an den errechnet wahrscheinlichen Wahlergebnisse bei dieser WählerInnenschaft und diesem Umfeld, haben die DemokratInnen in Arizona um 10%, in Pennsylvania in 9% und in Georgia um 6% besser abgeschnitten als zu erwarten war. Das gilt sogar unabhängig davon, ob die lokalen KandidatInnen besonders „Trumpy“ waren, oder nicht: Auch in Colorado, wo ein dezidiert Trump-kritischer Senatskandidat für die RepublikanerInnen angetreten ist, liegt das Ergebnis 7% unter der errechneten Erwartung. 

Für die DemokratInnen heißt das: Sie haben mit dem Kampagnen-Fokus auf ihre Themen wie Demokratie durch den monatelangen Untersuchungsausschuss zum Kapitolsturm und Frauenrechte mit dem Schwerpunkt auf das Kippen des US-weiten Rechts auf einen Schwangerschaftsabbruch, einiges richtig gemacht. Nicht einmal Barack Obama hat die Unabhängigen so hoch gewonnen, wie die DemokratInnen das vor zwei Wochen getan haben: der hat 2008 Millionen neuer WählerInnen zum registrieren und wählen gebracht und damit Erfolg gehabt. Das muss auch das demokratische Rezept für 2024 sein. Weiter den Extremismus der RepublikanerInnen thematisieren – und im Gegensatz zur Kongresswahl dann im Jahr 2024 auch die großen demokratischen Städte wieder in einem Ausmaß zum Wählen bringen, wie das bei den letzten Präsidentschaftswahlen gelungen ist. Dann ist die Frage des Kandidaten oder Kandidatin, die momentan auf und ab diskutiert wird, gar nicht mehr der einzig relevante Faktor dafür, ob das Weiße Haus und der Kongress 2024 von DemokratInnen regiert bleibt.

ehe für alle wird gesetz


Ich begrüße viele neue LeserInnen, die sich wegen des drohenden Aus von Twitter angemeldet haben: Es gibt hier unregelmäßig, aber circa ein Mal in der Woche ein Update zu wichtigen Entwicklungen aus den USA. Öfters Updates gibt es, solange das noch in der Form existiert, natürlich weiter als @pablodiabolo auf Twitter.

Hier ist die schöne Geschichte von heute: 12 RepublikanerInnen für im Senat für die gleichgeschlechtliche Ehe: das ist überraschend und es Ausdruck davon, wie populär die Ehe für Alle in den USA ist, dass sich viele nicht dagegen aufzutreten trauen und wieder andere Konservative sogar überzeugt von der Ehe für Alle sind.

Aber langsam: nachdem das Höchstgericht im Sommer das Verbot von Schwangerschaftsabbruchs-Verboten in den ganzen USA gekippt hat, hat die Stellungnahme des konservativen Richters Thomas für noch mehr Unruhe gesorgt. Nach den gleichen Grundsätzen, mit denen das Höchstgericht Roe v Wade gekippt hat, gäbe es noch einige weitere Höchstgerichtsurteile, die fallen müssten – etwa die Ehe verschiedener Hautfarben oder die Ehe für Alle.

Die DemokratInnen haben den politischen Rückenwind aus der katastrophalen Höchstgerichtsentscheidung genutzt und die Senatswahlen vergangenen Dienstag gewonnen, außerdem in mehreren Bundesstaaten Volksabstimmungen über liberale Schwangerschaftsabbruchs-Regeln. Und sie wollten die Wasser austesten, was eine gesetzliche Verankerung der Ehe für Alle betrifft, über die dann kein Höchstgericht mehr entscheiden könnte.

Schon vor der Wahl hat das RepräsentantInnenhaus nicht nur mit den damals noch ausreichenden demokratischen Stimmen, sondern auch mit jenen von über 30 RepublikanerInnen, die Gesetzwerdung der Ehe für Alle beschlossen. Für die notwendige Zustimmung des Senats haben sich die RepublikanerInnen in der Arbeitsgruppe eine Wartezeit bis nach der Kongresswahl erbeten, um keine zur Wahl stehenden SenatorInnen unter Zugzwang zu bringen.

Was viele für eine Finte hielten, hat gehalten: gestern hat der Senat mit 62 von 100 Stimmen – 60 sind bei umstrittenen Themen notwendig – beschlossen, bei nächster Gelegenheit darüber abstimmen zu wollen. Eine Vorwegnahme des Abstimmungsergebnisses bei der eigentlichen Abstimmung, die noch folgt. An Bord sind von republikanischer Seite neben den als weniger konservativ geltenden Senatorinnen Murkowski und Collins auch SenatorInnen mit individuellen Motiven wie Senator Portman, der selbst einen schwulen Sohn hat und seine Meinungsänderung in dieser Frage bei dessen Outing ganz offen kommuniziert hat.

Einige Einschränkungen hat das Gesetz im Vergleich zu einer lupenreinen Ehe für Alle – aber dazu mehr beim nächsten Mal, wenn der historische Beschluss dann gefallen ist.