„i wü ham zu meiner mama“

…sagt der vierjährige Albin in diesem sehenswerten Beitrag aus der ORF-Sendung „Thema“. Gemeint ist beim jüngsten Sohn der Zogajs nicht Kalicane im Kosovo, wo gedreht wird, sondern Frankenburg in Oberösterreich. Albin Zogaj ist zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen. Österreichs absurde Gesetze sagen deshalb, dass die Heimat des Vierjährigen der Kosovo ist. Auf dem Foto ist er 8, immer noch in Kalicane. Nicht so genau genommen hat dieselben Gesetze, auf die er sich beruft, der damalige Innenminister Günther Platter. Es geht um geheime Akten. Und es geht um die erste Oktoberwoche 2007.

Eine Woche davor waren alle Zogajs außer Arigona und ihrer Mutter Nurije abgeschoben worden. Die 15-jährige war untergetaucht, fand Schutz bei einem Pfarrer, wie sich später herausstellte. Die Medienschlacht um die Deutungshoheit im Fall Zogaj drohte Platter zu verlieren. Und deshalb spielte er geheime Akten über ein nicht einmal geahndetes kleinkriminelles Delikt von Arigonas ältestem Bruder an die Öffentlichkeit – wie sich der Innenminister die geheimen Akten zu dieser nicht geahndeten Rauferei kam, die nicht einmal im Leumundszeugnis aufscheint, weist Peter Pilz hier detailliert nach. Die Betreuerin der Zogajs sagt, Platter habe die Familie Zogaj kaputt geredet. Er habe immer nur über die vermeintliche Kriminalität der oberösterreichischen Familie gesprochen und damit Misstrauen und Hass gegen die Zogajs geschürt.

„Ich verstehe überhaupt nicht, warum uns der Herr Platter nicht die Möglichkeit gibt, in Österreich bleiben zu dürfen. Wir haben nichts gemacht“, bittet die 15-jährige nach Ihrem Untertauchen den Innenminister, zumindest die zwei kleinen Kinder zurück nach Österreich zu ihrer kranken Mutter zu lassen. Die wird später einen Selbstmordversuch unternehmen. Zwischen 1. und 6. Oktober 2007 sind eine Reihe von hohen Ministerial- und Polizeiangestellten intensiv damit beschäftigt, ihrem Innenminister personenbezogene Daten über unbescholtene BürgerInnen zu beschaffen, damit der eine gut integrierte Familie zerreißen und seinen persönlichen Kleinkrieg gegen eine 15-jährige gewinnen kann.

In der Affäre um die unerlaubte Weitergabe von persönlichen Daten, wie dem hochsensiblen Kriminalpolizeilichen Aktenindex, Vorstrafen, Asylakten, Krankheiten und sogar über den Gesundheitszustand der im Kosovo zurückgelassenen Großmutter Zogaj stecken die Tiroler mittendrin. Sie haben sich im Innenministerium eingenistet. Chef Platter gibt den rechten Hardliner, spielen muss er ihn erst gar nicht. Mittendrin steckt auch ein damals 36-jähriger Innsbrucker. Er ruft am Vorabend den zuständigen Sektionschef Vogl auf seiner Privatnummer an und ordnet die Einladung zur Pressekonferenz an. Er ist laut Falter der Drahtzieher der zweiten Welle der Informationsbeschaffung, die zum Datenverrat führt, der die Familie Zogaj endgültig zerreißt. Ein dreiviertel Jahr später macht die ÖVP den Kabinettschef  zum Landesrat in Tirol. Heute wacht Christian Switak über die Tiroler Finanzen. Die ÖVP nennt sich Familienpartei. Albin Zogaj will immer noch „ham“ nach Frankenburg zu seiner Mama.

die königin von alleinia

In meinem Land kann man durch Fleiß, Können, Engagement und Ehrlichkeit die höchsten Ämter erreichen. Mein Land ist nämlich eine Insel der Seligen.“ Das ist der Schlusssatz des Märchens von Maria F. über Maria F. im Buch „Politiker erzählen Märchen“ aus dem Jahr 1993. 17 Jahre später ist gleiche Maria F. letztverantwortlich für die Abschiebung der fleißigen, begabten, engagierten und ehrlichen Arigona Zogaj. Heide Schmidt hat sich leider getäuscht, wenn es in ihrem Märchen heißt, 10 Jahre später erwarte uns eine „offene Gesellschaft“, in der sich die Einwanderungsregelungen nach freien Arbeitsplätzen in verschiedenen Branchen richten und Kriminalität „nicht mehr als Ausrede für Ersatz-Vergeltungsmaßnahmen“ herhalten müsse. 2010 ist das Gegenteil der Fall. Fleiß, Können, Engagment und Ehrlichkeit nützen überhaupt nichts, wenn man im falschen Land geboren wurde.

Dabei ist die Märchen-Maria der richtigen Arigona gar nicht unähnlich. „Es war einmal ein hübsches und tüchtiges Mädchen aus der Provinz“, schreibt Maria F. über Maria F., sie sei „vorlaut und aufmüpfig“ und „sehr, sehr flink und fleißig“. Schließlich erzählt die Märchen-Maria als Ministerin dem japanischen König, dass ihr Erfolg nichts mit ihren Eltern zu tun habe, weil die „einfache Steinklopfer“ sind. Eigenartig nur, dass der F.’sche Familienbetrieb 180 MitarbeiterInnen hat und letztes Jahr 7 Mio. Euro Umsatz erzielt hat.

Andere PolitikerInnen erzählen 1993 übrigens auch Märchen. Vizekanzler Busek erzählt von tschechischen DissidentInnen, die heutige Parlamentspräsidentin Prammer von benachteiligten Königstöchtern, BAWAG-Retter Nowotny von einer Ärztin aus einem ArbeiterInnen-Elternhaus und Grünen-Chefin Petrovic von der Rettung eines Baums. Um die Dorfbelebung geht’s mit dem sinnigen Nachsatz, er möge nur Märchen, die er auch erfüllen kann bei Niederösterreichs Landeshauptmann Pröll. Zur Protagonistin ihres Märchens macht sich aber nur Maria F.

„Der König von Alleinia“ heißt das Märchen von Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl, das klingt, als hätte er es für die Maria F. von 2010 geschrieben. Denn dem König kann in seinem Land leider niemand den prächtigen Palast bauen, den er gerne hätte. Ein Vogel zwitschert ihm deshalb: „Du jammerst wegen schöner Vögeln, die Dir wegfliegen und Palästen, die Dir niemand baut, aber ist das verwunderlich? Du läßt ja niemanden hinein in Dein Königreich. Da draußen, fern von den Grenzen Deines Reiches, leben auch Menschen und ich sah sie Häuser und Paläste bauen, schöner und größer, wie Du es Dir je vorstellen könntest. Du hast zwar viel Gold und Land, aber keine Leute, die Dir einen Palast bauen könnten. Warum durchbrichst Du die Mauern um dein Reich nicht und läßt zu, daß dein Traum erfüllt wird?

ballhausplatz – wir haben ein problem

Ja, wo sind sie jetzt, die Werte? Wo ist das Handeln, von dem vor zwei Monaten die Rede war? Weil er „ein Gegenpol zu politischer, gesellschaftlicher und intellektueller Barbarei“ ist, hat ihn Franz Vranitzky unterstützt. Für eine „offene und tolerante Gesellschaft“ stehe er, hat die verstorbene feministische Ikone Johanna Dohnal gesagt. Weil er ein großer Humanist und Demokrat sei, hat Lifeball-Organisator Gery Keszler den Bundespräsidenten bei seiner Wiederwahl-Kampagne unterstützt.

Jetzt haben wir sie präsent wie fast noch nie, die intellektuelle und gesellschaftliche Barbarei. Sie manifestiert sich in der Abschiebung einer 18-jährigen, die besser oberösterreichisch spricht, als der oberösterreichische Landeshauptmann und besser deutsch, als der Bundeskanzler. Die gesamte politische Elite außer den Grünen hat sich dem Zynismus hingegeben: Faymann will seine schöne Verteilungsdebatte nicht durch ein unpopuläres Thema vermiesen. Die Familienpartei ÖVP steht schon traditionell auf der Seite der Rechten und nicht auf jener der Menschen.

Jeder Mensch ist gleich an Würde und hat unabhängig von Herkunft, Geschlecht Alter oder sozialem Status den selben Wert. Das ist eine fundamentale Wahrheit, die über den Gesetzen steht, heißt es in einer von Fischers Werbebroschüren. Die fundamentale Wahrheit ist offenbar eine Tochter der Zeit. Der Bundespräsident, den auch ich als Garant gegen rechts gewählt habe, schweigt zur Zogaj-Abschiebung, im Gegensatz zu seinen Zusagen an die Grünen vor der Wahl. Das ist immer noch besser, als der dümmliche Sermon, mit dem sich seine frühere Partei aus der Affäre ziehen will. Aber von „Mut“, „Werten“ und „Handeln“ keine Spur. Ballhausplatz – wir haben ein Problem!

österreichbeschimpfung

Ich soll nicht pauschal vom „rassistischen Österreich“ schreiben, sagt mir eine Leserin meines Blogs. Es handle sich bei den RassistInnen um höchstens 20-25% der Gesellschaft. Ich bin anderer Meinung und sehe mich darin (leider) durch einen Blick in die heutigen Tageszeitungen bestätigt. Wir leben leider in einem Land, in dem der institutionalisierte Rassismus langsam den den demokratischen Rechtsstaat zer-, und die Menschenrechte außer Kraft setzt.

* Arigona muss raus, sagen die VerfassungsrichterInnen. Ein offizielles Dokument der höchsten juristischen Instanz dieses Landes verwendet die Worte „rechtswidrige Integration“. Die Innenministerin applaudiert. Die FPÖ feiert. Der SPÖ-Sozialminister, von meinen Wiener FreundInnen als g’standener Linker hochgejubelt, sagt „ich habe dem Urteil nichts mehr hinzuzufügen.“ Nur zur Erinnerung: Es geht um ein 18-jähriges Mädchen, das in seine „Heimat“ abgeschoben werden soll, deren Sprache sie nicht spricht. Und um ihre Mutter, die akut suizidgefährdet ist.

* „Deutsch statt Nix verstehen“ sagt der Schulgemeinschaftsausschuss einer Salzburger Schule und verbietet in den Klassen, in den Pausen und am Schulhof alle Sprachen außer Deutsch. Der rote Landesschulratspräsident findet, das werde eh nicht konsequent umgesetzt. Der Wiener Stadtschulrat will das eher nicht machen. Die ÖVP klatscht Beifall. Das Argument: Niemand soll in einer Klasse so kommunizieren können, dass es nicht alle verstehen. Da bin ich ja mal gespannt, wann Pinzgauerisch, Französisch und die Zeichensprache verboten werden und wie lange Herbert Prohaska noch im ORF sprechen darf. Und welche lustigen Strafen den SchülerInnen drohen: Vielleicht Musikantenstadl in der Zwangsjacke? Obligatorische Jodelkurse? Oder ein Abo für Red Bull Salzburg?

* Und weil’s zuletzt um Fußball und Integration ging: Keine eineinhalb Jahre hat’s gedauert, bis Ivica Vastic vor der WM 1998 die österreichische Staatsbürgerschaft hatte. Den haben wir ja auch gebraucht. Und außerdem war er nicht schwarz, wie die meisten Spieler des FC Sans Papier in Wien. Die sind schon jahrelang unbescholten in Österreich. Trotzdem wollte die Fremdenpolizei sie vor zehn Tagen einfach beim Fußballtraining abpassen und abschieben. Nach Ghana, nach Nigeria und nach Kamerun, von wo sie wegen Verfolgung und kriegerischen Zuständen geflüchtet waren. 6.000 Menschen ertrinken übrigens jedes Jahr beim Versuch, über die Straße von Gibraltar von Afrika nach Spanien zu schwimmen. Fast jede Stunde einer oder eine.