spaniens himmel unterm schirm

Cristina Asensi hat heute einen beeindruckenden Vortrag gehalten. Spaniens Himmel trägt dunkle Wolken. Die Heimat der spanischen ATTAC-Aktivistin wird diese Woche unterm EU-Rettungsschirm landen. Am Madrider Hauptplatz prügeln Polizisten brutal auf gewaltfreie DemonstrantInnen ein. Seit 36 Jahren ist Spanien eine Demokratie. Anfang der 1930er war die iberische Halbinsel Aufmarschzone für die Faschisten und Probelauf für die Diktaturen Mussolinis und Hitlers. Als Barcelona am 26. Jänner 1939 fiel, war der Weg frei für die Verhassten und Verhetzten. Ein wahrlich heißes Pflaster.

Steuern weg, Kollektivverträge weg, junge Leute weg

Was in den letzten beiden Jahren der Wirtschaftskrise in Spanien von den politischen RepräsentantInnen an Konzepten auf den Tisch gelegt worden ist, erzählt die junge Frau: 6 Milliarden Euro Kürzungen im Gesundheitswesen, Steuersenkungen für große Unternehmen in der Größenordnung von 5,3 Milliarden Euro. Pensionskürzungen bringen dem Staatshaushalt 1,5 Milliarden Euro, eine Abschaffung der Vermögenssteuer kostet 2,1 Milliarden Euro im Jahr. Der Mindestlohn liegt bei 600 Euro, soviel kostet ein Zimmer in Madrid. Das alles selbstverständlich zur Verbesserung des Standortes. Ein Schelm, wer böses denkt.

Erasmus Espanol

Ich hab im Sommer in Innsbruck zwei junge Spanier kennengelernt. Juan und Martín, der eine Kindergartenpädagoge, der andere Volkswirt, beide Akademiker. Sie sind aus Spanien weg, wollen längerfristig nach Deutschland, haben am Weg in der Nähe von Innsbruck einen Job gefunden. Als Kellner, beide. Dort verdienen Sie 1.220 Euro, doppelt so viel, wie jene FreundInnen daheim in Valencia, die ihre Jobs noch haben. Die Hälfte der Freunde von Juan und Martín sind auch arbeitslos geworden. Die wohnen mit Ende 20 wieder bei ihren Eltern. Die meisten AkademikerInnen, versteht sich. Die Ausgewanderten kellnern jetzt über Mitteleuropa verteilt: einer in Duisburg, zwei in Essen, einer in der Nähe von Köln. Zwei Freundinnen arbeiten in der Nähe von Neuchâtel, aber sie haben Probleme mit dem Französisch dort. Juan und Martín nennen das „Erasmus Espanol“. Der Kapitalismus sagt dazu „brain drain“. Man könnte auch Diaspora sagen. Sie konnten nicht in dem Land bleiben, in dem unter dem Schirm per Handstreich soziale Errungenschaften niedergerissen werden, für deren Aufbau es 20 Jahre sozialistische Mehrheiten gebraucht hat. Griechenland lässt grüßen.

Kein Resumé

Und jetzt sollte hier irgendwas Kluges stehen: So macht man das, so kommt man raus aus der Krise. Wenn das so einfach wär: Auf der Veranstaltung der Wiener Grünen heute Abend war ein Vertreter der NGO „Mehr Demokratie“ eingeladen, der direkte Mitbestimmungsmöglichkeiten als Allheilmittel verkaufte. Selbst Cristina Asensi ist da skeptisch. Ja, ihre Organisation „Democracia Real Ya“ ist in einem Bündnis mit 150 anderen Vereinen. Ja, die machen seit eineinhalb Jahren Lärm in Spanien gegen Austeritätspolitik. Ja, das ist bemerkenswert und ein Hoffnungszeichen unter Spaniens dunklem Himmel. Bei den Wahlen im November 2011 haben trotzdem 44,6% der SpanierInnen für die neoliberalen Konservativen gestimmt. Der Rettungsschirm ist trügerisch. Unterm Schirm ist man sicher vor dem Regen. Aber die Wolken über der jungen Republik gehen davon nicht weg.

griechenland hoch sieben

 

Was für ein Desaster: 1.440 Euro Schulden pro Person im Jahr, in nur drei Jahren von 2008 bis 2011 eine Steigerung von 15% bei der Pro-Kopf-Verschuldung. 2006, 2007 und 2008 hat die Regierung die Finanzen dem gesetzgebenden Organ vorenthalten. Warnungen aus Brüssel wegen des Verstoßes gegen den Stabilitätspakt sind in den Wind geschlagen worden. Die Neuverschuldung steigt zwischen 2006 und 2008 um 100% an. Dabei sind 80% des ordentlichen Budgets Pflichtausgaben, an denen auch mit Reformen nicht gerüttelt werden kann. 2009 diskutieren führende Wirtschaftsanalysten schon über einen drohenden Staatsbankrott. Bis 2014 wird sich die Verschuldung des Landes im Vergleich zu 2008 verdoppelt haben. 2011 und 2012 fehlt das Geld, um fällige Kredite zu bedienen, der Finanzverantwortliche der Regierung stellt die Rückzahlungen auf Null. Moodys senkt im Juni 2011 das Rating für die Rückzahlung der Schulden der staatseigenen Bank. Kein Wunder: Die hat Haftungen aufgenommen, die den zehnfachen Wert des jährlichen öffentlichen Budgets ausmachen. Schuld an der Krise: Ein aufgeblähter Verwaltungsapparat, blühende Korruption, wenig Moral der Besserverdienenden beim Steuern zahlen. Die regierenden PolitikerInnen haben sich mit angehäuften Schulden und Wahlgeschenken im Sattel gehalten.

Die Rede ist natürlich von Kärnten. Die österreichischen SteuerzahlerInnen haben 20 Milliarden Euro gezahlt, um die Hypo Alpe Adria zu retten, die Haider und Co. gegen die Wand gefahren haben. Nach Athen sind bisher 3,1 Milliarden Euro an österreichischen Steuergeldern geflossen, gut ein Siebtel dessen, was Kärnten in den letzten Jahren gekostet hat. Das muss bei aller Griechenland-Hysterie auch einmal gesagt werden. Ins rechte Licht gerückt zeigt die Griechenland-Hysterie nämlich auch, worum es eigentlich geht: Um einen Vorwand für europaweiten Sozialabbau, wie wir ihn seit den Thatcher-Jahren nicht mehr gesehen haben.

ein experiment: wenn innsbruck athen wäre

1.440 Kilometer ist Athen weg von Innsbruck, oder gute zweieinhalb Flugstunden. Nicht so weit, wie es sich anfühlt angesichts der täglich neuen dramatischen Meldungen aus der griechischen Hauptstadt. Damit verständlicher wird, was dort passiert, ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn Innsbruck Athen wäre.

Im zweiten Sparpaket wurde den griechischen BeamtInnen das 13. und das 14. Monatsgehalt vorerst gestrichen, mittlerweile sind die zwei Urlaubsgehälter komplett abgeschafft. In Österreich sind der 13. und der 14. Monatsgehalt fast steuerfrei, machen also mehr aus, als ein Siebtel des Jahreskommens einer Mittelstandsfamilie. Bei einem Bruttoverdienst von 3.000 Euro hatten Menschen in Innsbruck bisher knapp 30.000 Euro im Jahr netto zur Verfügung. Mit der Abschaffung des 13. und 14. wären es noch ein bißchen mehr als 24.000 Euro. Das entspricht netto 20% weniger Lohn. Von diesem letzten Fünftel fahren Menschen auf Urlaub, kaufen sich neue Autos oder neue Fernseher, rüsten ihre Wohnungen von Ölheizungen auf erneuerbare Energieträger um, kaufen sich ein Wacker-Abo, Theaterkarten oder die eine Skilift-Saisonkarte oder finanzieren ihren Kindern einen Sprachurlaub im Ausland. Oder sie zahlen ihre hohen Mieten, die sie sich ohne Weihnachts- und Sommergeld nicht leisten könnten.

Wenn die knapp 20.000 öffentlich Bediensteten in der Landeshauptstadt kein 13. und 14. Monatsgehalt mehr bekommen würden, wäre das also nicht nur weniger Luxus für Besserverdienende, sondern ein substanzieller Schaden für die Stadt. Denn am Urlaub, an neuen technischen Geräten, neuen Pelletsheizungen, Sport-Abos, Liftkarten und Sprachkursen hängen die Jobs von vielen anderen InnsbruckerInnen: Im Reisebüro, in der Autowerkstatt, in der Energiebranche, am Skilift, in Bildungs- und Kultureinrichtungen. Viele InnsbruckerInnen müssten ohne 13. und 14. Gelant aus ihren Wohnungen ausziehen und in kleinere Wohnungen ziehen, möglicherweise auch aus der teuren Stadt hinaus.

Bei 20.000 betroffenen BeamtInnen wäre ein regelrechter Exodus aus den innerstädtischen Wohngegenden die Folge. Das verlängert die Anfahrtszeit an den Arbeitsplatz, was wiederum der Umwelt, der Gesundheit und der Lebensqualität schadet. Und das kostet dann auch wieder – bei der Ärztin, beim Psychologen oder über Umwege, weil die Menschen weniger Zeit haben, sich in ihrer Kirchengemeinde, bei der Freiwilligen Rettung oder in der Sozialeinrichtung ums Eck zu engagieren. Mit dem vierten griechischen Sparpaket wäre dann vielleicht auch die Wohnung in Zirl, Fritzens oder Mils zu teuer. Zumindest für die umgerechnet 500 BeamtInnen, die für ein Jahr bei 60% ihres Einkommens dienstfrei gestellt werden. Da hängen dann auch ungefährt tausend Innsbrucker Kinder finanziell in den Seilen. Kein Urlaub, kein Ferienlager, keine Weihnachtsgeschenke, keine Nachhilfe, kein Musikunterricht.

Die Jungen und die ganz Alten wären sowieso bedient: Fast 4.000 Pensionierungen im öffentlichen Dienst gibt es in Innsbruck bis 2015. Wäre Innsbruck Athen, würden nur 800 Stellen nachbesetzt. 3.200 PolizeischülerInnen, Lehramts-Studierende, SozialarbeiterInnen und werdende VerwaltungsjuristInnen müssten raus aus der Stadt und wahrscheinlich auch aus dem Land, um Arbeit zu finden. Sie würden dann, außer Landes, natürlich auch ihre Steuern nicht mehr in Österreich zahlen. Dabei wären das Steuereinnahmen des Mittelstands der 2020er-Jahre, mit denen die Republik eigentlich gerechnet hätte. 20-30% teurer sind in Athen Medikamente nach dem dritten Sparpaket. Das trifft in der Regel alte und kranke Menschen. Und weil die sich angesichts empfindlicher Pensionskürzungen ihre Medikamente nicht mehr selber leisten könnten, müssten ihre Kinder in die Bresche springen. Hoffentlich wären die keine BeamtInnen oder Menschen, deren Arbeitsplatz an der Kaufkraft des Mittelstands hängt. Sonst gäb’s die Medikamente vielleicht einfach nicht mehr.

Ein Horrorszenario? Hoffentlich. Die Moral von der Geschichte? Sparpakete zerstören Städte und Existenzen. Das sollten sich auch die SchuldenbremserInnen zu Herzen nehmen.

man trifft sich immer zwei mal im leben

So, jetzt habt ihr’s geschafft, liebe EU-Kommission, lieber Sixpack. liebe deutsche Bundeskanzlerin, lieber französischer Präsident. Liebe Deutsche Bank, liebe Spekulanten und -innen, liebe WirtschaftsredakteurInnen und sogenannte ExpertInnen: Die Eurokrise und ihre neueste Entwicklung machen mich politikverdrossen. Und das ist bei mir gar nicht einfach. Aber ihr habt euch auch redlich bemüht.

Eine Skizze: Ein EU-Staat schickt falsche Zahlen nach Brüssel, Jahre später wird ruchbar, dass der Staat seine Ausgaben falsch angegeben hat und nicht mehr decken kann. „Die Börsen“, also zehntausende Superreiche aus der ganzen Welt, reagieren. Aber nicht, indem sie sich mit Grausen abwenden, sondern indem sie wie die Aasgeier versuchen, aus dem darniederliegenden Staat auch noch die letzten Fleischstücke zwischen den Rippen herauszufleddern. Die GriechInnen retten zuerst ihre maroden Banken, um dann bei öffentlich Bediensteten 25% Gehaltskürzungen durchzudrücken und öffentliche Vertragsbedienstete noch und nöcher zu kündigen. Irgendwoher muss ja das Geld für das nächste Bankenrettungspaket kommen.

Man muss sich das einmal vorstellen: Da gibt’s höhere Schulen, wo von heute auf morgen kein Englisch mehr angeboten wird, weil sich der Staat die Lehrkräfte nicht mehr leisten kann. In der Europäischen Union, im Jahr 2011. Dann, Verschärfung der Krise, die EU tritt noch stärker auf den Plan. Der griechische Ministerpräsident will im Mutterland der europäischen Demokratie denen, die in einer Demokratie die Herrschaft verleihen (!), ein Paket vorlegen, damit die wenigstens die Gelegenheit haben, zu weiteren Einschnitten ja oder nein zu sagen. In Cannes drehen ihn die gefühlten EU-PräsidentInnen Merkel und Sarkozy in einer Nacht um, er bläst die Volksabstimmung ab. Heute tritt Papandreous zurück, um den Weg für eine große Koalition freizumachen.

Noch einmal, langsamer, in der Wiederholung: Der griechische Ministerpräsident will eine demokratische Legitimation für massive Sozialkürzungen, die an den Grundfesten des Staats rütteln. Und für die europäischen FreundInnen gibt’s keine schrecklichere Vorstellung, als dass die Bevölkerung in einer Demokratie ja oder nein sagen kann. Da fragt sich dann schon, wessen FreundInnen das wirklich sind. Sie drohen, dass es dann kein Geld mehr gibt für die sogenannte Sanierung. Die Entscheidungen fallen in diesem Europa und in dieser Krise in immer kleineren Hinterzimmern und zugunsten von immer weniger ProfiteurInnen. Was da wirklich passiert, an den Märkten, an der Börse und in wessen Auftrag die deutsche Bundeskanzlerin handelt, die dem Chef der Deutschen Bank für die Feier seines 60sten Geburtstag immerhin das Kanzlerinnenamt zur Verfügung gestellt hat, durchschaut kaum mehr jemand.

Man trifft sicher immer zwei Mal im Leben: Vor 2500 Jahren ist im heutigen Griechenland der erste große Schritt zur Volkssouveränität gegangen worden, die Demokratie war am Horizont im Blick. Heute ist sie es auch. Von der anderen Seite.

zeit für eine neue große erzählung

Ich kann es nicht mehr hören, das Lamentieren über den Stillstand. Ich kann es vor allem deshalb nicht mehr hören, weil es sich bei der Legitimationskrise des politischen Systems nicht um ein österreichisches, sondern zumindest um ein westeuropäisches Phänomen handelt. Maggie Thatchers langer Schatten liegt über Europa und das Damoklesschwert in Form politischer Krisengewinnler von Strache über die ungarischen Fidesz-Faschisten und die „Wahren Finnen“ bis zu Marine Le Pen schwebt über den behäbigen Eliten. Der Abbau staatlicher Institutionen, wie er in den 80er- und 90er-Jahren von SozialdemokratInnen – und da wo sie regiert haben, auch von Grünen – mitgetragen wurde, bringt einen Abbau an öffentlicher Verantwortung und der bringt einen Abbau an Solidarität. Da kann man jetzt „stating the obvious“ sagen. Aber die Selbstentmachtung der politischen EntscheidungsträgerInnen war es erst, die Bankerinnen und Spekulanten, Steuerflüchtlinge und Karibikkontenbesitzerinnen ihre Ketten sprengen hat lassen.

Das, was sie „neoliberalen Mainstream“ nennen, hat ja längst Einzug gehalten ins Private, das so politisch werden hat können. Neidreflexe funktionieren nun mal am besten bei Menschen mit Abstiegsängsten. Abstiegsängste hat, wem das öffentliche Sicherheitsnetz unter den Füßen weggezogen wird. Alle qualitativen Studien zum Aufstieg der FPÖ zeigen: Am stärksten sind die Blauen nicht bei der traditionellen, selbstbewussten ArbeiterInnenschaft, sondern bei denen, die sich als Mittelstand sehen und Angst vor dem freien Fall und vor dem Verlust gesellschaftlicher Anerkennung für ihren Beruf haben. Und die harte Währung für gesellschaftliche Anerkennung sind und bleiben Transferleistungen und öffentliche Subventionen. Je mehr AbstiegsängstlerInnen herumlaufen, desto gefährlicher für die Stabilität des politischen Systems. Sie flüchten sich nämlich aus Enttäuschung über ihre „herkömmlichen“ politischen VertreterInnen ins Private und teilen an Wahltagen nur mehr Watschen aus. Gesellschaft gibt es für sie nicht mehr, weil sie mit ihren eigenen Existenzängsten so überfordert sind, dass sie nur mehr Ellenbogen sehen.

Bevor jetzt jemand mit der guten öffentlichen Gesundheitsversorgung oder mit dem relativ großzügigen Sozialstaat kommt: Ich kann mich nicht daran erinnern, wann zum letzten Mal eine Transferleistung erhöht, eine Massensteuer abgeschafft oder eine öffentliche Leistung gratis geworden ist. Das kennt meine Generation aus der Erzählungen unserer Eltern aus den 70er-Jahren. Selber kennen wir nur Kürzungen, Streichungen und das Gefühl des politischen Catenaccio. Defensiv und ängstlich: das sind selbst die lobenswerten Initiativen vom Sozialstaats-Volksbegehren bis zu den Protesten gegen die Einführung der Studiengebühren. Der Verteidigungskampf zieht sich durch bis zu den Zielen der EU und der OECD: ein besserer Forschungsstandort werden, damit uns die ChinesInnen nicht überholen. Mehr Kleinkinderbetreuung, damit wir mehr berufstätige Menschen haben, die mehr Steuern zahlen, damit wir den Sozialstaat nicht noch weiter durchlöchern müssen: So lesen sich die europäischen Papiere, mögen sie nach Bologna oder Barcelona benannt sein.

Gerade jetzt, wo eine Milliardenbestechung nach dem anderen Millioneninserat bekannt wird und ein Billionentunnel nach dem anderen gebaut werden soll, braucht es eine andere Grundhaltung. Ich lass mir einfach nicht mehr erklären, dass kein öffentliches Geld für die ärmsten 500.000 da ist, wenn in der öffentlichen Verwaltung die Millionen für Freundschaftsdienste hin- und hergeschoben werden und wir auf einmal Milliarden für Bankenrettungen auf die hohe Kante legen können. Die SparmeisterInnen der Nation sind längst als Scharlatane enttarnt. Jetzt straucheln sie. Und das ist nicht nur gefährlich. Sondern auch die Chance, den langen Schatten Maggie Thatchers loszuwerden und der neoliberalen Erzählung eine neue große Geschichte entgegensetzen. Vor allem in Kenntnis der Alternativen.

freiheitliche antworten auf sozialdemokratische fragen

Zwei Wochen jeden Tag auf einer anderen Alm – und mehr gelernt, als bei der Lektüre dutzender Bücher. Ich kann keine quantitative Studie anbieten, aber was ich gehört habe, ist es trotzdem wert, erzählt zu werden. Zuallererst: Die Alm-ÖsterreicherInnen sind nicht unpolitisch und nicht politikverdrossen. Sie diskutieren, entgegen meine Erwartungen, nicht leidenschaftlich über Gipfelsiege und Almrouten, sondern über Griechenland, über die „Ausländer“ und über Brüssel. Und zwar mitunter stundenlang. Für mich als Innenstadt-Bobo ist die Alm einer der wenigen Orte, wo ich Berürhungspunkte mit gemeinen ÖsterreicherInnen habe – gerade deshalb ist es da oben oft so lehrreich.

Gezählte 9 ausführliche Unterhaltungen hab ich so lange unverschämt belauscht, bis ich glaubte, ein Muster zu erkennen. Alle Unterhaltungen haben mit der persönlichen Situation am Arbeitsplatz von einem/einer der GesprächspartnerInnen angefangen und waren in Nullkommanichts eben bei Griechenland, bei den „Ausländern“ und bei Brüssel. Der Tenor: Die Firmen bauen Angestellte ab und lagern ihre Produktion in fremde Länder aus, die Manager verdienen sich mehrere goldene Nasen oder fette ebensolche Handshakes, zwangspensionieren teure „alte“ Arbeitskräfte und die Republik hat anstatt die ArbeitnehmerInnen zu schützen und den Unternehmen Fesseln anzulegen nichts besseres zu tun, als „die faulen Griechen“ durchzufüttern.

Das Tragische ist: drei Viertel dieser Gespräche decken sich mit meiner Wahrnehmung – und die Schlüsse klingen, wie aus der Feder von FPÖ-Generalsekretär Kickl. Das ist deshalb so tragisch, weil die Anziehungskraft der Rechtsradikalen weit über dummdreiste Nazis hinausreicht. Es sind die von der FPÖ vorgegebenen Themen, die dazu führen, dass ganz normale ÖsterreicherInnen sich in ihrer Freizeit über Politik unterhalten. Und es sind falsche FPÖ-Antworten, die sich die gemeinen ÖsterreicherInnen auf selbst gestellte Fragen aus ihrem Alltag geben. Was ist da passiert?

Der Kapitalismus führt, besonders in der Krise, zu einer Verknappung von gesellschaftlichem Wohlstand, der sich hunderttausende Male auf individueller Ebene in hunderttausend Geld-, Prestige- und Sicherheitsverlusten abspielt. Ob man stolzer Stahlarbeiter oder von Kündigung bedrohter Kurzarbeiter ist drückt ebenso auf die Selbstverortung in der Gesellschaft, wie ob frau noch eine echte Österreicherin sein darf, oder in einem undefinierbaren europäischen Konglomerat aufgeht, wo die Gurkenkrümmung und die Brettljausen normiert werden soll. Ein zurück in die 90er-Jahre gibt’s aber nicht. Zum Glück. Der europäische Einigungsprozess ist – zum Glück – ebensowenig rückgängig zu machen, wie die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts. Dann bleibt noch die Frage, warum diese Menschen sich auf zutiefst sozialdemokratische Fragen zutiefst freiheitliche Antworten geben.

Eine mögliche Erklärung: Wenn die herrschenden Eliten ein politisches System an die Wand fahren und Krisen, die tief in die Lebensbereiche der Menschen hineinspielen, als Zahlenspiele abtun und dann in parteipolitische Kampfhaltung verfallen, um den nächsten Schmutzkübel zu werfen, sinkt ihre Glaubwürdigkeit. Sie werden als „out of touch“ und als abgezirkeltes Machtkartell zu eigenen Gunsten wahrgenommen. Ich bin mir sicher, dass kaum jemand weiß, wie die ORF-GeneraldirektorInnenwahl abläuft – aber dass sich schwarz, rot und grün da irgendwas ausgemacht haben, das haben die gemeinen ÖsterreicherInnen auf der Alm gecheckt. Füttern tun diese antielitären Reflexe dann falsche Propheten wie Hans-Peter Martin oder der allgegenwärtige HC.

Und mögliche Antworten auf dieses Dilemma? Ich glaube, es gibt keine so emotionale und leicht wiederzugebene Erklärung, wie Sündenböcke auszumachen und ihnen die Schuld für alles in die Schuhe zu schieben, was die individuelle Lebenssituation erschwert. Da einzuhaken, wäre also zu spät. Aber die Ärmel hochkrempeln, den Menschen Verständnis für ihre hunderttausenden schwierigen Situationen entgegenzubringen und im eingeschränkten Handlungsspielraum nationaler Gesetzgeber alles zu tun, damit öffentliche Gelder in Menschen und nicht in Prestigeprojekte investiert werden – das wäre einmal ein Anfang. Den Dialog verweigern die BürgerInnen nämlich nicht und desinteressiert sind sie offenbar auch nicht. Zumindest nicht die auf den Tiroler Almen.

eine partei ist kein waschmittel

Weil’s grad wieder so aktuell ist: Mein Kommentar der Anderen im Standard vom 11. Juni 2009 (http://bit.ly/a2SUMp)

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Hätten nur die EU-GegnerInnen in Österreich gewählt, hätten die Grünen 1% der Stimmen bekommen. Das ist schlimm für eine Europapartei, weil beide möglichen Schlüsse schmerzen: Entweder wir haben alle unsere EU-KritikerInnen überzeugt, bevor sie SORA vor dem Wahllokal abgepasst oder am Wahltag telefonisch erreicht hat. Oder wir haben aus Angst vor noch größerem Voggenhuber-Gebrüll nach seiner demokratischen Abwahl den Bogen mit unserer Kampagne ‚Vorwärts Europa‘ überspannt, um dem selbsternannten Star wenigstens inhaltlich nicht zu viel Angriffsfläche zu bieten. Es hat ihn nicht davon abgehalten, eine Wahlempfehlung gegen Europas Grüne und für ÖVP und SPÖ abzugeben, die wahlweise dem bösen Brüssel auf die Finger schauen oder auch klopfen wollen. Karas und Bösch hin oder her – was eine Vorzugsstimme wert ist, führt uns die ÖVP ja gerade vor.

Aber was tun mit der knappen Million ÖsterreicherInnen, die nicht mit uns ‚Vorwärts Europa‘ angestimmt, sondern mit ihrer Stimme für Hans-Peter Martin oder für die Rechten der EU den Stinkefinger gezeigt hat? Fragt man überzeugte EuropäerInnen bei uns Grünen, ist völlig klar, dass wir uns zum Einigungsprozess bekennen, aber dass wir alles andere als blauäugig gegenüber den Schwächen der EU sind. Ein Kommissionspräsident, der einen um den anderen Anlauf startet, im Auftrag der Gentechnik-Lobby für die Aufweichung des Verbots manipulierter Lebensmittel zu erreichen ist uns ebenso ein Dorn im Auge, wie ein Rat, der nicht zu einem konsequenten Nein zur Atomkraft in der Lage ist. Gemerkt hat das aber – überdeckt von ‚Vorwärts Europa‘ – niemand außerhalb unserer KernwählerInnen. Wir haben, man muss es so formulieren, ein massives Kommunikationsproblem. Von den GegnerInnen des EU-Beitritts sind wir in den Augen der WählerInnen zu unkritischen Ja-SagerInnen geworden.

Atomkraftfrei‘, gentechnikfrei und spekulationsfrei‚ – damit haben wir auf unseren Plakaten geworben. Der Haken an der Sache: Das sagen alle österreichischen Parteien, auch wenn es ihre ParteifreundInnen aus anderen europäischen Ländern sind, die neue Atomkraftwerke bauen oder mit der Gen-Lobby unter einer Decke stecken. Die WählerInnen haben nichts davon gemerkt, dass nur wir in ganz Europa für diese drei Forderungen eintreten. Erst recht nicht jene, die sich nicht tagtäglich über europapolitische Hintergründe informieren. So wurde nicht über ‚grüne‘ Themen diskutiert, sondern über den Türkei-Beitritt und über die Verlängerung des Assistenzeinsatz an der ehemaligen Schengen-Grenze, die mit dieser EU-Wahl genau genommen überhaupt nichts zu tun haben. Schuld daran sind nicht nur die bösen Medien, sondern auch wir selbst.

Unser Kommunikationsproblem liegt wohl zuallererst an der Sprache, die wir Grüne sprechen und an den Bildern, die wir verwenden. Ob es um lebensgefährliche SUVs, um autofreie Innenstädte oder um Börsenspekulation geht – wenn jemand ein Verbot und Strafen fordert, schrillen bei uns alle Alarmglocken. Unsere StammwählerInnen könnten es uns ja übel nehmen, wenn wir ihre Flexibilität und ihren Luxus einschränken. Es ist genau dieser Pragmatismus, der uns so langweilig, angepasst und systemkonform erscheinen lässt. ‚Europa von der Atomkraft befreien‘ ist alter Wein in alten Schläuchen. Mit drastischeren Bildern, mit Mut zum ‚Nein‘ und zur Forderung nach Verboten sind die Grünen groß geworden. Nicht in den Inhalten, aber in der Kommunikation täte uns ein bißchen ‚back to the roots‘ gut.

Wir müssen keine einzige unserer europapolitischen Positionen ändern, wir müssen sie nur mutiger präsentieren und nicht aus Angst vor der eigenen Courage erstarren. Das im PR-Sprech zum Dogma gewordene positive formulieren, das schon so absurde Blüten wie ein ‚Ja zum Nein zu Olympia‘ getrieben hat, ist unangebracht, wenn die WählerInnen wütend und von der Sorge um ihren Arbeitsplatz und um ihre Zukunft getrieben sind. Eine Partei ist kein Waschmittel – und mit einer Wohlfühl-Kampagne ist in Zeiten der Krise keine Wahl zu gewinnen.

dreikommasechsundneunzig oder zeit für eine quarterlife crisis

„Stabilisierungsphase“, „stark auf gleichbleibendem Niveau“, „Mandatsverlust trotz Stimmengewinnen“, „schwierige Rahmenbedingungen“, „Materialschlacht der Großparteien“, „schlechte Großwetterlage“, „in der Krise haben WählerInnen andere Prioritäten“, „die besten Ideen leider nicht unters Volk gebracht.“ Ich könnte das endlos fortsetzen. Aber ich kann oft nicht mehr hören, warum Grüne glauben, dass Grüne verlieren.

Die Grünen im Burgenland haben heute eine heftige Watsch’n eingefangen, haben ein Drittel weniger Stimmen als 2005. Sie liegen heute abend bei 3,96%, geschlagen sogar von einer schwindligen FPÖ-Abspaltung. Das ist schade, weil ich aus der Ferne Michel Reimon sehr glaubwürdig, geradlinig und klug gefunden habe. Aber diese Watsch’n gehört nicht nur den burgenländischen Grünen. Sie gehört uns allen, die wir interne Nabelschau betreiben und das Dogma der positiven Kommunikation bis zur absurden Lächerlichkeit ausreizen.

Beispiel gefällig? Bei der Landtagswahl in Vorarlberg hält die ÖVP ihre Absolute. Die FPÖ verdoppelt von 13 auf 25%, nachdem Parteichef Egger eine wüste antisemitische Kampagne gegen den Direktor des Jüdischen Museums in Hohenems gefahren hat. Die Grünen gewinnen einen halben Prozentpunkt. Darüber kann man sich nach innen freuen. Aber nach außen „Trendumkehr“ und so weiter – das ist angesichts der politischen Klimaveränderung in diesem Land peinlich. Unsere WählerInnen sitzen daheim, schockiert über grassierenden Rassismus und über FPÖ-Erdrutschsiege. Und dann erzählt ihnen irgendein/e Grüne/r „In Hintertupfing haben wir um 0,8 Prozent zugelegt“ oder „das ist ein guter Tag für die Grünen.“

Solange wir diese eitle Nabelschau präsentieren, solange wir nur über unseren Vizebürgermeister da und über unseren Landesrat dort und über Paragraph 437 Absatz 8c reden, werden wir keine Wahlen mehr gewinnen. Denn in den Bauch geht diese Funktionitis nicht. Da sind sie wieder, die viel zitierten StreberInnen des Parlamentarismus. Die braucht es auch, keine Frage. Aber diese Partei ist jetzt 32 Jahre alt, gerechnet ab Zwentendorf. Einen Dreier vor dem Ergebnis haben wir seit über 10 Jahren nicht mehr „geschafft“. Es ist Zeit für eine quarterlife crisis. Was herauskommt, weiß ich nicht. Aber jetzt mal ehrlich: Wann, wenn nicht jetzt?