Es ist ja beinahe ungewollt aufklärerisch, was Österreichs renommierteste Tageszeitung in diesen Tagen zulässt. Die aberwitzige Melange der im „Standard“ veröffentlichten Kommentare zeigt, dass die Errungenschaften der Frauenbewegung und der ArbeiterInnenbewegung nicht sicher sind. Jetzt kann man das natürlich „freie Meinungsäußerung“ nennen, was eine selbsterklärte Antifeministin, die bereitwillig auf Antifeministen-Kongressen referiert, von sich gibt. Bei einer Organisation, deren Logo wir irgendwoher aus der Antifa kennen (siehe Bild). Irgendwer findet sicher auch den Wunsch nach der Wiedereinführung der Kinderarbeit ein lustiges Gedankenspiel.
Aber der „Standard“ ist nicht das Forum der Piratenpartei, in dem Hinz und Kunz sich ohne Zugangsschranken vor sehr speziellem Publikum verbal die Fressen panieren. Der „Standard“ ist eine Qualitätszeitung. Eine Bastion des liberalen Österreichs. Mit einer ganzen Reihe verdienter JournalistInnen aus allen Ressorts, die bei der Auswahl ihrer Artikel nicht den Anschein der Schimäre „Objektivität“ erwecken wollen, sondern regelmäßig auch Partei ergreifen. Mir fällt da an erster Stelle Irene Brickner ein, ohne die ein paar weniger Grauslichkeiten österreichischer Asylpolitik bekannt würden und die in der Auswahl ihrer Artikel und mit den Statements in ihren Kommentaren auch Sprachrohr tausender in diesem Land um die Menschenrechte Engagierter ist.
Genau wie sich Matthias Cremer seine Fotomotive, wie sich Hans Rauscher sein Einserkastl und wie sich Gudrun Harrer den Fokus ihrer Analysen aussuchen, sucht sich auch die LeserInnenbrief-Redaktion aus, welche Schreiben veröffentlicht werden und welche nicht. Soll mir also niemand mit „objektiv“ und „freier Meinungsäußerung“ kommen. Da sitzen RedakteurInnen, die eine Auswahl treffen. Und weil die letzte Standard-Doppelseite das einzige Feuilleton-artige am österreichischen Tageszeitungs-Markt ist, ist sie besonders meinungsbildend. Das ist eine ordentliche Portion Verantwortung auf den Schultern der zuständigen Redakteure (ohne Innen, so weit ich weiß). Die ergreifen auch Partei. Und haben, wie Eva Maltschnig vor kurzem aufgezeigt hat, schon bisher einen sehr speziellen Fokus bei Gender-Themen gehabt. Letztes tristes Highlight: Ein redaktionell veröffentlichter Kommentar, der irgendwo zwischen Jeannee und Franz Weinpolter Platz finden hätte können. Aber nicht in einer Qualitätszeitung. Zitront euch doch selbst.
Und wenn man glaubt, es geht nicht mehr schlimmer, kommt irgendwo ein antisemitischer Jude, eine rassistische Ausländerin, ein homophober Schwuler oder eben eine antifeministische Frau daher. Wenige Tage, nachdem der Atheisten-Aktivist Laizitäts-Befürworter Niko Alm die Haltung der Religionsgemeinschaften in der Debatte um die männliche Beschneidung in der Überschrift „Vergewaltigung“ nennen darf und der „Standard“ das druckt veröffentlicht, erzählt die weibliche Ikone der Maskulistenbewegung die rührende Geschichte von einem armen Mann, dessen Frau einfach so ins Frauenhaus geflohen ist, um ihm das Kind zu entziehen. Und was für ein Mann: Braungebrannt, Flugzeug-Pilot war er gewesen – jetzt ist er mager. Einen Herzinfarkt hat er gehabt. Die Frau und die „lila Keule“ des Feminismus haben ihm zugesetzt. En passant watscht die Autorin des Kommentars noch die Einrichtung von Frauenhäusern an sich. Die letzte Zuflucht für gewaltgeplagte Frauen bringt Monika Ebeling mit „feministischen Kriegshetzerinnen“ in Verbindung. Was für ein Bild: feministische Kriegshetzerinnen in den 70ern, als Vietnam brannte und an den Nebenfronten des Kalten Kriegs Millionen verreckten.
Vorsicht: Ich will nicht bestreiten, dass das Familienrecht nach Reformen schreit. Das Besuchsrecht für Väter ist nicht optimal geregelt. Die automatische gemeinsame Obsorge halte ich für Schmähfuh, aber wir können sie zivilisiert diskutieren. Genau das verunmöglicht aber das redaktionelle Veröffentlichen eines Kommentars wie jenes von Monika Ebeling. Da erzählt uns Eine ernsthaft, Frauenhäuser wären strategische Stationen in Ehestreitigkeiten um Kinder. Da wirft Eine die Themen Gewalt in der Familie, Geschlechterquoten in den ChefInnenetagen und eine Tränendrüsen-Geschichte zusammen, um konsequent ihre Agenda zu verfolgen: eine stringende antifeministische Agenda nämlich. Die kann sie ja ruhig haben, die Frau Ebeling. Aber eine Qualitätszeitung darf so einen Kommentar nicht abdrucken. Man stelle sich einen „Standard“-Kommentar vor, der ähnlich rassistisch ist, wie Ebelings Text antifeministisch. Never gonna happen.