es ist kein menschenleben her

Richard Berger, Wilhelm Bauer, Richard Graubart: tot. Josef Adler, Flora, Karl und Stefan Bauer, Rudolf und Julie Brüll, Berta Dannhauser, Epraim und Mina Diamand, Alfred Graubart, Julius Meisel, Helene und Fritz Rosenstein, Hugo Schindler, Richard Schwarz und Wolf Meier Turteltaub schwer verletzt. Das ist die Bilanz des 9. November 1938 in Innsbruck. Es ist kein Menschenleben her, dass in der „Straße der Sudetendeutschen“ (später Sillgasse) eine 98-jährige Frau von SS-Männern in Zivil die Stiegen hinuntergestoßen wird. Heute steht dort das einzige jüdische Gebetshaus in Österreich westlich von Salzburg.

Es ist kein Menschenleben her, dass in diesem Haus in der Adamgasse 9 Vater und Sohn einer sechsköpfigen Familie schwerstens misshandelt werden, dass nur drei Kinder das Jahr 1942 überleben und bis dahin neben ihren Eltern auch den ältesten Bruder im KZ Sobibor verlieren. Es ist kein Menschenleben her, dass in der Anichstraße 7 der Leidensweg des Ehepaars Brüll mit ihrer Tochter Ilse beginnt. Die Eltern überleben Theresienstadt. Ilse wird 1942 in Auschwitz ins Gas geschickt. Sie ist 17. In der Gänsbacherstraße 5 im Innsbrucker Saggen werden Wilhelm Bauer und Richard Graubart durch mehrere Messerstiche ermordet. Bauers Tochter Eva ist heute 78 und lebt in Kanada.

Es ist 15 Jahre her, dass am Innsbrucker Landhausplatz das Pogrom-Denkmal aufgestellt wird. Es hat einen Landtag der Jugend gebraucht, damit die Erinnerung an die vier toten Menschen und an die hunderten zerstörten Existenzen in der Landeshauptstadt sichtbar gemacht wird. Es ist eine Stunde her, dass ich mit 50 anderen Interessierten am „Antifaschistischen Spaziergang“ teilgenommen hab, auf dem Marko Miloradovic durch Innsbrucks Vergangenheit geführt hat.

Heute leben wir in einem Rechtsstaat, der den meisten Menschen Sicherheit bietet. Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft, in der die damalige Form der Ausgrenzung kaum vorstellbar ist. BürgerInnen haben Grundrechte gegenüber dem Staat, deren Einhaltung sie einklagen können. Man nennt es Frieden. Aber Achtung: Das war schon einmal ganz anders. Es ist kein Menschenleben her.

die bürgermeisterin interviewt sich selbst

Es ist eine paradoxe Intervention der besonders gemeinen Art, mit der die Innsbrucker Bürgermeisterin dieser Tage von sich reden macht. Denn Christine Oppitz-Plörer hat sich selbst interviewt. Das kann man natürlich, daheim vor dem Spiegel, gratis machen um für öffentliche Auftritte zu trainieren. Aber nichts da: Wenn die Bürgermeisterin sich selbst interviewt, dann muss diese journalistisch-schizoide Meisterleistung auch unters Volk gebracht werden. Und die als Artikel getarnte Anzeige darf dann schon einmal 8.000 Euro kosten.

Dabei geht’s aber nicht um irgendein Thema – nein, die Bürgermeisterin erklärt den InnsbruckerInnen, dass sie jetzt alle den Gürtel ein bißchen enger schnallen müssen. Und das in einem Inserat um 8.000 Euro. „Jedes Amt wird ersucht, jede einzelne Ausgabe zu hinterfragen“, heißt es im Oppitz’schen Interview mit sich selbst. Das Bürgermeisterinnenamt ist offenbar das einzige, in dem nach wie vor Geld aus dem Fenster geworfen werden darf, wie eh und je.

Die Subventionen werden um zwei Prozent steigen, davon können aber nicht alle profitieren, kündigt die Bürgermeisterin an um auch gleich zu erklären, warum in Traditionsverbände investiert wird und in Kleinkunst nicht. Bei den Traditionsverbänden stecke nämlich so viel ehrenamtliche Arbeit dahinter, dass jeder Euro vier Mal zurückkomme. Da frag ich mich dann nur, warum’s für traditionelle Volksdümmeleien öffentliches Geld braucht.

Aber ein Innsbruck jenseits der Trachtenverbände und der Kulissenschieberei kennt Oppitz ohnehin nicht. Denn die neue Maria-Theresien-Straße, von der in Zukunft NGOs, KünstlerInnen und andere unliebsame ZeitgenossInnen vertrieben werden sollen, sei das „neue Wohnzimmer“ von Innsbruck. Für die 8.000 Euro, die das Inserat kostet, hätte die Stadt natürlich auch drei Kulturvereine weniger zusperren müssen. Aber wen kümmert das schon im Trachten-Pjöngjang…

urban street oder die melodie in diesen landen

Ich bin ja wirklich nicht blind für die Probleme, die durch die traditionalistische Auslegung des Islam bei einem wahrnehmbaren Teil der MigrantInnen in Österreich und wohl auch in Deutschland entstehen. Es gibt einen blinden Fleck in der Linken. Nämlich überall dort, wo auf die politisierte Auslegung des Islam und die damit einhergehende Unterdrückung von Frauen „das ist bei denen halt so“, „das kann man nicht von einem Tag auf den anderen ändern“ oder sogar „wir werden denen nicht sagen, wie sie leben sollen“ geantwortet wird. Aber auch wenn die Polizei so tut: Das hat aber nichts mit dem zu tun, was sich in Innsbruck zugetragen hat.

Da fotografieren doch tatsächlich PolizistInnen die teilweise minderjährigen Mitglieder der Tanzgruppe „Urban Street Connection“ ab, weil die im Rahmen einer angemeldeten Aktion legal auf Leinwände sprayen. Und auf Nachfrage der OrganisatorInnen des Events heißt es, es gebe noch offene Straftaten in der Stadt Innsbruck zu klären und dazu könnte es helfen, die SprayerInnen der legalen Aktion aktenkundig zu machen. Der Polizeikommandant ist sich nicht zu blöd, für diesen Übergriff auf rechtschaffene BürgerInnen dieses Landes auch noch um Verständnis zu werben.

Was kommt denn als nächstes? Wer fotografiert präventiv die FahrerInnen dicker BMWs, um zukünftige Geschwindigkeitsübertretungen leichter verfolgen zu können? Und wer filzt die Büros der Landesregierung, um sie beim nächsten Korruptionsfall leichter überführen zu können? Veröffentlicht jemand die Dienstnummern aller Tiroler Polizisten, um sie beim nächsten rassistischen Übergriff öffentlich zu machen? Das tun wir alles nicht. Weil es sich dabei nicht um die Verdammten dieses Landes handelt.

„Das Kind muss merken, dass es ein deutsches Kind ist, kein türkisches Kind in Deutschland“, sagt der ehemalige Ministerpräsident eines der größten deutschen Bundesländer in der Sonntags-“Presse“ auf eine Frage nach muttersprachlichem Unterricht. Den Spitznamen „Hessen-Hitler“, dem ihm die Frankfurter Szene gegeben hat, hat Roland Koch wohl trotzdem nicht verdient. Aber was in Innsbruck passiert hat auch etwas damit zu tun, wenn der Star der deutschen Konservativen in einem Interview über Migration sagt, wer sich nicht an die Regeln halte, könne kein „vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft“ sein.

Wer sich nicht an Gesetze hält, wird bestraft und das ist gut so. Aber es geht immer um den Kontext. Und die Gleichsetzung von Kriminalität und Einwanderung ist eine leider schon viel zu alte Geschichte in Westeuropa. Deutschland ist – so Koch – nämlich auch „kein Einwanderungsland in dem Sinne, dass sich verschiedenste Kulturen und Religionen auf neutralem Boden treffen und eine neue Kultur bilden.“ Das heißt dann konservativ und Koch wähnt sich als Verfolgter, weil es „linken JournalistInnen“ in der „Nachkriegszeit“ gelungen sei, Konservative in die Nähe der extremen Rechten“ zu rücken. Selbst wenn der ehemalige Ministerpräsident nichts mit der extremen Rechten zu tun haben will: Seine Vorstellung von den „Traditionen“, die „unser Land zusammenhalten“, seine dezidierte Verneinung von EU-Mitglied Deutschland als Zuwanderungsland und die permanente Gleichsetzung von Migration mit Kriminalität sind Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen. Und diese rassistische Melodie, die auch in Österreich Mainstream ist, hat’s wohl auch im Kopf der PolizistInnen gespielt, die die unbescholtenen Innsbrucker Jugendlichen abfotografiert haben.

gespalten haben sich alle, außer die grünen

Sie geht nicht zur SPÖ, wie Stefan Schennach. Sie schreit nicht Zeter und Mordio und wundert sich dann, dass sie bei internen Wahlen nicht besteht, wie Johannes Voggenhuber. Sie gibt nicht den Wechsel zu einem Energieversorger bekannt, wie Joschka Fischer. Sie wechselt nicht in eine öffentliche, von der Partei zu besetzende Funktion, wie Pius Strobl. Sie spaltet sich nicht ab und macht eine eigene Liste, wie Herbert Rahdijan.

Uschi Schwarzl hat, rechtzeitig, bevor die Innsbrucker Grünen ihre/n SpitzenkandidatIn für die Gemeinderatswahl 2012 wählen, ihren Rückzug in die zweite Reihe bekannt gegeben. Sie hat nicht, wie das in Pjöngjang oder beim Bauernbund üblich ist, eine/n Kronprinz/ess/in vorgestellt. Die Stadträtin hat betont, dass es eine Reihe respektabler KandidatInnen gibt – vor allem, aber nicht nur innerhalb des Innsbrucker Gemeinderatsklubs. Gebi Mair ist extrem bekannt und hat sich als Aufdecker einen Namen gemacht, Sonja Pitscheider ist DIE Verkehrsexpertin dieser Stadt. Martin Hof ist der finanzpolitische Finger in der Wunde der korrumpierbaren Stadtregierung. Renate Krammer-Stark ist bestens in der migrantischen Community vernetzt, Thomas Carli war 20 Jahre erfolgreich in der Privatwirtschaft und ist gerade deshalb bei den Grünen. Und dann gibt’s da noch die Finanzerin Ingrid Felipe, den Sozialexperten Thomas Pachl und und und.

Ich versteh schon, dass es für JournalistInnen schwierig wird, wenn Nachfolgefragen im Pjöngjang der Alpen von einer Partei nicht wie in Pjöngjang gelöst werden. Aber deshalb von Chaos und von Verhältnissen, wie in den Wiener Bezirken 6 und 8 zu schreiben, ist doch schwer daneben. Tatsache ist: Gespalten haben sich in Innsbruck die ÖVP (in FI, ÖVP und Seniorenbund), die SPÖ (in Soziales Innsbruck und SPÖ) und die FPÖ (in FPÖ, LIF, Liste Federspiel). Also alle, außer die Grünen. Und dabei bleibt’s auch.

„oba i hun a nix getun“

Da stand ich also vor dem Büro, an einer der liebsten Sammelstellen der Innsbrucker Straßenbewohner, die wahlweise als gemeingefährlich oder genetisch kriminell veranlagt diskreditiert werden. Und da waren auch eine handvoll junger Männer, allerdings schon von der Polizei angehalten, mit gestreckten Armen an die Wand gestellt, durchsucht und zurechtgewiesen, wenn sie sich nicht jeden Griff unter der Gürtellinie gefallen ließen.

Es muss eine erschreckende Kulisse für den etwa 4-jährigen Buben gewesen sein, der Hand in Hand mit seiner Mama vom Akademischen Gymnasium in Richtung Museumstraße keine 3 Meter an der filmreifen Massendurchsuchung vorbei spazierte. Deswegen hat er wahrscheinlich auch gefragt: „Mama, wos ham die Männer getun?“. Und die Mama gab die Frage an einen der amtshandelnden Beamten weiter, der in der branchenüblichen feinfühligen Art antwortete: „Jo schaugn sie sich de un, wos glabens denn, dass de getun ham? Marokkaner holt.“

Bub schaut erstaunt, Mama dreht sich seelenruhig zu ihm: „Die Männer haben nichts getan, sagt der Polizist.“ Böser Blick, Polizist, panischer Blick kleiner Bub. Der 4jährige fängt lauthals zu heulen an. Er fürchtet sich. Vor der Polizei, nicht vor den Angehaltenen: „Oba i hun a nix getun.“

Innsbrucks sogenannte Marokkaner-Szene – ein Begriff, den peinlicherweise die Tiroler Tageszeitung erfunden hat – soll interniert werden (van Staa), ohne Verfahren abgeschoben (Federspiel) oder ins Zuchthaus kommen (neuester FPÖ-Vorschlag). Es wird nicht mehr lange dauern, bis sie vom Erschießen reden.

Ganz so einfach, wie es die Mama dem kleinen Buben erklärt hat, war’s natürlich nicht. Aber im Grunde hat sie schon recht. Ihr Sohn hat die Schattenseite des sogenannten „ethnic profiling“ erkannt. Denn wer in Innsbruck wie ein Marokkaner aussieht, wird auch wie ein Mitglied der sogenannten „Marokkaner-Szene“ behandelt. Auch wenn er nichts getan hat.

gibt’s bei uns gar nicht

Es gibt so Dinge, über die macht man sich nicht so gerne Gedanken. Es ist nämlich ein bißchen lästig, sich vorzustellen, was es heißt, von 5 Euro am Tag leben zu müssen. Wenn man sich nicht überlegen kann, ob man Fair Trade kauft, oder nicht. Ob der Urlaub nach Italien oder nach Kroatien gehen soll. Oder wohin man am Sonntag abend essen geht. Bei Erwachsenen könnte man ja noch sagen – sie werden schon irgendwann mal eine Chance gehabt haben, werden schon irgendwann mal beruflich oder privat einen ordentlichen Bock geschossen haben.

Bei Kindern wird das eher schwierig. Und obwohl Kinderarmut eine tickende Zeitbombe ist, weil sie oft verzweifelte, verrohte und ungebildete junge Menschen in eine immer brutalere Gesellschaft entlässt, lese ich in Tirol sehr wenig davon. Was sind schon 90.000 Menschen in Tirol an und unter der Armutsgrenze? Nur eine Zahl, die nicht greifbar ist. Da haben wir doch schnell Vorstadt-Prolos mit iPhones und fetten Autos im Kopf. Auch das ist natürlich ein bürgerliches Märchen zur Gewissensberuhigung. Ja, sicher gibt’s Vorstadt-Prolos mit iPhones und fetten Autos. Aber mir geht’s um ihre Kinder, die am Rand der Gesellschaft aufwachsen und nie die Chance haben werden, ihre Potenziale zu nutzen und in der Mitte der Gesellschaft anzukommen.

Wieviele das in Innsbruck sind, wissen wir nicht. Wir können’s hochrechnen, es werden zwischen 3.000 und 5.000 junge Menschen sein. Also 200 Volksschulklassen voll mit armutsgefährdeten und in Armut lebenden Kindern, damit’s leichter vorstellbar ist. Da müssten die Regierenden doch etwas machen, das kann ja niemand wollen, würde man meinen. Und dann ein Blick in die Programme der beiden ÖVP-Listen, die in Innsbruck regieren:

Ich bin ja dagegen, junge arme Menschen gegen alte arme Menschen auszuspielen. Aber wenn der ÖVP dutzende Maßnahmen gegen Altersarmut einfallen und gerade einmal drei halbherzige gegen Kinderarmut, läuft irgendwas verkehrt.

Die Wiener Grünen haben ausgerechnet, dass jedes vierte Kind in Wien in Armut aufwächst. Sie haben Maßnahmen vorgeschlagen. Ein Blick darauf würde auch der Innsbrucker Bürgermeisterin Oppitz-Plörer und ihrem Koalitionspartner Gruber gut tun. Wenn sie erst mal wahrgenommen hätten, dass es in Innsbruck tausende arme Kinder gibt.

herr herwig im landeshauptdorf

Wer diesen Sommer in der Innsbrucker Innenstadt spazieren geht, kann einem freundlichen älteren Herrn begegnen. Wenn er nicht gerade ermüdende Reden in drittrangigen EU-Gremien hält, zeigt Landtagspräsident Herwig van Staa ahnungslosen TouristInnen die Maria-Theresien-Straße. Vor allem in den Mittagsstunden soll man Herrn Herwig immer wieder antreffen, wie er wildfremden Menschen aus Italien, Japan oder Deutschland zeigt, was er alles bauen hat lassen und welche Leistungen er für Innsbruck vollbracht habe. Er trifft in erster Linie auf Verständnislosigkeit und auf Sprachbarrieren, erzählen sich Innsbrucker StadtbeamtInnen.

Und trotzdem: An diesem Recht des älteren Herrn würde niemand rütteln wollen. Sehr wohl gerüttelt wird daran, dass es sich bei Innsbruck um eine Landeshaupt-Stadt handelt. Geradezu piefkesagaesk die Ankündigung der neuen Bürgermeisterin: Sie will auf der Maria-Theresien-Straße nur mehr Christkindlmärkte, Sport-Events und Traditionsveranstaltungen zulassen. Raus sollen die RadfahrerInnen, die KleinkünstlerInnen, NGOs und Parteien, aber auch die Medien mit ihren großen Bühnen etwa beim Stadtlauf. Im Zentrum des Landeshauptdorfs sollen nur mehr Humtatata und Tirol-Kitsch erlaubt sein.

Und ich dachte schon, es reicht, dass der Landhausplatz für Aufmärsche und die Sophienruhe für Parkplätze betoniert, der Hofgarten jugendfrei und der Rapoldipark ausländerfrei gehalten wird. Aber denkste: Auch in der Em-Te gibt’s nicht nur mehr Beton als davor, sondern auch kein G’sindl mehr, wenn’s nach Christine Oppitz-Plörer geht. Dann wird auch der Herr Herwig noch ungestörter TouristInnen langweilen können. Die Farbbeutel aufs Kaufhaus Tyrol von heute Nacht sind trotzdem daneben. Gegenüber wäre das Rathaus des Landeshauptdorfs gestanden.

fünfundzwanzig millionen eiskugeln

„Geah z’ruck noch Rumänien oder wo herkimmsch“, hat ein älterer Herr gestern einem kleinen Mädchen gesagt, das vor dem Sillpark um einen Euro gebettelt hat. „I bin ober vu Innschbruck“ hat sie geantwortet. Das kleine Mächen wollte sich ein Eis kaufen, sie hat das ganze Jahr noch keines bekommen. „Kenn ma ins nit leischten“, sagt ihr die Mama. Den Papa kennt sie nicht.

Natürlich kann es sein, dass „die Mama“ genug Geld hätte, aber es lieber für ein neues Handy oder für Zigaretten oder für eine Haartönung ausgibt. Aber diese Variante als Generalverdacht ist eine Legitimationsstrategie von denen, die sich’s leisten und fast alles richten können. „Da kann man halt nichts machen, wenn die Prolos falsche Prioritäten setzen.“ Thema abgehakt – soziale Ungerechtigkeiten gibt’s halt einmal. Aber richtig arm sind die Leute in Afrika, sagt die ÖVP – noch so eine Legitimationsstrategie.

Ich wusste, dass es zehntausende manifest arme Menschen in Innsbruck gibt. In ganz Tirol wachsen 20.000 Kinder in Armut auf. So deutlich, wie gestern, hab ich die Armut in Innsbruck noch selten gesehen. Wenn man politische Maßnahmen setzen will, muss man zuerst die Voraussetzungen dafür schaffen, die Maßnahmen messbar zu machen. Man müsste also wissen, wie viele Menschen in Innsbruck arm sind und welche Faktoren zu einer höheren Armutsgefährdung führen. Dann könnte man den Menschen aus der Armut heraushelfen und die Maßnahmen mit einem neuen Bericht evaluieren und verbessern. Klingt technokratisch, nicht?

Aber so weit sind wir bei Weitem nicht. Ich hab mir 10 Minuten Zeit für ein Experiment genommen: Ich hab die Innsbrucker Bürgermeisterin und ihre zwei Vizes durch Google gejagt, in etlichen Varianten mit „Armut“, „Kinderarmut“, „Armutsgefährdung“, „Armutsbekämpfung“ und mit einigen anderen Schlagwörtern.

Heraus kommt Null. Nichts. Kein einziges Mal hat eine oder einer aus der Stadtführung irgendwo öffentlich über Armut gesprochen. Dafür hat der Vizebürgermeister Kaufmann vorgestern in der Pause von Spanien-Südkorea vor 17.000 im Tivoli die Jugendolympiade gelobhudelt. 2012 kommen nämlich 1.000 LeistungssportlerInnen zwischen 14 und 18 nach Innsbruck. Das kostet mindestens 25 Mio. Eiskugeln.