spaniens himmel unterm schirm

Cristina Asensi hat heute einen beeindruckenden Vortrag gehalten. Spaniens Himmel trägt dunkle Wolken. Die Heimat der spanischen ATTAC-Aktivistin wird diese Woche unterm EU-Rettungsschirm landen. Am Madrider Hauptplatz prügeln Polizisten brutal auf gewaltfreie DemonstrantInnen ein. Seit 36 Jahren ist Spanien eine Demokratie. Anfang der 1930er war die iberische Halbinsel Aufmarschzone für die Faschisten und Probelauf für die Diktaturen Mussolinis und Hitlers. Als Barcelona am 26. Jänner 1939 fiel, war der Weg frei für die Verhassten und Verhetzten. Ein wahrlich heißes Pflaster.

Steuern weg, Kollektivverträge weg, junge Leute weg

Was in den letzten beiden Jahren der Wirtschaftskrise in Spanien von den politischen RepräsentantInnen an Konzepten auf den Tisch gelegt worden ist, erzählt die junge Frau: 6 Milliarden Euro Kürzungen im Gesundheitswesen, Steuersenkungen für große Unternehmen in der Größenordnung von 5,3 Milliarden Euro. Pensionskürzungen bringen dem Staatshaushalt 1,5 Milliarden Euro, eine Abschaffung der Vermögenssteuer kostet 2,1 Milliarden Euro im Jahr. Der Mindestlohn liegt bei 600 Euro, soviel kostet ein Zimmer in Madrid. Das alles selbstverständlich zur Verbesserung des Standortes. Ein Schelm, wer böses denkt.

Erasmus Espanol

Ich hab im Sommer in Innsbruck zwei junge Spanier kennengelernt. Juan und Martín, der eine Kindergartenpädagoge, der andere Volkswirt, beide Akademiker. Sie sind aus Spanien weg, wollen längerfristig nach Deutschland, haben am Weg in der Nähe von Innsbruck einen Job gefunden. Als Kellner, beide. Dort verdienen Sie 1.220 Euro, doppelt so viel, wie jene FreundInnen daheim in Valencia, die ihre Jobs noch haben. Die Hälfte der Freunde von Juan und Martín sind auch arbeitslos geworden. Die wohnen mit Ende 20 wieder bei ihren Eltern. Die meisten AkademikerInnen, versteht sich. Die Ausgewanderten kellnern jetzt über Mitteleuropa verteilt: einer in Duisburg, zwei in Essen, einer in der Nähe von Köln. Zwei Freundinnen arbeiten in der Nähe von Neuchâtel, aber sie haben Probleme mit dem Französisch dort. Juan und Martín nennen das „Erasmus Espanol“. Der Kapitalismus sagt dazu „brain drain“. Man könnte auch Diaspora sagen. Sie konnten nicht in dem Land bleiben, in dem unter dem Schirm per Handstreich soziale Errungenschaften niedergerissen werden, für deren Aufbau es 20 Jahre sozialistische Mehrheiten gebraucht hat. Griechenland lässt grüßen.

Kein Resumé

Und jetzt sollte hier irgendwas Kluges stehen: So macht man das, so kommt man raus aus der Krise. Wenn das so einfach wär: Auf der Veranstaltung der Wiener Grünen heute Abend war ein Vertreter der NGO „Mehr Demokratie“ eingeladen, der direkte Mitbestimmungsmöglichkeiten als Allheilmittel verkaufte. Selbst Cristina Asensi ist da skeptisch. Ja, ihre Organisation „Democracia Real Ya“ ist in einem Bündnis mit 150 anderen Vereinen. Ja, die machen seit eineinhalb Jahren Lärm in Spanien gegen Austeritätspolitik. Ja, das ist bemerkenswert und ein Hoffnungszeichen unter Spaniens dunklem Himmel. Bei den Wahlen im November 2011 haben trotzdem 44,6% der SpanierInnen für die neoliberalen Konservativen gestimmt. Der Rettungsschirm ist trügerisch. Unterm Schirm ist man sicher vor dem Regen. Aber die Wolken über der jungen Republik gehen davon nicht weg.

nicht in meinem namen

365 Tage lang war ich in den Augen der ÖVP ein Drückeberger. 2003 bekam ich dank meines großzügigen Zivildienst-Arbeitsgebers 11 € Verpflegungsgeld pro Tag zu den 171 € Grundgehalt. Wer bei einem der Rotkreuz-Verbände arbeitete, bekam 6 € am Tag für Verpflegung. Erst Zivildiener-Demos in Wien und ein Verfassungsgerichtshof-Urteil führten dazu, dass Jahre später Zivildiener einen Teil des auf „angemessene Verpflegung“ fehlenden Betrags rückerstattet bekamen. Das umstrittene Gesetz trägt die Hand- und Unterschrift der schwarz-blauen Bundesregierung.

VfGH stoppt Strasser zwei Mal

Als Zivi wurde ich von der Zivildienstverwaltungs GesmBH verwaltet, einer Tochterfirma des Roten Kreuzes. Die war von April 2002 bis September 2005 zuständig, bis der Verfassungsgerichtshof das dafür verantwortliche Gesetz als verfassungswidrig erklärte und eine Wiedereingliederung der Zivildienstverwaltung ins Innenministerium verlangte. Für die Rotkreuz-Zivis hieß es also von 2002 bis 2006 von 320 € im Monat leben. 2004 bis 2006 dauerte der Zivildienst doppelt so lange, wie der Präsenzdienst – die Verkürzung im Heer auf 6 Monate war schon in Kraft getreten, der Zivildienst wurden erst 2 Jahre später auf 9 Monate reduziert. Unter freundlicher Mithilfe von schwarz-blau wurden junge Männer nicht nur zwangsverpflichtet, sondern auch finanziell geschröpft, was das Zeug hielt.

Freunderln unter sich

Heute ist die Wehrpflicht nicht mehr zu Halten: Schikanen und Schuheputzen, salutieren und im Schlamm wälzen, einen Krieg spielen, der nie kommen wird, ist einfach nicht mehr argumentierbar. In dieser schwierigen Situation schickt die ÖVP ihre Rotkreuz-Freunderln von der Lohndumping-Front, denen sie rechtswidrig die Zivildienstverwaltung geschenkt hat, vor. Jahrzehntelang fand die ÖVP, dass man Zivildiener wie die Weihnachtsganserln ausnehmen kann.

Und jetzt soll die neu entdeckte Liebe der ÖVP zu den früheren Drückebergern und Linkssektierern die anachronistische Wehrpflicht retten, damit das Rote Kreuz weiter fette schwarze Zahlen schreiben kann? Das kann nicht euer Ernst sein.

ursachenforschung auf österreichisch

Die Methode von Frank Stronach ist klar: Tabubruch, das Ignorieren jeder Spielregel, die in Österreichs Politik gilt. Am Augenscheinlichsten ist das, wenn er die ORF-Moderatorin Lou Lorenz-Dittelbacher nach dem Interview öffentlich als „Schulmädchen“ bezeichnet, wenn er Ingrid Thurner gefragt und Christian Rainer ungefragt duzt, wenn er sagt, Anton Pelinka brauche keiner und der rede nur „Bledsinn“. Endlich einer, der redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist: Da darf er sogar klingen, wie ein US-Skistar nach dem ersten Trainingslager in den Alpen.

weil sie euch hassen

Der Tabubruch ist Methode. Erfunden hat sie als Abgrenzung zum Establishment nicht Stronach, sondern Jörg Haider. Endlich einer, der sich was traut. „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“, stand auf den Plakaten des Kärntner Landespleitiers. Es könnte als Überschrift über Frank Stronachs Kampagne stehen. Liebe JournalistInnen: Martin Blumenau hat’s schon ausgeführt. Ihr könnt euch eure inhaltlichen Fragen an Frank Stronach sparen. Er wird sie nicht beantworten. Und wenn ihr ihn wirklich mal erwischt, wird er sich sofort zum Opfer stilisieren. Und so recht ihr auch haben werdet: Die Stronach-SympathisantInnen werden euch nicht zuhören, weil sie euch und eure Correctness und eure hochgestochene Sprache und von mir aus auch eure lila Socken so sehr hassen. We’ve been there.

Und warum funktioniert diese Show, die alle Menschen, mit denen ich schon einmal mehr als drei Sätze gesprochen habe, als blanken Irrsinn empfinden? Weil ich mit denen, die so richtig ang’fressen sind auf das neoliberale Regime, nicht rede. Die wohnen auf der anderen Seite der Donau, früher auf der anderen Seite der Sill. Die fahren mit der Bim immer fünf Stationen weiter als ich. Stadtauswärts, versteht sich.

…und zwar (subjektiv) zurecht

Ich nehm gar nicht in Anspruch, für die Menschen sprechen zu können, die so ang’fressen sind, dass sie den ungehobelten, ungebildeten Hyperkapitalisten wählen würden. Aber die Ang’fressenen haben subjektiv recht: Auf die Frage „are you better off than four years ago“ müssten sie wohl mit ’nein‘ antworten. Wir haben sinkende Reallöhne, eine immer größere Lohnschere zwischen Männern und Frauen oder wer’s konkreter will eine massive Kürzung der Familienbeihilfe. Daran hat auch die Sozialdemokratie nichts geändert. Sie ist vielmehr zur autistischen Partei mutiert, wie der rote EU-Abgeordnete Joe Weidenholzer beklagt. Gleichzeitig dominieren millionenteure Inserate und millionenteure Homepages die Schlagzeilen. Das würd mich noch mehr aufregen, wenn ich jeden Euro umdrehen müsste. Alles ein bisserl Scheisse nennt das Tom Schaffer in seiner exzellenten Analyse von heute nachmittag.

was hilft: den blick schärfen

Etablierte PolitikerInnen wirken in dem Kontext immer wie die unbeholfen grinsenden Verwandten auf Trauerfeiern, die sich nicht um das Erbe von der Resi-Tant streiten müssen, weil sie eh mit dem neuesten Mercedes heimfahren. Da ist der reiche Onkel aus Amerika, der es den ganzen stocksteifen Langweilern reinsagt und noch dazu ein strahlendes Image in die mieselsüchtigen Verhältnisse bringt, gerade zur rechten Zeit am rechten Ort.

Apropos rechter Ort: Eines lehrt uns Stronach auch, jetzt schon. Es braucht keine rassistischen Untertöne, um mit massiver gegen das Establishment gerichteter Symbolpolitik dort zu fischen, wo wir lauter RassistInnen vermuten. Aber das ist ja auch eine einfachere Erklärung, als sich mit der Komplexität ökonomischer Ungleichheit auseinanderzusetzen.

wenn das richtige tun (vielleicht) nicht das richtige ist

So, mir reicht’s. Zwei Stunden hab ich jetzt auf Twitter und Facebook verfolgt, wie sich die Debatte zur grünen ESM-Zustimmung entwickelt, das sind netto zwei Stunden ärgern. In der Sache, ganz kurz, versprochen: Dass die Länder der Eurozone Geld bzw. Garantien zusammenlegen, damit andere Länder mit finanziellen Schwierigkeiten an Geld kommen, für das sie nicht 8% Zinsen an Banken zahlen müssen, find ich nur richtig. Dass das mit einer intransparenten Struktur verknüpft ist, in der die FinanzministerInnen bzw. deren VertreterInnen im Wesentlichen ohne parlamentarische Kontrolle über die Vergabe der Gelder entscheiden können, gefällt mir nicht. Dafür haben die Grünen, schreiben sie hier, erfolgreich in das Gesetz verhandelt, dass der bzw. die Vertreterin im Gouverneursrat des ESM nur mit Zustimmung des Parlaments einer Maßnahme zustimmen darf. Das hat dort einiges Gewicht, weil die meisten Beschlüsse eine Mehrheit von 80% verlangen.

Aber darum ging’s mir gar nicht. Mir ist das Glawischnig-Bashing zuwider. Mich nervt die dauernd von Journalisten (!) herbeigeschriebene Personal-Debatte über Eva Glawischnig. Und ich frag mich trotzdem, ob sich die Grünen mit der Zustimmung zum ESM nicht einen Bärendienst erweisen. Aber langsam, der Reihe nach.

„Eva Glawischnig ist ab heute die stolze Trophäe des Bundeskanzlers“, twittert der unvermeidliche Krone-Innenpolitikredakteur Claus Pandi. „Eva Glawischnig ist scharf – auf einen Ministerposten nach der Nationalswahl 2013“ twittert ein Account, der zur Wiener Werbeagentur Karp führt. Und „fenstergucker03“, ein komplett anonymisierter Account, stellt fest, Glawischnig wäre zu mager und sollte öfter Schmalzbrot essen. Die ebenso unvermeidliche Tiroler Tageszeitung karikiert Glawischnig auf der Regierungsbank. Und der Standard hat immerhin ein paar Leute aus der dritten Reihe gefunden, die Glawischnig politisch an den Kragen wollen. Wenn ein Artikel über die Krise bei den Grünen mit einem Landessprecher der Grünen Wirtschaft aufmachen muss, dann ist das wirklich die Basis, die da brodelt.

Tatsache ist und bleibt: Der ESM ist umstritten und viele Grüne haben Bauchweh, aber sogar Monika Vana, eine der allerskeptischsten grünen EuropapolitikerInnen und eine der MitverfasserInnen des als gegenläufig kolportierten Antrags am Innsbrucker Bundeskongress, stimmt zu. Am nicht redaktionell gefilterten Blog-Portal der Grünen finden sich ausschließlich positive Beiträge zum Verhandlungsergebnis. Schon klar: Das ist alles kein Beleg dafür, dass das, was die Abgeordneten da heute beschließen, die einzig richtige Antwort auf die Eurokrise ist. Aber was versucht wird, darzustellen – nämlich, dass an Glawischnigs Stuhl gesägt werde, entspringt der Phantasie der meist männlichen Schreibkräfte in den Redaktionsstuben. Da darf Hans Rauscher natürlich nicht fehlen, der wieder einmal den vernünftigen Werner Kogler der Linksfrontlerin Eva Glawischnig gegenüberstellt.

Strategisch halte ich die ESM-Zustimmung übrigens trotzdem für problematisch. Sie kommt im Staccato nach der Grünen Zustimmung zu Parteienfinanzierung und Tranzparenzpaket. Dass da von Annäherung an die Regierung und von einer Afghanistan-Koalition geunkt wird, war absehbar. Die Zustimmung kommt zu einer Zeit, wo die Piraten in den österreichischen Medien endlich wieder den Platz haben, den sie verdienen: Nämlich den eines mittelgroßen zerstrittenen Schrebergärtnervereins aus einem Wiener Außenbezirk. Das ändert sich mit einer Debatte über mit der Regierung kooperierende Grünen natürlich. Es dürfte neben der Überzeugung der Fachabgeordneten auch Strategie sein, sich immer mehr als Gegenstück zu den Erbschleichern und Schreihälsen von rechts als konstruktive Oppositon der Mitte zu präsentieren. Ob das gut geht – umso mehr mit schwer zu erklärenden Erfolgen bei so komplexen Themen wie ESM, Parteienförderung und Fiskalpakt, wo die Themenführerschaft so eindeutig bei Straches FPÖ liegt und sich die Rechten sich auf die Punschkrapferl-Mentalität der Landsleute verlassen können – bin ich nicht so sicher.

Zwei letzte Sätze zum ESM, als Ceterum Censeo mit Bezug auf Eva Glawischnig und auf die FPÖ. Die Garantie, die Österreich morgen für den Stabilitäts-Mechanismus übernimmt beläuft sich auf knapp 19 Mrd. Euro. Das ist ziemlich genau die Summe, die die Republik für die Rettung der blauen Hypo-Pleite in Kärnten hinblättern hat müssen.

griechenland hoch sieben

 

Was für ein Desaster: 1.440 Euro Schulden pro Person im Jahr, in nur drei Jahren von 2008 bis 2011 eine Steigerung von 15% bei der Pro-Kopf-Verschuldung. 2006, 2007 und 2008 hat die Regierung die Finanzen dem gesetzgebenden Organ vorenthalten. Warnungen aus Brüssel wegen des Verstoßes gegen den Stabilitätspakt sind in den Wind geschlagen worden. Die Neuverschuldung steigt zwischen 2006 und 2008 um 100% an. Dabei sind 80% des ordentlichen Budgets Pflichtausgaben, an denen auch mit Reformen nicht gerüttelt werden kann. 2009 diskutieren führende Wirtschaftsanalysten schon über einen drohenden Staatsbankrott. Bis 2014 wird sich die Verschuldung des Landes im Vergleich zu 2008 verdoppelt haben. 2011 und 2012 fehlt das Geld, um fällige Kredite zu bedienen, der Finanzverantwortliche der Regierung stellt die Rückzahlungen auf Null. Moodys senkt im Juni 2011 das Rating für die Rückzahlung der Schulden der staatseigenen Bank. Kein Wunder: Die hat Haftungen aufgenommen, die den zehnfachen Wert des jährlichen öffentlichen Budgets ausmachen. Schuld an der Krise: Ein aufgeblähter Verwaltungsapparat, blühende Korruption, wenig Moral der Besserverdienenden beim Steuern zahlen. Die regierenden PolitikerInnen haben sich mit angehäuften Schulden und Wahlgeschenken im Sattel gehalten.

Die Rede ist natürlich von Kärnten. Die österreichischen SteuerzahlerInnen haben 20 Milliarden Euro gezahlt, um die Hypo Alpe Adria zu retten, die Haider und Co. gegen die Wand gefahren haben. Nach Athen sind bisher 3,1 Milliarden Euro an österreichischen Steuergeldern geflossen, gut ein Siebtel dessen, was Kärnten in den letzten Jahren gekostet hat. Das muss bei aller Griechenland-Hysterie auch einmal gesagt werden. Ins rechte Licht gerückt zeigt die Griechenland-Hysterie nämlich auch, worum es eigentlich geht: Um einen Vorwand für europaweiten Sozialabbau, wie wir ihn seit den Thatcher-Jahren nicht mehr gesehen haben.

rotgrün: ja, aber.

Jetzt haben sie endlich eine eigene Mehrheit, die beiden Chefinnen der rot-grünen Koalition in Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland. Hannelore Kraft und Sylvia Löhrmann haben in den letzten Monaten trotz Piraten im Landtag eine eigene Mehrheit für SPD und Grüne erkämpft – Respekt dafür. Ein rot-grüner Wahlsieg im 18-Millionen-Einwohner Bundesland NRW – das ist auch europapolitisch ein wichtiges Signal.

Und schon geht sie wieder los, die Diskussionen über die SPD und ihren Kanzlerkandidaten. Seit heute gehört nämlich neben dem Triumvirat aus Parteichef Gabriel, Ex-Vizekanzler Steinmeier und Ex-Finanzminister auch die nordrhein-westfälische Wahlgewinnerin Hannelore Kraft zu den aussichtsreichsten möglichen HerausfordererInnen von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ich wünsch mir rot-grün in Deutschland nach der Bundestagswahl 2013, keine Frage. Aber bitte ein bißchen anders, als zuletzt. Statt der Personaldiskussion sollte die SPD eine inhaltliche Diskussion führen. Nämlich darüber, ob sie ihr Kernthema „soziale Gerechtigkeit“ glaubwürdig vertreten kann. Ich behaupte angesichts der Bilanz von rot-grün unter Schröder und Fischer: Sie konnten es nicht. Und die SPD und die Grünen sollten es beim zweiten Mal besser machen, sollten sie wie heute in Düsseldorf auch in Berlin im Bundestag über eine eigene Mehrheit verfügen.

Herzstück der von den Programmen der Konservativen kaum zu unterscheidenden Arbeitsmarktreform, mit der sich Gerhard Schröder in der letzten rot-grünen Koalition sein Reformer-Image aufpolierte und dem Spitznamen „Genosse der Bosse“ mehr als gerecht wurde, war Hartz IV, benannt nach dem VW-Manager Peter Hartz, der die Reform federführend ausarbeitete. Da gibt’s seit Schröder in Deutschland zum Beispiel „Personalservice-Agenturen“, ans Arbeitsamt angegliederte Leiharbeitsfirmen, für die wesentlich weniger Einschränkungen des Arbeitsrechts gelten. Peter Hartz hat diese Form der Anstellung unter Tarifvertrag ohne Kündigungsschutz einmal „kostenlos zur Probe“ genannt. Die ersten sechs Monate arbeiten die „Leihkräfte“ zwar, bekommen aber nur Arbeitslosengeld. Danach gilt zwar ein „PSA“-Tarif, der liegt aber ein Drittel unter dem Tarifvertrag der vom Arbeitsamt vermittelten „richtigen“ Berufstätigen. Betroffen von dieser Aushöhlung der ArbeitnehmerInnenrechte aus der Feder von SPD und Grünen: über 3.000.000 Menschen.

Oder, noch so eine tolle Idee, unter die Schröder, Fischer und deren ganze Parteien ihre Unterschrift setzten: Bei der Zumutbarkeitsbestimmung für vom Arbeitsamt zu vermittelnde Menschen wurde die Beweislast umgekehrt. Der erwerbsarbeitslose Mensch muss seit 2004 beweisen, warum ein Stellenangebot nicht zumutbar ist. Strenger auch die sogenannten „Mobilitätskriterien“, was dazu führte, dass ein junger arbeitssuchender Mensch quasi im gesamten Bundesgebiet Jobs annehmen muss, um nicht aus dem Arbeitslosengeld zu fliegen. Und bist du nicht willig, dann machen sie dich platt. Wer nach einem halben Jahr noch nicht fündig geworden ist, landet in den Personalservice-Agenturen, siehe oben: ArbeitnehmerInnen, kostenlos zur Probe.

Schließlich, auch erwähnenswert: „Minijobber“, die als Haushaltshilfen bis zu 500 Euro zum Arbeitslosengeld dazu verdienen dürfen. Für ihre Arbeitgeber selbstverständlich steuerlich absetzbar. Und, quasi verwandt mit den „Minijobs“, die „Ich-AGs“. Dürfen bis zu 25.000 Euro im Jahr selbstständig verdienen, zahlen pauschal 10% Steuern, sind aber nicht versichert. Auch ein sicherer Weg in die Armut, bei der ersten Krankheit ist Schluss mit lustig für „Ich-AGs“.

Das alles hat rot-grün in der Ära Schröder/Fischer beschlossen. Ich freu mich über den heutigen Wahlsieg in Nordrhein-Westfalen. Aber die Vorbereitungen darauf, dass die nächste Bundesregierung aus diesen beiden Parteien nicht wieder so derb mit arbeitssuchenden und erwerbsarbeitslosen Menschen umspringt, müssen jetzt beginnen.

jetzt oder nie

„Dritter Weg“ nennt die Politikwissenschaft das, was Mitte der 1990er moderne SozialdemokratInnen in den mächtigsten Ländern der Welt an die Macht brachte. Bill Clinton, Tony Blair, Gerhard Schröder, Lionel Jospin. Ihr gemeinsames Credo: In der Mitte ist nach zwanzig Jahren konservativer Hegemonie viel Platz frei geworden, wenn sich die Sozialdemokratie nur ihrer alten Rhetorik und der verkrusteten Symbole entledigt. „New Britain“ nannten das die Blair-Strategen. „Die Mitte ist rot“ und dann „Die Mitte bleibt rot“ plakatierte die SPD fast folgerichtig vor einer Deutschland-Fahne. Die SozialdemokratInnen machten sich in der Mitte breit, hatten in den USA und in Deutschland 8 Jahre und in Großbritannien 12 Jahre Zeit, strukturelle Reformen weg vom neoliberalen Mainstream anzugehen und die „Mitte“ nach links zu verschieben. Das wäre ja irgendwie die natürlichste Aufgabe aller Sozialdemokratien, würd ich meinen.

Die USA wählen im November einen neuen Präsidenten – und der Kampf um die „Mitte“ ist voll entbrannt. Die Versuche, den Kandidaten der gegnerischen Partei als Radikalen darzustellen, haben gerade erst angefangen. Da kommt noch Einiges im Kampf um die Mitte. Aber. Die europäischen Wahlen der letzten Jahre sprechen eine andere Sprache. Von Paris bis Athen, von Wien bis Berlin und von Rom bis Bratislava zieht sich ein Trend durch: Die Mitte bricht weg. Deutschland hat demnächst, falls die FDP den Einzug wieder schafft, ein 6-Parteien-Parlament. Ob die beiden staatstragenden Parteien gemeinsam über 60% der Stimmen kommen, ist mehr als fraglich. Auch in Österreich könnte eine sechste (Piraten) und vielleicht sogar eine siebte (Stronach-LIF) ins Parlament einziehen. 2013 könnten SPÖ und ÖVP gemeinsam von oben an der 50%-Grenze kratzen. In Griechenland hat die stärkste Partei 18,8 Prozent, Athen hat bis zur voraussichtlichen Neuwahl im Juni ein 7-Parteien-Parlament. In Frankreich gewannen die extreme Rechte und die extreme Linke gemeinsam fast 40% der Stimmen im ersten Wahlgang zur Präsidentschaftswahl. Und was in Italien passiert, wenn der Lehman-Manager an der Staatsspitze tatsächlich auch einmal demokratisch gewählt werden wird, kann sowieso niemand voraussagen.

Diese Zersplitterung der politischen Systeme hat mannigfaltige Ursachen, von der gesellschaftlichen Diversifizierung über sinkende Parteibindungen bis zu einer wachsender Anzahl selbstständig berufstätiger Menschen, deren finanzielles Durchkommen nicht vom Parteienstaat abhängt und die sich deswegen politisch engagieren können. Aber die wesentlichste Ursache ist, glaube ich, trotzdem der Elitenkonsens über vermeintliche politische Unumstößlichkeiten. Die ehemals staatstragenden Parteien und die, die sich ihnen angedient haben, Reaktionäre, Liberale und Grüne, sind häufig nicht mehr in der Lage, ihrer Aufgabe als Ventile gesellschaftlicher Bedürfnisse nachzukommen. Margret Thatchers überwunden geglaubtes Credo „There is no alternative“ feiert fröhliche Urständ‘ in den Staatskanzleien des europäischen Kontinents.

Die Ausfransung der Parteiensysteme hat auch was mit der Europäischen Union zu tun, behaupte ich. Wer in einer Demokratie so tut, als wären brennende Fragen nicht verhandelbar, grenzt mitunter große Teile der Menschen, die vertreten werden sollten aus. Ich denke an die Euro-Einführung, ich denke an die EU-Erweiterungen der letzten Jahre und ich denke ganz besonders an den aktuell diskutierten Fiskalpakt. 27 Jahre nach Jacques Delors Weißbuch zum Binnenmarkt und 20 Jahre nach dem Vertrag von Maastricht ist die Europäische Union immer noch eine defekte Demokratie ohne echte Gewaltenteilung. 18 Jahre nach den österreichischen EU-Beitritt kann der österreichische Kanzler immer noch unpopuläre Maßnahmen „Brüssel“ in die Schuhe schieben, obwohl er dort mitgestimmt hat. 5 Jahre nach der letzten Aufwertung des Europäischen Parlaments sollen im Fiskalpakt auf einmal Kompetenzen der nationalen Parlamente zur Europäischen Kommission, also nicht (!) zum direkt gewählten europäischen Pendant von Bundestag, Nationalrat und Assemblé Nationale, verschoben werden.

Wenn die Mitte wegbricht, ist die repräsentative Demokratie in einer existenzgefährdeten Krise. 8-Parteien-Systeme sind unübersichtlich, noch korruptionsanfälliger und instabil. Sie werden die BürgerInnen nicht davon abhalten, Konsens als Packelei und demokratische Verhandlungsprozesse als Kuhhandel wahrzunehmen und sich gleichzeitig immer mehr den vielzitierten „starken Mann“ an der Spitze des Staats zu wünschen. Wir haben in Europa eine Hand voll Staaten, die ökonomisch an der Kippe stehen. Schlimm genug. Viel schlimmer aber wäre es, wenn die repräsentativen Demokratien zu bröckeln anfangen. Daran ist aktuell die Austeritätspolitik aus Berlin und (bisher) Paris und London und Wien und und und mindestens so Schuld, wie die gefallenen Regierungen in den von der Krise am stärksten betroffenen Staaten. Griechenland steht hier und heute an der Kippe zur Unregierbarkeit. Wir wissen, was danach kommt.

Und für die, die sich jetzt denken, das sei Panikmache: 1981 war Spanien noch eine Diktatur, bis 1974 war in Athen ein autoritäres Regime an der Macht. Europa hat sich damals nicht mit Ruhm bekleckert.

appel aux urnes // wahlaufruf

Parfois elle est assez rapide, l’Union Europeenne. Les presidents et les premiers ministres de l’Europe font les quatres volontes des marches concernant les „reformes structurelles“, un mot minimisant la gravite du demantelement social. Les chefs d’etat sont meme creatifs en creant des limitations de la dette et des autres tels dispositifs dont l’esprit est neoliberal. Meme les quatre chefs d’etat social-democrates, ceux et celle de la Belgique, de l’Autriche, de la Slovaquie et du Danemark, sont sur le pied de guerre quand le pacte budgetaire uniformise les budgets des etats membres en donnant plus d’aptitude a la Commission Europeenne.

Si le pacte budgetaire prend effet, la Commission Europeenne peut penaliser les etats dont les budgets pechent contre le pacte d’une amende de 0,1% du PIB. C’est une eviction des parlements nationaux sans precedent. J’ai l’impression que l’unification de l’Europe fonctionne en vitesse en cas d’une orientation neoliberale de la politique economique et comme un escargot concernant le trafic poids ou des regles homogene pour l’acces aux universites. Sans parler du salaire minimum.

Ici j’ai essaye de decrire ce qu’une orientation de la politique sociale comme en Grece voulait dire pour une petite ville comme Innsbruck: Un durcissement de la crise economique, l’appauvrissement de la classe moyenne, et un accroisement presque irreversible des dettes publiques. Et meme ci c’est triste pour moi, comme un preconisateur de l’unification de l’UE: Il faut encore une fois esperer qu’une election nationale comporte un retournement de tendance. Celui qui le journal anglais „Economist“ appelle „l’homme le plus dangereux de l’Europe“ pourrait forcer les autres gouvernements de negocier le pacte budgetaire a nouveau ou d’ajouter un pacte de la croissance a tout le moins.

La derniere fois que les citoyens francais ont freine l’unification de l’Europe, je me bisquait des socialistes. C’etait le referendum sur la Constitution Europeenne en mai 2005, instrumentalisee comme un vote de defiance contre le President de la Republique de jadis, Monsieur Chirac. Meme si j’espere que, dans le future, la direction de l’UE sera plus democratique et que des dispositifs comme le pacte budgetaire seront decide de tous les citoyens europeens, cette fois il faut esperer une revolte nationale. Monsieur Hollande ne changera pas l’orientation de la politique sans aide. Mais si les francais er francaises votent pour le candidat socialiste ce lundi, peut-etre Madame Merkel et ses allies conservateurs et social-democrates vont comprendre que les europeens ne se laissent pas duper de cette maniere.

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Da geht’s dann auf einmal ganz schnell: Wenn die Märkte, so schön anonym, rational und unangreifbar, als „Strukturreformen“ getarnten Sozialabbau anschaffen, tanzen die RegierungschefInnen der Europäischen Union und erfinden Schuldenbremsen und reichlich anderen Stuss. Auch die einzig verbliebenen sozialdemokratisch geführten Regierungen von vier Kleinstaaten, Belgien, Österreich, der Slowakei und Dänemark, sind dabei, wenn unter dem Titel „Fiskalpakt“ auf einmal alles ganz schnell vereinheitlicht werden soll und die Kontrollhoheit über nationale Budgets zur EU-Kommission verschoben werden soll.

Tritt der Fiskalpakt in Kraft, kann die Kommission den Mitgliedsländern Strafen von bis zu 0.1 Prozent auferlegen, wenn die sich nicht an strikte Sparkurse halten. Ich werd das Gefühl nicht los, dass Vereinheitlichung nationaler Rechtsbestände in Europa immer dann ganz schnell geht, wenn es um einen einheitlich neoliberalen Kurs geht. Alles andere, von transnationalem Schwerverkehr bis zum Universitätszugang dauert. Von einem einheitlichen Mindestlohn ganz zu schweigen.

Was „den Gürtel enger schnallen“ nach der Spielart, die der Regierung am Peloponnes vorgeschrieben wurde, für radikale Folgen hat, hab ich hier im Beitrag „Wenn Innsbruck Athen wäre“ schon einmal konkret und lebensnah zu beschreiben versucht. Und auch wenn es weh tut: Die Hoffnung, dass der Fiskalpakt noch einmal aufgeschnürt oder zumindest ein Wachstumspakt dazukommt, der Investitionen ermöglicht, auch wenn sie nicht heute, sondern erst in ein paar Jahren finanziell auszahlen, liegt wieder einmal bei einem nationalen Wahlgang. Wer vom „Economist“ als „gefährlichster Mann Europas“ bezeichnet wird, muss irgendwas richtig machen.

Als die FranzösInnen das letzte mal dem Vereinheitlichungsprozess einen massiven Schlag versetzten – bei der 55%igen Ablehnung des Vertrags über eine Verfassung für Europa, im Mai 2005 – hab ich mich geärgert. Auch wenn’s momentan in die komplett andere Richtung geht: Irgendwann hätt ich gern europaweite Volksabstimmungen zu so weitreichenden Einschnitten in die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Union. Vorerst ist der „gefährlichste Mann Europas“ ein Hoffnungsschimmer am Horizont. Wenn ihn die FranzösInnen dann auch wirklich wählen, am kommenden Sonntag.