
10 Tage sind vergangen, seitdem ein Verrückter unter aufklärungswürdigen Umständen auf Donald Trump geschossen und den Ex-Präsidenten um Haaresbreite umgebracht hätte. Jetzt sei die Wahl entscheiden, DAS Foto des Wahlkampfs sei geschossen, die Demokrat*innen könnten für die Opposition planen, die internationale Politik sich auf ein Chaos ohne Weltpolizei vorbereiten. Da waren sich viele im Schock einig.
Aber „a week in politics is a lifetime“: Seitdem hat Trump seinen neuen Mike Pence vorgestellt – der traut sich was: Seinen letzten Vize wollte Trump am Schluss hängen sehen, wie Verkehrsminister Buttigieg hier ausführt. Die Chefin des Secret Service ist zurückgetreten, Joe Biden ist entgegen Behauptungen der reichweitenstärksten rechtsradikalen Online-Trolle zwar am Leben, hat den Demokrat*innen aber eine neue Kandidatin geschenkt. Mit fleißiger Mithilfe der wahrscheinlich mächtigsten Frau der Welt, deren Mann fast einem Attentat zum Opfer geworden wäre, über das die Trumps spotten. Aber das ist eine andere Geschichte. Kamala Harris, die vielgescholtene, aufdringliche, unsichtbare, machtbesessene, ineffektive, zu lustige, zu ernste, zu alte, zu junge, zu schwarze, zu weiße Vizepräsidentin, soll es jetzt richten. Und nach allen vorhandenen Indikatoren der ersten paar Tage seit Bekanntgabe ihrer Kandidatur anstelle Bidens, muss man sagen: Yes, she can. Si, se puede.
Die Indikatoren sind: Erstens, hauen die Leute jetzt Kohle in die Kampagne, die seit Bidens Debatten-Desaster systematisch finanziell ausgeblutet ist? Ja, sie hauen rein. Der erste Tag von Kamala Harris als wahrscheinliche Kandidatin war der Tag mit den meisten Spenden aller Zeiten für eine Kandidatin.
Zweiter Indikator: Schließen sich die Reihen? Ja, tun sie. Alle wichtigen Demokrat*innen außer Obama (und der aus taktischen Gründen, weil er gerne letzte neutrale Instanz ist) haben sich hinter Harris gestellt. Es gibt keine relevante Gegenkandidatur am Parteitag, Bidens Team macht großteils weiter, die Großspender*innen haben wieder auf die richtigen Knöpfe gedrückt.
Dritter Indikator: Ihr erster Auftritt danach – schaut selber, wie sie die Leute in einer High School im Swing State Wisconsin zum toben bringt. Das ist viel besser als alles, was Biden in den letzten zwei Jahren gezeigt hat. Und es lässt trotzdem noch Luft nach oben. Sie kann jedenfalls Reden wie eine Einserin.
Vierter Indikator: Die Umfragen. Achtung, das ist zu frisch für dauerhafte Substanz. Aber nach drei Tagen und einer ganzen Batterie an Umfragen kann man sagen: Wenn es eine Richtung gibt, dann die Richtige für Harris. Das kann natürlich auch nur eine Momentaufnahme sein, weil sie momentan auf allen Kanälen spielt und wieder zurückgehen. Ein gutes Bild über den wirklichen Effekt von großen Neuigkeiten für Umfragen hast du immer erst nach 7-10 Tagen. Also hier Geduld.
Und auch wenn 3 1/2 von vier Kriterien positiv sind: Vorsicht. In 10 Tagen kann das schon wieder alles ganz anders aussehen. Ja, es gibt ein paar programmierte Events in den kommenden Wochen, die Harris helfen sollten. Sie hat noch einen Vize vorzustellen – das ist natürlich eine Gelegenheit, bei der der tendenziell zusätzliche Wähler*innen auf deine Seite kriegst. Und der dreitägige Parteitag, der in ihrem Fall eine Krönung wird, bei der alle demokratischen Stars und Sternchen ihr den Teppich ausrollen werden – auch das bringt normalerweise zusätzlichen Rückenwind.
And then again, um auf der sicheren Seite zu sein, brauchst du als Demokrat*in 3% Vorsprung bundesweit. Davon, dass das konsistent auch nur in den Umfragen so wäre, sind wir weit entfernt. Es gilt jetzt zunächst, die Reihen zu schließen und alle an Bord zu bringen, die demokratisch wählen wollen, aber bei Biden Zweifel hatten. Nur, wenn das gelingt, dann gibt’s eine Chance auf einen Wahlsieg im November, für den dann auch noch haufenweise Wechselwähler*innen überzeugt werden müssen und Leute zum Wählen gebracht werden müssen, die das System und die Demokratische Partei eigentlich abgeschrieben haben, auch wenn sie wenn dann Demokrat*innen sind.
Ein Anfang ist gemacht. Trumps Chancen stehen deutlich schlechter als vor einer Woche. Das darf gerne so weitergehen. Aber es wird Aufs und Abs geben: Versprochen.
PS: Ich begleite die Leser*innen hier gerne bis zur Angelobung im Jänner durch diese Aufs und Abs und freue mich abschließend über 50 neue Abonnent*innen – fast 700 lesen jetzt schon mit. Wenn Sie den Blog mögen, empfehlen sie ihn doch weiter. Sie wissen ja: Mailadresse eintragen, dann kommt alles direkt in die Mailbox.





