zehn gründe, warum kickl trump ist

Herbert Kickl hat wohl nicht die kriminelle Vergangenheit von Donald Trump: Da unterscheiden sich die beiden. Inhaltlich, not so much. Die Ähnlichkeiten zwischen dem 78jährigen New Yorker und dem 56jährigen Villacher sind frappierend, ihre Ideologie konsistent.

  1. Outsider als Insider. Herbert Kickls Biographie gibt nichts anderes her, als ein ganzes Leben als Politiker. Er ist der Inbegriff des Insiders. Und trotzdem verkauft er sich erfolgreich als Outsider, als jemand, der nicht Teil des Systems sei. Dieses Märchen geht genau so durch die österreichische Medienlandschaft wie Butter, wie das selbe Märchen bei Donald Trump, der immer an der Schnittstelle zu öffentlichen Baugründen und Projekten mit dem Geld seines Vaters hantierte. Maggie Haberman schildert das auf einer fast 100seitigen Strecke in ihrer Trump-Biographie, wie sehr politische Beziehungspflege schon für den jungen Trump Hauptaufgabe war.
  2. Provokation als Mittel. Trump will am ersten Tag nach seiner Wahl zum Präsidenten Diktator sein. Kickl will auch die Todesstrafe nicht von direktdemokratischem Zugriff schützen. Beide Politiker nutzen das Spiel mit dem Feuer, um sich zu zeigen, die Gegner*innen einzuschüchtern und den radikalsten eigenen Fans einzupeitschen.
  3. Apropos radikal: Trump sagte den rechtsradikalen Milizen der Proud Boys in seiner letzten TV-Debatte mit Biden vor der Wahl 2020, sie sollten sich bereit halten. Kickl hat über die von zahlreichen Wissenschafter*innen als rechtsradikal eingeordneten Identitären gesagt, sie wären ein interessantes und unterstütztenswertes Projekt. Keine Abgrenzung nach ganz rechts.
  4. Revisionismus: Trumps Revisionismus – das zurück in vermeintlich bessere Zeiten – ist in seinem Leitspruch „Make America Great Again“ verewigt. Kickl hat sich 2010 schützend vor die Waffen-SS gestellt, die man nicht kollektiv verurteilen könne. Zurück in verschiedene frühere Zeiten, die relativiert oder als besser dargestellt, als sie waren: Das haben beide gemeinsam.
  5. Vladimirs Freunde: Die FPÖ hat auf großer Bühne einen Freundschaftsvertrag mit Russland abgeschlossen – nach dem Krim-Überfall. Herbert Kickl war damals Generalsekretär und per Definition für die interne und externe Kommunikation zuständig. Inzwischen gehört das Prorussische europaweit zum „guten Ton“ in der extremen Rechten. Damals war die FPÖ eines der Einfallstore für Putin nach Mitteleuropa. Donald Trump hat ein ums andere Mal sein gutes Verhältnis zu Putin betont und ist auch im laufenden Wahlkampf mit Relativierungen und Bothsideism zum terroristischen russischen Überfall auf die Ukraine aufgefallen.
  6. Viktors Fans: Trump hat sich als den als guten Verbündeten genannten Staatsmann auf der Welt in der TV-Debatte gegen Kamala Harris just Viktor Orban ausgesucht. Das hat nicht nur wegen des zu erwartenden Inhalts für Spott gesorgt, sondern auch wegen des Zwergformats Ungarns auf der Welt im Verhältnis zu den USA. Kickl hat eine gemeinsame Fraktion mit Orban im Europäischen Parlament angekündigt und es gibt kaum einen Auftritt, wo der den Balaton-Despoten, der die Pressefreiheit und substanzielle bürgerliche Freiheiten laufend untergräbt, nicht als Vorbild nennt.
  7. Leugnen, leugnen, leugnen: Bei allen politischen Vorwürfen, die sich gegen die beiden Politiker wenden, gibt es eine einzige und ununterbrochene Strategie: Leugnen. Kaum ein/e Politiker*in gibt nicht irgendwann einmal einen Fehler zu – und sei es nur als rhetorische Finte wegen der sozial erwünschten Antwort. Nicht so die beiden Leugner. Sie haben noch nichts falsch gemacht.
  8. Leugnen, leugnen, leugnen 2: Die größte kollektive globale Bedrohung der Menschheit der letzten Jahre, wäre zur Urkatastrophe geworden, hätten die beiden Politiker das alleinige Sagen gehabt. Sie haben zum Kampf gegen die millionenfach tödliche Corona-Pandemie nichts beigetragen, sondern mit der Verbreitung nachweislich blödsinniger Tipps wie Pferdeentwurmungsmittel oder Bleichmittel zu sich nehmen, weitere Menschen gefährdet.
  9. Leugnen, leugnen, leugnen 3: Die größte nachhaltige Bedrohung des menschlichen Überlebens auf dem Planeten, die Klimakrise, wird von Kickl und Trump kleingeredet oder komplett in Frage gestellt. Ihre Position legitimiert nicht nur für viele Menschen individuell klimaschädliches Verhalten. Sie drückt sich auch darin aus, dass Regierungen mit ihnen keinerlei klimaschützende Maßnahmen ergriffen haben.
  10. Inselmentalität: Beide Politiker haben in der Kommunikation fraglos ihre Inselbegabungen. Aber sie vertreten auch eine ausgeprägte Inselmentalität. Internationale Zusammenarbeit kann es immer nur zu ihren Bedingungen geben, internationale Verträge sollen beendet, internationale Institutionen zerschlagen werden. Das immer mit dem Gestus des sich etwas Zurückholens. Dass sie beide in Ländern werken, die ohne internationale Zusammenarbeit nie zu Wohlstandsnationen geworden wären, das blenden sie und ihre Fans geflissentlich aus.

kleine unterbrechung: die reste aus beiden Welten

Ich hab für die Grazer Wandzeitung „ausreißer“ – ein sehr schönes Konzept, das ihr euch anschauen solltet – einen langen Text über Schwarz-Grün geschrieben: Über das, was in den Programmen stand (Achtung: Überraschungen included), wie die auf ein Drittel der Stimmen geschrumpften Koalitionsparteien miteinander gearbeitet haben und welche Perspektiven sie, jeweils separat, nach dem 29. September haben.

Der Text ist hier hinter diesem Link.

Man kann mich und Kollegin Rebecca Müller auch für Texte aller Art buchen: Damit er über 10.000 Zeichen hat und so dicht ist wie der da oben, muss er in unseren ausgesprochenen Interessensbereichen liegen und braucht ein bißchen Zeit. Aber das machen wir auch.

Und damit ihr nicht meint, das verkommt hier zu einem Werbeplatz für die berufliche Selbständigkeit, ein schneller Blick über den großen Teich:

Die Umfragen sind da eingefroren, wo sie seit sechs Wochen stehen: Es ist im schlechtesten Fall knapp, im besten Fall ist Kamala Harris relativ deutlich vorne.

Aber was wir jetzt langsam bekommen, sind echte Zahlen. Und zwar deshalb: In vielen Bundesstaaten ist das Briefwählen bereits gestartet. Die US-Wahl sind ja eigentlich 50 von den Bundesstaaten organisierte Wahlen, deren Ergebnis dann am Schluss zusammengezählt wird. Und diese Bundesstaaten veröffentlichen sehr viele Daten von den Wähler*innen, die Wahlkarten bestellt oder bereits retourniert haben. Manche nach Geschlecht, nach Alter, nach Region sowieso und oft auch nach Parteizugehörigkeit. Und da kommen schon sukzessive ein paar Trends zusammen, die oft aussagekräftiger als die momentan gleichbleibenden Umfragen. Auch da herrscht ein massiver Kampf um die Interpretationshoheit, für wen welche Zwischenstände bei den demographischen Merkmalen der abgegebenen Stimmen jetzt einen Vorteil bedeuten.

Ich folge einigen Democrats in Pennsylvania, die bisher durch No Bullshit und sich bewahrheitende Analysen aufgefallen sind, oft auch wenn die Prognosen für die eigene Partei von Nachteil war. Und die sagen jetzt zu Pennsylvania, der Mutter aller Swing States: Das sieht soweit gut aus. Es sind anteilig doppelt so viele Stimmen schwarzer Wähler*innen angekommen als 2016. Das Jahr 2020 fällt ja wegen Covid völlig aus der Reihe und kann nicht zu Referenzzwecken dienen. Ihr erinnert euch: Die schwarzen Wähler*innen, das sind die, die in Philadelphia, in Detroit und in Milwaukee, den drei großen Metropolen der drei großen Swing States des Mittleren Westens, darüber entscheiden, ob Kamala Harris auch im Süden stark sein muss, oder ob dieser sogenannte „Rust Belt“ fürs Weiße Haus reicht.

Es ist früh, aber die Indikatoren bisher sind vielversprechend.

Noch mehr als die auch schon sehr guten Umfragen.

Und wer jetzt vor lauter Faktenschleudern noch nicht vergessen hat, dass es am Anfang dieses Beitrags um das Angebot geht, Texte zu schreiben:

Hier zur Erinnerung noch einmal Rebeccas und meine Website.

the case for andi babler

Vorweg – ich bin nicht unbefangen. Ich bin nach 20 Jahren wieder SPÖ-Mitglied geworden, weil Niki Kowall zur Wahl stand & zugunsten von Andi Babler zurückgezogen hat. Ich wollte die historische Chance nutzen, dass die SPÖ ihre*n Chef*in wählen lässt.

Und Babler hat gewonnen – undenkbar ohne tausende neue Mitglieder, die seinetwegen eingetreten sind und weil sie eine andere SPÖ wollen. Die Sozialdemokratie hat dann eine Chance & einen Sinn, wenn sie eine Alternative ist. Dafür steht Babler: Für eine unterscheidbare SPÖ.

Aber es gibt eine zweite Besonderheit, die ich wichtig finde. Es gibt den Satz, dass eines unserer größten Probleme ist, dass die Dummen so selbstbewusst und die Schlauen so selbstkritisch sind. Babler ist einer dieser Schlauen. Ihr merkt das genau: Andi Babler ist ein Streber. Keine*r kommt so vorbereitet und bis in jedes Detail informiert zu den Fernsehauftritten. Die anderen können gerade eine Linie tiefer als die Überschrift gehen und das auch nur bei ihren Spezialthemen. Babler könnte den Großteil der Regierungsverhandlungen alleine führen.

Das hat auch was mit seiner Biographie zu tun: Als Arbeiterkind, das hat er mehr als einmal gesagt, musst du dich am politischen Parkett viel mehr beweisen. So wie es Frauen und zugewanderten Menschen oft geht: Sie müssen viel besser und fleißiger sein als die anderen, damit es zählt. Mit diesem Erfahrungshorizont, machst du ganz anders Politik als die Berufsfunktionär*innen und die in Parteiadel hineingeborenen aller Couleurs.

Mit Andi Babler steht ein anderes Konzept der Sozialdemokratie zur Wahl. Das will das mediale Establishment nicht: die wollen eine brave SPÖ, fürs gute Gewissen, mit ein bißchen Charity, lieb soll sie vor allem sein. Bei dieser Nationalratswahl gibt es die vielleicht letzte Chance, eine SPÖ zu wählen, die sich auf ihre kämpferischen Wurzeln besinnt.

Eine starke und unzweifelhaft antifaschistische SPÖ wird es brauchen, wenn man den beiden anderen großen Parteien etwas entgegensetzen will: das gilt für den Verhandlungstisch ebenso wie für die Opposition. Andi Babler ist der beste für beide Settings: ein Politiker aus Überzeugung, mit soviel Erdung, dass es staubt, ein Gegenmodell zu den Berufszyniker*innen und zur Schickeria.

Ich möchte Babler gerne in Verantwortung sehen, an welchem Ort auch immer. Als Kanzler, oder als Oppositionsführer: Da wie dort hat niemand so sehr das Format, die Street Credibilty und die Erfahrung, beide dieser möglichen Aufgaben gut zu meistern. Die Sache ist klar – wählt die SPÖ und Andi Babler.

trumps dreckige tricks #1: die regeln ändern, während gewählt wird

Trump versucht es, erneut. Und wieder, wie in Georgia, ist Lindsey Graham sein Gesandter. Dieses mal in Nebraska. Die Mission: O(ba)maha, die Möglichste 270. und wahlentscheidende Stimme im Wahlleutekollegium, soll fallen.

Und das geht so: Gewinnen Kamala Harris und Tim Walz alle klassisch demokratischen Staaten und dazu die drei Swing States im Rust Belt, Pennsylvania, Wisconsin und Michigan, kommen sie auf 269 Sitze im Wahlleutekollegium. Das Wahlleutekollegium entscheidet über den Einzug ins Weiße Haus. Bei 269-269 zieht Donald Trump ins Weiße Haus ein, weil er die Mehrheit der Kongressdelegationen aus den Bundesstaaten auf seiner Seite haben wird. Bei 270-268 zieht Kamala Harris ins Weiße Haus ein. Der 270. Sitz in diesem nicht unwahrscheinlichen Szenario ist Omaha, einst von Obamas Wahlkampfleiter David Plouffe, der einen Narren an einem Sieg nur durch Omaha gefressen hatte, Obamaha getauft.

Nebraska ist 1 von 2 Bundesstaaten, der nicht alle Delegierten ins Wahlleutekollegium an die Kandidatur mit den meisten Stimmen vergibt, sondern zwei der fünf Sitze an den staatsweiten Sieger und die drei weiteren Sitze jeweils an jene Kandidatur, die einen der drei Wahlkreise gewinnt. Der 2. Kongressbezirk, das ist jener mit der Hauptstadt Omaha in der Mitte, ist ein Swing District. Obama hat in 2008 gewonnen und 2012 verloren, Trump hat in 2016 gewonnen aber 2020 verloren. Umfragen sagen heute, dass Kamala Harris den Sitz gewinnen würde.

Und jetzt kommt Lindsey Graham, Trumps Senator für die übelsten Tricks, ins Spiel. Der war gestern in Nebraska, um einen lange vorbereiteten Coup durchzuboxen. Nebraskas Legislative kann nämlich die Regeln für die Wahl ändern. Sie kann sagen: Wir gehen wieder ab von dieser Regel. Wir vergeben keine Sitze im Wahlleutekollegium mehr pro Kongressbezirk, sondern wieder alle fünf Sitze an den/die Sieger*in des staatsweiten Votums. Das würde im Szenario oben Trump den 269. Sitz und das Weiße Haus bringen. Und Kamala Harris den 270. und das Weiße Haus kosten.

In Nebraskas Einkammernparlament, sitzen 49 Abgeordnete, sie sagen dazu „Senator*innen“. Die könnten das mit einfacher Mehrheit beschließen. Die demokratische Minderheit hat aber bereits angekündigt, das Gesetz per Dauerrede aufs Unendliche zu verzögern. Die Dauerrede kann nur mit 2/3 der Stimmen – hier 33 von 49 – gestoppt werden. Und die Republikaner*innen haben: richtig, 33 Sitze. Aber zwei bis drei Republikaner*innen sind noch nicht entschlossen, diese nukleare Option einer Änderung der Spielregeln zu beschließen. Deswegen war gestern Lindsay Graham da, zum Daumenschrauben spitzen. Die Vorhut von Trump selbst. Nächste, bereits über Leaks an lokale Zeitungen angekündigte Stufe: Die renitenten republikanischen Abgeordneten, die das Spiel noch blockieren, könnten öffentlich genannt werden.

Das würde den Druck erhöhen, dass sie einknicken. Sich als Republikaner*in Trump in den Weg stellen, das musst du dich wortwörtlich trauen. Fragen Sie Mike Pence, wenn Sie sich da nicht sicher sind.

Wir sehen momentan nur die Spitze des Eisbergs von Trumps Versuchen, eine Wahl für sich zu entscheiden, die er auf legalem Weg nach momentanem Stand eher verliert, als gewinnt. Es ist erst der Anfang von dem, was da noch kommen wird.

Und frage nicht, was passiert, wenn er an die Macht kommt. Dann bleibt kein Stein auf dem anderen.

this is kamala harris race to lose

Leser*innen dieses Blogs wissen:

  • A week is a lifetime in politics
  • Umfragen sind verzögerte Momentaufnahmen
  • 7 Wochen sind 49 Tage, wo an jedem Tag massive Änderungen passieren können
  • A week is a lifetime in politics

Trotzdem: Wir haben jetzt, eine gute Woche nach der Debatte und seit dem demokratischen Parteitag, ein stabiles Rennen. Nichts, was in den letzten Wochen passiert ist, hat das dramatisch verändert. Die Auf- und Abwärtsbewegungen in den Umfragen sind minimal. Die Umfragen sind stabil. Die wenigen Ausreißer sind republikanische Umfrageinstitute, die immer nur vor Wahlen auftauchen und bei denen der Verdacht besteht, sie wollen selber Politik machen. Und die knappe Umfrage der New York Times, deren Zahlenchef selbst gesagt hat, die folgenden Tage würden zeigen, ob es sich bei der damals überraschenden knappen Trump-Führung um einen Ausreißer handelte: Es war so.

Ich will niemanden mit Details langweilen, aber zuletzt haben wir auch aus den Bundesstaaten das recht konsistente Bild, dass Harris in hochwertigen Umfragen sehr gut abschneidet – etwa mit einem nur knappen Rückstand im eigentlich haushoch zu verlierenden Iowa oder mit einer konsistenten 3-%-Führung in drei verschiedenen, separaten Teilumfragen eines hochwertigen Instituts.

Was kann also noch passieren? Viel.

  • Donald Trump und JD Vance hätte deutlich bessere Chancen, würden sie aus der Weirdo-Ecke herauszukommen versuchen. Mit den vielfach auch von Republicans falsifizierten Gerüchten über Katzen essende Haitianer in Ohio, tun sie sich keinen Gefallen. Trump tut sich mit dem Kokettieren mit einer Affäre mit einer rechtsradikalen Influencerin, die inzwischen mit ihm tourt, nichts Gutes. Nicht, dass das gut so wäre: Aber Trumps Trumpf wären die Grenze und das Zuwanderungsthema, würde das nicht so offen rassistisch aufgezogen werden und die hohen Lebenshaltungskosten. Aber die Burschen fühlen sich einfach wohl in der Weirdo-Ecke.
  • Wir wissen nicht, was außenpolitisch noch passiert: Russland und China sind jedenfalls unberechenbare Faktoren und könnten einen weiteren Destabilisierungsversuch der Biden-Administration versuchen, weil ihnen Trump als Präsident, allen anders lautenden gestreuten Märchen zum Trotz, lieber wäre als ein demokratisch geführtes Weißes Haus.
  • Wenn irgendwo im Land selbst keine sprichwörtliche, sondern eine reale Bombe losginge, wären die Folgen auch unberechenbar. Eine Krise der inneren Sicherheit, kann politisch immer in beide Richtungen gehen. Alles, wo das Bauchgefühl nach einer autoritären Antwort verlangt, bietet Chancen für autoritäre Politiker.
  • Trump könnte, seine Felle davonschwimmend, doch noch eine zweite TV-Debatte verlangen und es wäre für Harris, die das ursprünglich getan hat, nicht ganz leicht, abzusagen. Auch da gilt: Kaum jemand sieht einen Weg für Trump, die disziplinierte und starke Harris aus Debatte #1 irgendwie klar zu besiegen. Aber es könnte ein letzter Versuch sein, wenn sonst nix die Nadel bewegt.

Sie sehen: Es braucht schon Gröberes, um das Rennen deutlich zu drehen. Aber nicht zu sicher fühlen: Denn die stabile 4-6%-Führung würde tatsächlich in 99% der Fälle für Harris zum Weißen Haus reichen. Aber schon ein kollektiver Methoden-Fehler bei den Umfragen von nur 2%, brächte uns wieder auf 2-4% für Harris und damit mitten in das aufgrund des Wahlsystems knappe Territorium, was den Sieg im entscheidenden Wahlleute-Kollegium betrifft.

Es sieht gut aus für Harris und Walz, besser als selbst die Optimist*innen zu hoffen gewagt haben. Aber it ain’t over till it’s over. Und wir sind noch 7 lifetimes weg von der Wahl.

harris schlägt trump

Zwei Aufgaben hatte Kamala Harris in der TV-Debatte der US-PräsidentschaftskandidatInnen, die eben nach 100 Minuten zu Ende gegangen ist: Trump mit harten Fakten zu provozieren und gleichzeitig selber wie eine gute zukünftige Präsidentin auszusehen. Ich habe eine Debatte gesehen, in der beides gelungen ist.

Trump dagegen hatte die Aufgabe, sich nicht provozieren zu lassen – er vermied es dazu konsequent, Harris in die Augen zu schauen und ihren Namen zu nennen. Ungezählte Male zeigte er ohne einen Blick auf die andere Seite der Bühne und sagte „she“. Der Rat seiner Berater*innen, er möge „Happy Trump“ zeigen, ging trotzdem ins Leere: Trump war 100% Trump: Wütend, lügend, genervt, auf jede Frage eine Antwort zu einem anderen Thema gebend.

Man muss die Voraussetzungen sehen: Eine exzellent vorbereitete, disziplinierte, hochintelligente Frau und ein um sich schlagender, in einer Tour lügender Mann standen sich da gegenüber. Sein Job war nur, nicht zu böse und gemein zu sein. Ihrer war, in 90 Minuten Live-Fernsehen keinen einzigen Fehler zu machen und ihn aus der Reserve zu locken. Harris hat ihren viel schwierigeren Job gemacht. Er seinen nicht.

Wir werden das nicht gleich in den Umfragen sehen. Aber es gibt ein paar Stories, die neben bekannten Positionen und dem Eindruck einer sehr starken Präsidentschaftskandidatin, aus dieser Debatte hervorgehen.

1) Trump hat nicht nur genervt ignoriert, als Harris von Frauen erzählt hat, die verbluten, weil ihnen die Behandlung einer Schwangerschaftskomplikation verweigert wird. Trump hat auch, im Gegensatz zu seinem Vize auf die gleiche Frage, offen gelassen, ob er ein Veto gegen eine Ausweitung des Schwangerschaftsabbruchs-Verbots auf alle Bundesstaaten einlegen würde, oder nicht. Hier ist der Großteil der Öffentlichkeit auf Seite der Demokrat*innen und die offen gelassene Frage zieht eine Debatte weiter, die Trump und Vance schadet.

2) Trump hat auf keinen einzigen Vorschlag, den Harris ausgeführt hat, reagiert: Nicht auf die Pläne, mehr Häuser für junge Leute zu bauen. Nicht auf die Steuergutschrift für kleine Unternehmen. Nicht auf ein millionenschweres StartUp-Paket. Großer Bogen: Trump verlässt sich auf die Wahrnehmung seiner Präsidentschaft, Harris blickt nach vorne. Das sind gezielte Botschaften, die Harris auch immer direkt in die Kamera geliefert hat. Diese Punkte dürften eher etwas bewegen, als das Austauschen bekannter Positionen zur Außenpolitik und zur wechselseitigen Wahrnehmung der Misserfolge des Gegenübers.

3) Die Metaebene zählt: Natürlich ruft diese Debatte die letzte Debatte zwischen Biden und Trump in Erinnerung. Viel wird deshalb darüber gesprochen werden, wieviel besser Harris als Biden war. Und wieviel undisziplinierter und aggressiver Trump gegenüber Harris aufgetreten ist. Wir werden viele Daten dazu bekommen, ob die Debatte Harris bei jenem Drittel der Bevölkerung, das sie laut Umfragen noch nicht gut genug kennt, bekannter und beliebter gemacht hat. Und weil das viel leichter zu berichten ist, als komplexe inhaltliche Fragen, wird das einen guten Teil der Berichterstattung ausmachen. Und diese generellen Haltungsnoten dürften in der politischen Mitte gut für Harris ausfallen. Erste Hinweise haben wir: Ein etwas stärker republikanisches Publikum als die allgemeine Bevölkerung, hat bei einer CNN-Umfrage gefunden, Harris habe die Debatte mit über 60:40 gewonnen. Das ist deutlich.

Diese Debatte wird, entgegen der medial gefütterten Erwartungshaltung, keine Massen bewegen. Amerikanische Präsidentschaftswahlen sind seit 30 Jahren immer knapp, innerhalb weniger Prozent. Es wird auch dieses Mal so sein. Aber es kann gut sein, dass wir in ein paar Tagen sehen, das Harris ihre Führung in den Umfragen ausbaut und dass noch einmal ein Ruck zu Gunsten von Harris durch das Land geht, was Spendenaufkommen und Mobilisierung angeht.

eine woche vor dem duell (plus werbung)

Wenn es wahr ist, dann treffen sich Kamala Harris und Donald Trump in einer Woche zum TV-Duell. ABC überträgt dann live aus Philadelphia im großen Preis dieser Wahlen, in Pennsylvania. Dem ersten Duell soll ein zweites folgen, ein Drittes hat Trump einmal ins Spiel gebracht. Die Vizekandidaten Walz und Vance haben sich ein Duell Anfang Oktober ausgemacht, falls Vance sich von seiner Couch weg bewegt, wie Walz wenig elegant, aber sehr effizient gesagt hat. Es ist also in jeder Hinsicht Crunchtime.

Kamala Harris und Donald Trump haben sich, man glaubt es kaum, noch nie persönlich getroffen. Das liegt unter anderem daran, dass Trump der erste US-Präsident war, der an der friedvollen Übergabe der Macht an seine Nachfolger*innen nicht teilgenommen hat. Sonst hätte er, wie Obama und Biden ihm im Jänner 2017, im Jänner 2021 Kamala Harris die Hand schütteln müssen.

Ob sie ihre Hände schütteln, das ist unklar, aber sie werden sich auf jeden Fall die ein oder andere verbale Hand um die Ohren zu hauen versuchen. Die Vorbereitungen auf TV-Debatten sind in der Regel höchst professionell, sie umfassen hunderte Seiten lange Berichte und Fakten, die wichtigsten Botschaften auf einer Seite zusammengefasst, vorbereitete Pointen von Kommunikationsprofis und vor allem Training, Training, Training. „Mock debates“ nennt man das 1:1-Üben der Situation eines TV-Duells. Dafür werden Studios nachgebaut, gut geeignete Imitator*innen für das jeweilige Gegenüber gesucht. Es ist alles am Punkt.

Und trotzdem ist eine Debatte mit Trump eine besondere Herausforderung, weil er sich an keine einzige Spielregel hält. Hillary Clinton hat Trump, gut vorbereitet, zwei Mal deutlich in TV-Duellen geschlagen, es hat ihr unterm Strich nichts geholfen. Es ist davon auszugehen, dass eine schwarze Frau den notorischen Frauen- und Schwarzen-Hasser Trump durch ihre bloße Existenz noch mehr provoziert als seine Erzfeindin Hillary Clinton es getan hat. Wenn er ausfällig wird, dann verliert er. Es kann aber auch sein, dass Trump durch stilistische Zurückhaltung auffallen wird, sofern er sich 90 Minuten am Riemen reißen können. Es würde die inhaltlich für Trump ganz sicher desaströse Berichterstattung möglicherweise brechen, wenn er bei etwas einfacher zu Beschreibendem, wie bei einer Stilfrage positiv auffallen sollte. Er ist, im schlechtesten Sinn, eine Wundertüte.

Achtung, Werbeeinschaltung: Kaum eine*r von Ihnen wird vor einem Millionenpublikum auftreten und das mit einem kleinen Büro aus der Provinz üben wollen. Aber meine Kollegin Rebecca Müller und ich haben einige Erfahrung in der Vorbereitung von heiklen Auftritten, wir können Kameratraining und sehr böse Fragen stellen und gute Antworten ausdenken. Wer dabei Hilfe braucht: muellers buero ist seit ein paar Tagen online. Wenn grad kein TV-Auftritt ansteht: Wir schreiben dir auch einfach gerne was. Wir freuen uns über Anfragen fast jeder Art.

das pennsylvania paradoxon

Joe Biden musste Pennsylvania, die Städte Philadelphia und Pittsburgh mit Alabama dazwischen, gewinnen: Denn nach seinem ständigen Abstieg in den Umfragen hatte der scheidende Präsident nur mehr einen Weg ins Weiße Haus: Die von Trump niedergerissene und von Biden wieder aufgebaute „Blue Wall“, die drei Industriestaaten Pennsylvania, Michigan und Wisconsin, mussten wie 2020 bei Biden bleiben. Alle anderen gewonnenen oder fast gewonnen Staaten im Süden, waren außerhalb von Bidens Reichweite.

Der strategische Erfolg des Wechsels zu Kamala Harris mit Blick auf die Landkarte ist: Vier südliche Bundesstaaten – zwei mit starker schwarzer, zwei mit starker Latinx-Bevölkerung, sind wieder in Reichweite. Denn der Enthusiasmus bei genau diesen Gruppen, hat die Türe zu Georgia, Arizona, Nevada (alle von Biden 2020 gewonnen) und North Carolina (der knappste von Biden verlorene Staat) wieder aufgemacht.

Jetzt steht es in sieben Staaten mehr oder weniger 50:50 in den Umfragen – und es gibt folglich unzählige Varianten zum Erfolg und zu 270 Wahlleuten für beide. Wer damit herumspielen mag: http://www.270towin.com hat eine Landkarte, wo du mit wenigen Klicks die Mehrheiten schieben kannst.

Einig sind sich beide Kampagnen aber darin, dass Pennsylvania der schwierigste der drei „Blue Wall“-Staaten für Harris und Walz ist. Und jetzt gibt es zwar auch Wege für die Democrats, ohne Pennsylvania zu gewinnen. Aber ein Sieg dort wäre fast gleichbedeutend mit dem Einzug im Weißen Haus, weil eben ein paar Wahlleute mehr zu holen sind. Und weil die Annahme ist: Wenn die Dems Pennsylvania gewinnen, dann haben sie Michigan und Wisconsin ohnehin gewonnen und sind durch.

Und was tun sie dafür: Jetzt wird einmal der Vorgänger mobilisiert. Joe Biden ist erstmals offiziell mit seiner hoffentlichen Nachfolgerin unterwegs. Am Labor Day, dem ersten Montag im September, an dem offiziell die Einführung des Achstundentags und inoffiziell das Ende des Sommers gefeiert wird, treten Biden und Harris gemeinsam in Pittsburgh auf – dem zweiten großen Zentrum Pennsylvanias neben Philadelphia. Und je näher der Wahltag kommt, desto mehr wird auch der populäre Gouverneur Josh Shapiro wieder auf Wahlkampftour für Biden, Harris und für den Senatskandidaten Bob Casey sein. Und außerdem in Pennsylvania sind… Donald Trump und sein Vize JD Vance. Beide, bei getrennten Veranstaltungen, ebenfalls am Labor Day.

Wir werden nie herausfinden, ob der beliebte Gouverneur Shapiro als Harris Vize Pennsylvania von der Karte genommen und die Konzentration auf andere Gegenden ermöglicht hätte. Aber das Horrorszenario der Dems ist tatsächlich, nur wegen Pennsylvania zu verlieren. Dann werden nämlich alle sagen, dass der Joker auf dem Tisch gelegen wäre.

Schauen wir.