46 fragen zu #46

Hervorgehoben

http://www.joebiden.com

Heute wird Joe Biden als 46. US-Präsident angelobt. Kamala Harris wird die erste Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten. Aber wie funktioniert eigentlich dieses US-amerikanische Politische System? Dem habe ich mich anlässlich des Präsidenten Nummer 46 in 46 Fragen und Antworten angenähert. Das Sortiment kommt aus den zahlreichen Fragen, die ich seit der US-Wahl am 3. November online und im echten Leben zur US-Politik gestellt bekommen habe, vom Supreme Court bis zur Air Force One und vom Atomkoffer bis zu den Chancen einer progressiven Klimapolitik.

Die 46 Fragen sind unabhängig voneinander lesbar und weitgehend auch unabhängig voneinander verständlich: Man kann beim Lesen also springen und nur lesen, was man noch nicht weiß oder was eine/n interessiert. Wer alle 46 Fragen liest, bekommt einen Überblick über Funktionsweise, Möglichkeiten und Schwächen der Demokratie in den Vereinigten Staaten. Die Antworten sind so untechnisch und so lesbar wie möglich formuliert. Auf 78 Seiten werden die politischen Aussichten des 78jährigen US-Präsidenten beschrieben.

Ich wünsche ebensoviel Freude mit der Lektüre, wie ich beim Schreiben hatte.

Graikdesigner Charly Krimmel hat das Dokument schön layoutiert und gesetzt – vielen Dank dafür und hier die schöne, besser lesbare Version:

Wer für diese Arbeit etwas beitragen will, den/die bitte ich um eine Spende an den Verein von Doro Blancke, die sich für Flüchtlinge u.a in Österreich, in Afghanistan und auf Lesbos engagiert. Das Momentum Institut setzt sich für progressive Perspektiven in Österreich ein und freut sich über Unterstützung. Und der Flüchtlingsdienst der Evangelischen Diakonie ist ein verlässlicher Partner für Menschenrechte und für die Beratung von geflüchteten Menschen in Österreich.

Fragen und Anregungen an mich, wie immer an @pablodiabolo auf Twitter oder unter paul.aigner54@gmail.com.

alles zur us-wahl auf einen blick

Hervorgehoben

Ich schreibe auf diesem Blog hauptsächlich, aber nicht nur über US-amerikanische Politik im Allgemeinen und über die anstehenden Präsidentschafts- und Senatswahlen im Speziellen.

Die Beiträge sind chronologisch geordnet. Sie setzen oft grundlegendes Wissen über das US-Wahl- und Parteiensystem voraus. Ich versuche aber, die Beiträge trotzdem möglichst lesbar für Menschen zu machen, die sich erst seit kurzem mit der US-Politik beschäftigen.

Der Schwerpunkt zur US-Wahl wird nicht am 3. November zu Ende sein: Alleine schon deshalb, weil es sehr unwahrscheinlich ist, dass wir am 3. November ein Ergebnis wissen werden. Eine Reihe von Staaten zählt auch vor dem Wahltag abgegebene, aber erst nach dem Wahltag angekommene Wahlkarten. Bevor die nicht eingelangt und gezählt sind, gibt es kein Ergebnis. Nur ein hoher Sieg von Joe Biden und Kamala Harris würde es erlauben, am Wahlabend einen höchst wahrscheinlichen Sieger zu erklären. Das ist aber wegen der sehr hohen zu erwartenden Anzahl an Wahlkarten und wenig Erfahrung damit, wie das Stimmverhalten der Wahlkarten-WählerInnen ist, unwahrs

Spezialfragen beantworte ich, so ich sie beantworten kann, gerne auf Twitter (@pablodiabolo) oder per Mail an paul.aigner54@gmail.com. Wer alle Beitrag automatisch in seiner/ihrer Mailbox haben möchte, kann sie unter „Lies immer gleich quer“ abonnieren: Einfach deine/Ihre Mailadresse hier eintragen, dann landet jeder neue Blog-Beitrag automatisch in der Mailbox.

Ach, Innsbruck.

Die ersten Auftritte des neu gewählten Innsbrucker Bürgermeisters Anzengruber & seinem zukünftigen Vize Georg Willi zeigen, dass sie die gemeinsamen Gegner*innen einen, die im Gemeinderat zurecht auf Kleinfraktionengröße zusammengestutzt worden sind. Das ist kein schlechter Anfang für eine gute Zusammenarbeit – inhaltliche Differenzen natürlich trotzdem groß.

Trotzdem: Anzengruber war zur richtigen Zeit am richtigen Ort, hat eine saubere Kampagne aufgezogen: und zwar nicht Krönungsparteitag vor 1.000 geladenen Gästen, sondern Wirtshaustour zum Forderungen einsammeln. Die mit dem Krönungsparteitag haben ihm eine schöne Abziehfolie geliefert und gar alles falsch gemacht. Hinausgemobbt, hinausgeekelt, Uniarbeiten untersuchen lassen, Anwalt auf den Hals gehetzt: so macht man einen Kandidaten beliebt. David gegen Goliath – da ist klar, wen die Leute wollen.

Und dann ist da noch die strukturelle Mehrheit in Innsbruck, das 2024 zum allerersten Mal eine nicht-rechte Mehrheit im Gemeinderat hat – aber das nur unter Einbeziehung von zwei ehem ÖVP-Listen mit gemeinsam fast 10% in die „Nicht-Rechten“.

Soll heißen: das ist eine Stadt, in der nur in einer Ausnahmesituation ein Grüner (od. eine Rote) über 50% machen kann. 2018 war so eine Ausnahmesituation mit der extrem unbeliebten Bürgermeisterin.

2024 ist wieder normal: Anzengruber ist die ÖVP, wie sie früher einmal war: bei den Leuten, Tradition, Wirtshaus, Softshelljacke, Hands on statt teure PR.

Und deshalb gewinnt er auch: ein konservativer David, in der einen Hand die Schleuder, in der anderen einen Teller Kaspressknödel.

Die Weisheit der Wählerinnen beschert ihm trotzdem nur mit Grün und Rot eine Mehrheit – Caprese statt Kaspressknödel steht am Menü. Und es wird spannend, wie die Chef-schafft-an-Mentalität mit der renitenten Innsbrucker Beamtinnenschaft und mit zwei erfahrenen Koalitionspartner*innen zusammengeht.

Fad wird‘s nicht.

innsbruck braucht (immernoch) keinen schwarzen bürgermeister

Facebook-Seite von Johannes Anzengruber, Screenshot am 22.4.2024

All due respect: Ich hab überhaupt nix gegen wishful thinking. Aber wie Johannes Anzengruber jetzt zum parteifreien Rebellen stilisiert wird, das ist mehr Kitsch als Realität.

Wer sich die Mühe macht, nachzulesen, wie Anzengruber und seine engste Mitstreiterin Mariella Lutz sich im Innsbrucker Gemeinderat verhalten haben, zu Luxusinvestoren-Projekten, zu Tempo 30, zu verpflichtendem öffentlichen Wohnbau auf Spekulantenbauland, wie jeder neue Zebrastreifen (!), jede Radabstellanlage und jeder neuen Radweg von ihnen betoniert oder öffentlich geharnischt wurde und und und…muss den Kitsch einfach revidieren. Und da bin ich noch gar nicht beim früheren Anhimmeln des Heiligen Sebastian mit jedem erdenklichen Werbemittel, das sich dessen Propaganda ausgedacht hat, bis hinauf auf die Arzler Alm.

Es gibt auch überhaupt keinen Anhaltspunkt, dass sich das inhaltlich ändern wird.

Es ist der Weisheit der Wähler*innen zu verdanken, die Schwarz-Schwarz-Blau die Mehrheit genommen haben, dass wir überhaupt über eine Koalition links der Mitte in Innsbruck reden.

Es wird nur dann eine solche werden, wenn der alte Bürgermeister Georg Willi mit neuer Mehrheit weitermachen kann. Anzengruber hat zum richtigen Zeitpunkt das für ihn optimale gemacht, mit einem geschickten Wahlkampf – fair enough.

Aber das Potenzial für ein Aufbrechen der erstarrten Stadtpolitik jenseits von Schwarz-Blau, das haben wir den Wähler*innen von Grün, Rot, KPÖ, Fritzen und ALI zu verdanken.

Und die sollten jetzt auch einen Bürgermeister wählen, der nicht 95% des ÖVP-Programms vertritt, keinen schwarzen Bürgermeister, sondern einen, der mit neuen Mehrheiten etwas ganz anders machen will als die ÖVP: Nämlich Schluss mit Immospekulantenprojekten und her mit leistbares Wohnraum, her mit Tempo 30 und her mit einer fetten Leerstandsabgabe.

Der eine vertritt die Mieter*innen. Der andere die Großgrundbesitzer*innen. Keine schwere Wahl.

es ist gar nicht kompliziert, innsbruck

13 Listen in 13 Punkten. Von hinten nach vorne. Spoiler: Am Ende kommt die Auflösung: Es ist gar nicht kompliziert.

1) Keine Chance auf den Einzug haben die Obskuranten von TUN, Buchhändler Reichholf und SPÖ-Abspalter Buchacher.

2) Bleiben 10: am schwersten wird es für die mit 1 Sitz vertretene Alternative Liste

3) FPÖ-Ableger Gerechtes Ibk und Neos schrammen seit es Umfragen gibt an der 4%-Hürde entlang. Liste Fritz und KPÖ dürften ein Stück drüber liegen und ziemlich sicher reinkommen. Alle 4 Kleinfraktionen könnten für die Mehrheitsbildung höchst relevant werden.

4) Auch wenn beide vehement das Gegenteil behaupten: die alte SPÖ und die alte ÖVP matchen sich um Platz 4, ihre Spitzenkandidatinnen waren in keiner einzigen seriösen Umfrage in Reichweite von Platz 1 und 2, die in die Stichwahl ums Bürgermeisterinnenamt kommen.

Spannend hier: Kommen ÖVP & SPÖ überhaupt in die Stadtregierung? Dafür braucht es 12-14%.

5) Wenn beide in die Regierung kommen, wer übernimmt dann den einzigen Regierungssitz? Tursky hat schon angekündigt, er werde in Innsbruck bleiben aber parallel in der Privatwirtschaft arbeiten, wenn sich kein tagfüllender Polit-Job ausgeht. Sitzt er dann Teilzeit in der Regierung? Oder macht er Platz für die Listenzweite, Altbürgermeisterin Oppitz-Plörer? Und was macht die SPÖ-Spitzenkandidatin, wenn sich kein Regierungssitz oder keine Amtsführung als Regierungsmitglied ausgeht?

6) Der Dreikampf um Platz 1 – einer muss in die Stichwahl, das ist Georg Willi. Wird er als Amtsinhaber nur Dritter, muss er fast gehen. Für die FPÖ wäre Platz 3 eine Enttäuschung – aber eine Regierungsbeteiligung trotzdem in Reichweite. Denn

7) hat ÖVP-Abspalter Anzengruber viele Trümpfe in der Hand, selbst wenn er nur Dritter würde. Kommt er in die Stichwahl, ist er überhaupt hoher Favorit, egal ob gegen Willi oder gegen Lassenberger.

8 )Anzengrubers Liste wird breit in der Mitte sitzen, so wie das vor ihrem Rechtsruck „Für Innsbruck“ getan hat. Es gibt rechts von Anzengruber keine Mehrheit ohne ihn. Und links auch nicht. Der Poker hat sich ausgezahlt.

9) Am Wahlabend fangt das Taktieren für die Stichwahl an: denn die Anzahl der Regierungssitze macht sich die Mehrheit im Gemeinderat aus – es können sieben, acht oder neun Sitze sein. Die Gemeinderatsmehrheit kann sich also auch eine Regierungsmehrheit zimmern. Aber immer auf dünnem Eis. Niemand rechnet damit, dass irgendeine Dreierkoalition auf mehr als 4 von 7 und mehr als 22 oder 23 von 40 Gemeinderatsmandaten kommt.

10) Insider*innen sagen: Blau und Schwarz-Orange haben sich bereits alles inklusive der Postenverteilung im Rathaus ausgemacht. Aber die Rechnung haben sie ohne den Wirten Anzengruber gemacht. Der gilt zwar als eiskalter
Tauschhändler.

11) Aber ob die Vertrauensbasis zwischen den beiden ÖVP-Listen, die sich mit Klagen, Anwälten und Verleumdungen gegeneinander aufgeganselt haben, wieder herstellbar ist? Inhaltlich ist gar nichts bekannt, was die beiden ÖVP-Listen trennt. Deswegen sagen auch viele: wenn der Trog dann dasteht, dann finden schon alle wieder ihren Platz. Schauma.

12) Eine Stichwahl zwischen grünem Willi und blauem Lassenberger wäre dagegen eine klare Richtungsentscheidung, bei der auch Königsmacher Anzengruber unterm Strich nicht auskäme und eine Koalition mit dem Sieger eingehen müsste. Auch wenn da die verhasste Oppitz-Plörer mit an Bord wäre.

13) Es gibt also unterm Strich gar nicht so viele Optionen: Ein Bürgermeister Willi würde wohl eine Koalition links der Mitte mit der ÖVP-Abspaltung bringen. Ein Bgm Lassenberger brächte Blau-Schwarz-Schwarz.

Die Wundertüte wäre ein Bürgermeister Anzengruber. Gut für die Spannung, dass das viele inzwischen für die realistischste Variante halten.

Für die Stadt: nicht so gut, wenn einer dann so viel Macht auf sich konzentrieren kann.

trumps gericht nimmt abtreibungspillen unter beschuss

Ich darf wieder ein gutes Dutzend neue Abonnent*innen willkommen heißen, über 570 Menschen lesen inzwischen mit – und wie immer gilt: Gerne weitersagen, dass und wie man diesen Blog abonnieren kann. Er bleibt garantiert kostenlos und bietet ein bis drei Mal pro Woche alle wesentlichen Informationen vor der in ihrer Bedeutung nicht unterschätzbaren US-Präsidentschaftswahl im November 2024.

Die heutigen News sind gar nicht gut für Trump: Wieder dominiert eine Höchstgerichtsverhandlung zum Schwangerschaftsabbruch die amerikanischen Schlagzeilen. Der nächste Schritt beim Versuch, die selbstbestimmte Entscheidung von Frauen über ihren Körper zu entscheiden, kommt von texanischen Ärzten: Die haben einen Richter gefunden, der ihrer Klage gegen das meistverwendete Medikament bei Schwangerschaftsabbrüchen stattgab. Ihr Anliegen: Sie würden wegen der Behandlung von Patient*innen, die den Abbruch ohne ärztliche Aufsicht durchgeführt hatten, ihre „eigentlichen“ Patient*innen vernachlässigen müssen und das verstoße gegen ihren Berufseid.

Das von der Zulassungsbehörde für Medikamente sofort angerufene Berufungsgericht stoppte die einstweilige, US-weit gültige Verfügung gegen das Medikament und sendete den Fall zur inhaltlichen Behandlung zum Höchstgericht. Die Strategie der Anti-Selbstbestimmungs-Gruppen: Seit der Aufhebung des Abbruchverbots-Verbots mit im Frühsommer 2022, haben mehr als ein Dutzend republikanische Staaten radikale Gesetzgebung gegen Abbrüche mit rigorosen Strafen für behandelnde Ärzt*innen eingeführt und ihren Bürger*innen am Papier auch das für einen Abbruch in einen anderen Bundesstaats fahren, verboten.

Das hat dazu geführt, dass deutlich mehr Frauen als bisher den Abbruch mit dafür zugelassenen Medikamenten selbst zuhause durchgeführt haben und sich dafür die Medikamente schicken haben lassen. Dieses Schlupfloch kriegen die radikalen Gruppen nur weg, wenn das Medikament komplett verboten wird: Und daran arbeiten sie jetzt. Trumps Richter*innen wackeln in dieser Frage gehörig – das komplette Verbot dürfte aus heutiger Sicht eher nicht durchgehen – es könnte aber sehr wohl sein, dass das Höchstgericht zu einer früheren Genehmigungsversion zurück will, wo das Medikament nur nach ärztlicher Verschreibung oder unter ärztlicher Aufsicht genommen werden dürfte – was wieder den Frauen in den Staaten mit radikaler Verbotsgesetzgebung die Türe zu einem Abbruch zu Hause komplett zu macht, weil dort ja auch kein*e Ärzt*in mehr diese Medikamente verschreiben darf.

Die Richter*innen werden das erst in einigen Monaten entscheiden, aber die Debatte ist da, hunderttausende Frauen müssen ihre Abbrüche momentan illegal durchführen und haben dadurch eine deutlich höhere Gesundheitsgefährdung als unter ärztlicher Aufsicht oder mit der Möglichkeit einer raschen Behandlung im (seltenen!) Fall von Komplikationen. Für die Republikaner*innen, wegen denen es diese Debatten überhaupt erst gibt, ist die inhaltliche Seite – radikale Anti-Abbruchsagenda auf dem Vormarsch – zwar erfreulich. Politisch treibt das Thema aber den Demokrat*innen viele v.a weibliche Wähler*innen in die Arme.

Joe Biden hat in einem sehr ungewöhnlichen Move sogar im Rahmen seiner State of the Union-Rede die anwesenden Höchstrichter*innen zur Rede gestellt: „With all due respect, Justices: Women are not without electoral power“, sagt er explizit in die Richtung der 9 Höchstrichter*innen. Es ist alles sehr knapp. Wir werden sehen.

der salzburger zaubertrank

Ich glaube, die Salzburger Wahlanalyse von Erich Neuwirth sollte unseren Blick auf die österreichische Nationalratswahl am 29. September grundlegend ändern: Denn was der renommierte Statistiker über Salzburger Sprengelergebnisse der Gemeinderats- und Bürgermeister*innenwahl herausgefunden hat, das stellt die Logik der österreichischen Politik auf den Kopf.

Einige Glaubenssätze der politischen Kaste und der Berater*innen und Fernseh- und Zeitungspolitolog*innen, werden durch die Wähler*innenströme aus Salzburg erschüttert. Widerlegen kann man Neuwirths empirische Erkenntnisse nicht: weil kein Medium leistet sich für stunden-, seiten- und tagelange Analysen empirische Evidenz. Es ist billiger und einfacher erklärbar, die seit 25 Jahren immer gleichen Klischees über die österreichischen Wähler*innen zu wälzen. Und auch keine Uni des Landes schaut sich bei der Wahlforschung das Offensichtliche an. Talking about lebensnahe empirische Forschung: es wäre so einfach. Aber egal.

Folgende Thesen kann man spätestens nach Neuwirths Analyse kübeln:

Der Nichtwähler und die Nichtwählerin, das unbekehrbare Wesen: Man bringe die Nichtwähler*innen halt nicht zu den Urnen, auch wenn sie 30, 40, 50 und mehr Prozent der Stimmen hätten. In Salzburg haben 7% der Nichtwähler*innen von der letzten Gemeinderatswahl neu gewählt. Und 85% dieser Nicht-mehr-Nichtwähler*innen, also 6% von allen ehemaligen Nichtwähler*innen von 2019, haben dieses Mal KPÖ gewählt. Das sind bisher unbekannte Größenordnungen: es haben mehr Nichtwähler*innen von 2019 dieses Mal KPÖ gewählt, als Grünwähler*innen von 2019 dieses Mal wieder Grün. Das ist eine mehrheitsverschiebende Masse an über 4.000 Menschen in Salzburg – bei weniger als 50.000 Wähler*innen am Wahltag.

Es gibt eine unverschiebbare strukturelle rechte Mehrheit in Österreich: das war schon länger falsch – man möge bei Franz Voves, Gabi Burgstaller, Peter Kaiser und Elke Kahr nachschlagen: sie alle haben rechte Mehrheiten durch Mehrheiten links der Mitte abgelöst. Aber die tausenden neuen Wähler*innen in einer sehr überschaubaren Stadt wie Salzburg, sagen auch: vergesst eure Thesen über fixe Mehrheiten. Schwarz-Blau hat 50 und ein paar wenige Prozent, mit wenigen Ausnahmen nie mehr bei Wahlen. Wenn jemand bundesweit 6% der bisherigen Nichtwähler*innen auf seine Seite bringt, dann verschiebt das mehr, als der gewöhnliche Abstand zwischen Blau-Schwarz und dem Rest ist.

Die Lagergrenzen sind starr: Laut Neuwirths unwidersprochenen empirischen Analysen ist auch das ein Topfen: etwa gleich viele Nichtwähler*innen, wie dieses Mal KPÖ gewählt haben, über 4.000, eine hohe einstellige Prozentzahl aller Wähler*innen (!) sind von der ÖVP zu SPÖ, Grünen und KPÖ gegangen – also über den vermeintlichen großen Graben. Die Wähler*innen sind komplexer als die meisten Fernseh- und Zeitungsanalysen es zu erläutern erlauben. Vieles davon ist auch irrational – oft entgegen eigene Interessen etc. Aber eines ist es jedenfalls nicht: starre Lagergrenzen zwischen Schwarz-Blau und dem bunten Rest mit 50+% für erster und 50-% für die anderen: das ist eine Fantasie, vielleicht auftragsbedingt auch ein Wunsch vieler sogenannter Expert*innen.

Der Herbst 2024 ist eine Wundertüte: Platz 1 ist offen, die Mehrheit ist es auch. Für den Moment muss man bei der Salzburger KPÖ schauen, die 85% aller neuen Wähler*innen bekommen hat. Und die ist niederschwellig, ohne Glanz und Glamour, nicht part of the Politgame, auf der Seite der Vielen und ohne die üblichen Statussymbole der Classe Politique. For the many, not the few. So geht das.

trumps gericht schreitet ein

Das Höchstgericht hat eine möglicherweise wahl-mitentscheidende Entscheidung getroffen: es will ausführlich ermitteln, ob Trump für seine Taten vom 6. Jänner, dem Putschversuch am Kongress, überhaupt strafrechtlich belangt werden kann – oder ob das in den Rahmen der Immunität fällt. Angesetzt sind die Erhebungen des Gerichts erst für Ende April.

Damit ergibt sich eine erhebliche Verzögerung für das wichtigste der vier großen Strafverfahren gegen den wahlkämpfenden Ex-Präsidenten, die ein Urteil vor der Wahl im November so gut wie unmöglich macht. Das kann man nicht getrennt von der Besetzung des neunköpfigen Höchstgerichts sehen – 6 von Republicans nominierte Richterinnen sitzen hier 3 von Democrats nominierten Richterinnen gegenüber. Und die Hälfte der Republicans ist von Trump selbst nominiert.

Eine Verurteilung wäre zwar formal wahrscheinlich kein Hindernis für Trumps Kandidatur – aber viele Wähler*innen sagen in den sonst knappen Umfragen, dass sie Trump als Verurteilten nicht (mehr) wählen würden. Neben der enormen und nicht begründeten Verzögerung des Putsch-Verfahrens durch das Höchstgericht, ist ein zweites Verfahren auf Eis gelegt. Auch beim Wahlbetrugs-Verfahren in Georgia, wo Trump Wahlbehörden auf der Suche nach 11.000 Stimmen nachtelefonierte, liegt auf Eis: hier ist die Unabhängigkeit der Staatsanwältin seitens Trumps Verteidigung unter Beschuss.

Am 25. März beginnt das Verfahren um Schweigegeld an einen Pornostar für eine gemeinsame Nacht, es soll nur einige Wochen dauern. Und für Mai ist das Verfahren um das illegale Entfernen von sensiblen Dokumenten aus den vorgesehenen Räumlichkeiten in Trumps 115-Zimmer-Haus in Florida terminisiert – hier ist allerdings eine Richterin am Werk, die als sehr Trump-freundlich gilt.

Es kann also sein, dass die Verschleppungsstrategie wirkt und es vor dem Sommer nur im Schweigegeld-Verfahren ein Urteil gibt. Nota bene: diese 4 großen Verfahren sind nur Trumps strafrechtlich relevante aus jüngeren Jahren. Daneben hat er in Vergewaltigungs-, in Meineids- und in Betrugsverfahren schon Strafen in der Höhe von über 400 Millionen Dollar bekommen.

Ist es trotz all dem vorstellbar, dass Trump gewählt wird? Ich halte es den Umfragen entgegengesetzt für sehr unwahrscheinlich: viele momentan unzufriedene Demokrat*innen werden zurück zu Biden kommen und viele Unabhängige schließlich doch Biden wählen. Aber ausgeschlossen ist ein Trump-Sieg nicht.

Die Konsequenzen davon für die Welt sind nicht absehbar: die internationale Bündnis- und Sicherheitsarchitektur wäre massiv destabilisiert, die Ukraine möglicherweise verloren, Polen und das Baltikum als nächstes Ziel Putins in Gefahr.

Muss man dabei von Europa aus tatenlos zusehen? Viel kann man wirklich nicht tun – spenden ist verboten und am Geld wird es der Biden-Kampagne nicht mangeln.

Aber ein Anfang wäre tatsächlich, das Märchen vom alten Biden und vom energiegeladenen Trump nicht weiter zu verbreiten: das ist eine der wichtigsten Botschaften der Trump-Kampagne. Man muss das nicht weitertragen.

state of the race : 40 beide

40:40 steht‘s ungefähr – der britische Ex-Politiker und Pollster Michael Ashcroft hat über das 10.000 Amerikaner*innen befragen lassen und 12 Fokusgruppen in Swing States gemacht.

Genauer wird es nicht mehr. Und sehr viel anders wird es bis November nicht werden. Wer Hammerumfragen mit unglaublich deutlichen Ergebnissen hinauskekst, hat entweder einen zufälligen Ausreißer produziert und das nicht erkannt oder nicht erkennen wollen: Aber niemand wird vor dem 5. November seriös mit klarer Datenlage sagen können, wer gewinnt.

Zu groß wird die Zahl der Unentschiedenen bis zum Ende sein, zu abrupt werden sie sich dann nach nicht klar vorhersagbaren Kriterien entscheiden. Selbst wenn da 43:37 bei 20% Unentschlossenen & Wähler*innen mit der momentanen Absicht, weder Biden noch Trump zu wählen, stünden:

Es ist und bleibt too close to call.

Worauf also schauen, in den 9 Monaten bis zu dieser Schicksalswahl für die Welt? Ich empfehle einen Blick auf Donald Trumps anlaufende Gerichtsverfahren.

Je mehr der Republikaner nämlich vor unabhängigen Richter*innen unter Druck gerät, massive Strafen ausfasst und aus seiner Sicht unzumutbar behandelt wird – nämlich wie ein ganz normaler Bürger – desto wütender wird er werden, desto ärger seine Ausfälligkeiten, desto mehr wird er nur über sich und seinen Kampf gegen die Welt reden. Das ist seine Achillesferse.

Die Umfrage von Lord Ashcroft zeigt nämlich auch, dass Trump bei den meisten Themen bessere Werte zugesprochen bekommt als Biden. Also ist jeder Tag, an dem er über seine Verfahren und mutmaßliche Straftaten redet und nicht über Inflation und Kriminalität, ein gewonnener Tag für Biden. Und davon wird es, weil die Verfahren jetzt sukzessive auch mit Präsenzpflicht für den Angeklagten beginnen, viele geben.

Ich sehe deshalb am Ende einen klaren Vorteil für Biden. Aber messbar steht es unentschieden. Und das wird noch sehr lange so bleiben.

Die ganze Unfrage gibt‘s hier: https://t.co/XOKCj1IWNR

premiere: trump als angeklagter


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In medias res:

Trumps erstes Strafverfahren hat jetzt ein Datum. Es ist das erste Strafverfahren überhaupt jemals gegen einen ehemaligen US-Präsidenten – amtierende müssten ja zuerst politisch ihres Amtes enthoben werden, bevor sie vor Gericht landen könnten.

Die lange Kürzestversion: 2006 soll Trump eine Affäre mit Stephanie Clifford gehabt haben, einem Ex-Pornostar. Nach mehreren Versuchen, sie dazu zum Schweigen zu bringen, weil Trump das nicht im Wahlkampf 2016 diskutiert haben wollte, steigerten Trumps Anwälte den Druck und boten ihr 130.000 Dollar. Clifford nahm das Geld und schwieg von da an.

Im Jänner 2018 wurde das Schweigegeld öffentlich und setzte die juristische Maschinerie im Gange. Trump und seine Anwälte sollen mehrere illegale Aktivitäten zur Verschleierung begangen haben: Zum Einen soll die Buchhaltung an 34 Stellen gefälscht worden sein. Das ist an sich illegal, aber keine mit Gefängnis bedrohte Straftat.

Eine Straftat wird es erst dadurch, dass damit auch die Veröffentlichungspflicht aller Ausgaben der Kandidat*innen im Wahlkampf umgangen werden sollte. Und schwupps bringen die heikle Affäre und das Schweigegeld Trump zwei kriminelle Vorwürfe ein: Bilanzfälschung zum Verbergen einer Straftat und die Straftat selbst. Beide Straftaten sind mit bis zu 4 Jahren Haft bedroht – und sein Anwalt Michael Cohen saß für seine Rolle in der Causa bereits 3 Jahre im Gefängnis und hat Trump schwer belastet.

Am 25. März beginnt das Verfahren gegen Trump in New York – der Staatsanwalt rechnet mit einer mehrwöchigen Dauer, während der Angeklagte üblicherweise anwesend sind. Ein Urteil gegen Trump ist wahrscheinlich – eine Gefängnisstrafe bei Ersttätern eher unüblich. Dennoch wird Trump nach Einschätzung der meisten Expert*innen noch vor dem Sommer verurteilter Straftäter sein.

Das hindert ihn nicht an einer Kandidatur fürs Weiße Haus. Aber zumindest in den Umfragen sagen viele Menschen, sie würden Trump nicht mehr wählen, wenn er ein verurteilter Straftäter wäre. Ob das stimmt, werden wir erst im November bei der Wahl herausfinden – an dieser Stelle sei auch noch an drei große andere Strafverfahren gegen Trump erinnert:

Er soll höchst geheime Regierungsdokumente mit nach Hause genommen haben.

Er soll Wahlbeamt*innen in Georgia illegal zu beeinflussen versucht haben, um ihm dort über 10.000 nicht vorhandene Stimmen zu finden, die es nie gab.

Er soll einen bewaffneten Mob auf das Parlament gehetzt und damit einen Beitrag zum Putschversuch am 6. Jänner 2021 geleistet haben.

Diese (und weitere) Verfahren ziehen Trumps Anwält*innen in die Länge. Die Absicht ist offensichtlich: Trump soll im Weißen Haus vor der Strafverfolgung in 91 Straftaten geschützt werden und sich dort dann selbst begnadigen.

Das Verfahren ab 25. März, das kann er allerdings nicht mehr stoppen.