Ich brauch keine Parteien. Ich könnte mir auch ein Studium mit Studiengebühren leisten. Ich brauch keine steuerliche Absetzbarkeit von Spenden. Ich brauch keine Verhütungsmittel auf Krankenschein. Ich brauch auch keinen KonsumentInnenschutz. Ich brauch auch keine Arbeits-Rechtshilfe. Ich werde, sollte ich jemals Kinder haben, keinen Gratis-Kindergartenplatz ab 3 brauchen. Ich brauch keine geförderten Hort-Plätze und keine günstigen städtischen Hallenbäder. Ich brauch kein PendlerInnen-Pauschale und ich geh auch sicher nicht zum Magistrat, um mich impfen zu lassen. Ich bin, wie die meisten meiner FreundInnen qua Geburt in bürgerliche Milieus, gut genug vernetzt und organisiert. Ich kann das alles irgendwie selber machen, was da oben steht. Wenn ich einen Rechtshilfe-Tip brauch, ruf ich meine Freundin, die Juristin an und nicht den ÖGB. Wenn ich mich impfen lassen will, macht das mein Freund, der Arzt. Den etwaigen Kindergartenplatz such ich mir, wie meinen Wohnort, aus.
Dschungel Interessensvertretung
Dass ich keine Parteien brauch, ist natürlich unfair. Und genau da setzt das Prinzip repräsentative Demokratie auf: Die Gewaltenteilung auf Zeit heißt, dass WählerInnen ihre Agenden für eine bestimmte Periode Menschen anvertrauen, die ihnen glaubwürdig vermitteln, dass sie ihre Interessen vertreten. Gleichzeitig sind diese InteressensvertreterInnen, wir nennen sie PolitikerInnen, auch Ansprechpersonen bei Beschwerden über den Dreck am Spielplatz, über zu volle öffentliche Verkehrsmittel oder darüber, dass alles immer teurer wird. PolitikerInnen kümmern sich nicht aus Interesse an einem sauberen Spielplatz um einen sauberen Spielplatz. Sondern, weil sie ihr Mandat gerne behalten wollen und dafür die Stimmen der Menschen brauchen, die der dreckige Spielplatz stört. Die Organisation des gesellschaftlichen Zusammenlebens ist ein riesengroßer Verhandlungsort. Da, wo all diese Wünsche zusammenlaufen, ist eine hochkomplexe Verwaltung. Da kann sich nicht jeder Krankenpfleger, jede IT-Angestellte und jeder Kindergärtner auskennen.
Einer der schwersten Jobs der Welt
Wir haben uns Menschen gewählt, die sich in diesem Dschungel auskennen, manche besser, manche schlechter. Das ist mitunter ein ganz schwerer Job. Weil die Beamtin, die für die Spielplätze zuständig ist, grad auf Urlaub ist. Oder weil die Spielplatz-AufräumerInnen gerade einen anderen Spielplatz sanieren. Oder weil es vier Monate dauert, bis ein zusätzlicher Bus bestellt ist und noch vier Monate, bis die Fahrpläne aufeinander abgestimmt sind, dass das zusätzliche Öffi fahren kann. Weil noch drei andere Grätzel dringend auf einen besseren Öffi-Takt warten. Oder weil eine andere Gruppe den Spielplatz am Abend gern als Ausgeh-Treffpunkt verwendet und sich weigert, den Dreck wieder mitzunehmen. Und wenn die Ausgeh-Truppe auch WählerInnen sind? Und wenn sie mehr sind, als die, die gerne einen sauberen Spielplatz hätten?
Man kann natürlich auch jedes größere Gesetz einer Volksabstimmung unterziehen. Oder nur Direktwahl-Mandate vergeben: Jedem Bezirk sein Mandat. Dass in diesem Partikularismus die besseren Lösungen gefunden werden, bezweifle ich. Hof A und Hof B wollen statt eines sauberen Spielplatzes in Hof C lieber eine größere Rutsche in Hof A und B? Die Volksabstimmung werden sie zusammen gewinnen. Und ihre beiden MandatarInnen werden auch den/die MandatarIn von Hof C überstimmen. Eine Partei kann nicht so einfach dem Mehrheitswillen entsprechende, falsche Entscheidungen treffen. Riesenrutschen da statt sauberer Spielplatz dort kann nämlich auch den FreundInnen von Hof C-BewohnerInnen in Hof D, E und F übel aufstoßen. Die sind für eine Partei, die da wie dort auf Stimmen angewiesen ist, relevant. Für die direkt gewählten VertreterInnen von Hof A und Hof B sind die Stimmen von Hof C, D, E und F schnurzpiepegal.
Brücken baut nur, wer beide Seiten braucht
So absurd ist das Beispiel übrigens nicht: Wir erleben anhand der Parkpickerl-Diskussion gerade genau diese Diskussion. Wer darf über ein Parkpickerl in Wiens Westbezirken abstimmen? Die EinwohnerInnen der Westbezirke? Alle WienerInnen? Alle, die ein Mal in der Woche in einem Westbezirk parken müssen? Und dazu noch die NiederösterreicherInnen mit einem Arbeitsplatz in den West-Bezirken? Nur AutobesitzerInnen in den Westbezirken? Genau, weil diese Frage nicht zu klären ist, haben wir Parteien. Die machen nicht vier bzw. fünf Jahre lang, was sie wollen. Sondern die überlegen sich im Idealfall bei jeder Maßnahme, wie sie die Menschen, denen sie sich verpflichtet haben, am besten vertreten können. Unsere InteressensvertreterInnen kriegen auch dauernd von Medien und Umfragen entweder Orden verliehen oder Watschen ausgeteilt. Das schmerzt, denn sie tragen in einem komplizierten System mit genau definierten Spielregeln die angenommenen Wünsche ihrer WählerInnen weiter. Und zwar nicht nur jene der WählerInnen in den Westbezirken, respektive in Hof A und B aus dem oberen Beispiel, sondern mit Rücksicht auf Interessen, die über dem Bezirkstellerrand liegen. Diese Form des Umgangs mit individuellen Bedürfnissen ist zäh, mühsam, träge und unbefriedigend. Aber sie garantiert am ehesten, dass gleichzeitig die Bedürfnisse aller Menschen berücksichtigt werden und jemand, mit Vertrauen für ein paar Jahre ausgestattet, das Placet hat, an Plänen zu arbeiten, die über hier und heute und dort und morgen hinausgehen. Wer ein Direktmandat aus Hof A hat, muss nicht versuchen, die Menschen aus Hof A, B, C, D, E und F zusammenzubringen und an gemeinsamen Lösungen arbeiten zu lassen. Wer Menschen aus allen Höfen vertritt, muss aus blankem Egoismus daran arbeiten, dass eine für alle akzeptable Lösung herauskommt.
In Kenntnis der Alternativen: Wir brauchen Parteien
Jedes Volk hat die PolitikerInnen, die es verdient. Klingt abgedroschen, ist aber so. Zu jedem korrupten Politiker gehört eine korrumpierbare Chefinnenredaktion einer Zeitung, die einen Deal Inserat gegen Berichterstattung mitmacht. Zu jeder Politikerin, die Steuern hinterzieht, aber trotzdem wiedergewählt wird, gehören zehntausende WählerInnen, die die Steuerhinterzieherin trotzdem noch einmal wählen. Zu jedem Bundeskanzler, der nicht vor dem U-Ausschuss erscheint, gehören ZeitungsleserInnen, denen eigentlich wichtiger ist, was Tiere wählen würden. Wer gegen die Spielregeln verstößt und dabei erwischt wird, muss vom Platz gestellt werden – keine Frage. Aber wer „die PolitikerInnen“ schimpft, anstatt sich für eine andere, bessere Ausgestaltung dieses besten aller schlechten Systeme der Interessensvertretung einzusetzen, muss sich auch dessen bewusst sein, wer an deren Stelle in den Startlöchern scharrt: HeilsversprecherInnen, die für jedes real existierende Problem eine einfache, falsche, nicht umsetzbare Lösung parat haben. Und die Kräfte des Marktes, die mit jeder Diskreditierung der gewählten VertreterInnen ein bißchen mehr Macht zugesprochen bekommen.
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