Bewegtbilder mussten her: Juni 2009, ich arbeite bei den Tiroler Grünen. Wir merken: wir kommen nicht durch. In den Zeitungen nicht, im Fernsehen nicht, im Radio nicht. Es war Nachrichtensperre – zumindest haben wir das damals so empfunden. Mit einer Handkamera ausgestattet geh ich ins Landhaus. Ich hab dem Präsidenten in einer Mail Bescheid gegeben, dass ich filmen werde, Antwort Fehlanzeige. Die Atmosphäre dort ist wie immer: Im RaucherInnenkammerl feixen die wichtigen Redakteure mit den Politikern und deren weiblichen Angestellten. Letztere kriegen da und dort Aufschrei-würdige Anzüglichkeiten zu hören. Die Verwaltungsspitzen lauschen gebannt den Erzählungen vom Schirennen der Kinder der journalistischen Platzhirsche. Die Regierungsspitzen kennen zwar ihre Budgetzahlen nicht, aber dafür die Podestplätze der JournalistInnenkinder. So ist das in einem Medienmarkt, wo sich de facto ein einziger Print- und ein einziger Hörfunk und TV-Monopolist die Aufmerksamkeit und die Zuwendungen teilen.
Handkamera. Die Nachrichtensperre wollen wir mit eigenen Bewegtbildern brechen: Vorbei an den SchleusenwärterInnen der veröffentlichten Meinung, direkt rein in die Kanäle, wo kein Inserat und keine Intervention verhindern können, dass unsere politischen Botschaften ungefiltert durchdringen können. Ich fisch mir also meine Handkamera aus dem Rucksack und geh durch die Hintertür, die Landtagssitzungssaal mit RaucherInnenkammerl verbindet. Von den älteren Herrschaften bekomm ich irritierte Blicke. Drinnen angekommen schalt ich meine Kamera ein und fang an, „meinen“ Klubobmann zu filmen, der gerade zu einer Brandrede gegen die Agrargemeinschaften ausholt. In dem Moment huscht ein hoher Landesbeamter an mir vorbei und bahnt sich den Weg durch die Sitzreihen ganz nach vorne zum Präsidenten. Dem flüstert er etwas ins Ohr, zeigt in meine Richtung. Herwig van Staa setzt sich auf, räuspert sich, unterbricht „meinen“ Klubobmann. Alle nicht zugelassenen Medien müssen den Saal umgehend verlassen. Ich zögere, halte auf die Szene drauf, ich fühl mich herausgefordert. Trotzig mach ich keine Anstalten, der vagen Anweisung Folge zu leisten.
Der Präsident schnaubt. Seine Augen weiten sich, er wird rot im Gesicht. „Ja genau junger Mann, Sie sind gemeint“, meint er in meine Richtung. Ich zögere weiter. Van Staa steht auf, „die Sitzung ist unterbrochen“, sagt er ins Mikrofon. Er trommelt die Klubobleute zusammen, es herrscht Unruhe im Saal. Ein paar Abgeordnete äußern sich missliebig in meine Richtung, andere finden es amüsant, dass sich der bekannt cholerische van Staa wieder einmal provozieren haben lassen. „Das habt’s g’schickt eingefädelt“, sagt der Pressesprecher einer anderen Oppositionspartei. Nichts eingefädelt, denk ich mir. Das ist eine öffentliche Sitzung, denk ich mir. Das sitzen 50 Schulkinder und jeder, der sich wenn nötig von der Polizei sicherheitschecken lasst, darf rein in den Saal. Warum soll man nicht festhalten dürfen, was ohnehin öffentlich und für Alle zugänglich ist? Was passiert ist, kommt mir absurd vor.
Nach der Sitzungsunterbrechung kommt „mein“ Klubobmann zu mir und sagt, ich soll damit aufhören für heute. Das nächste Mal könnten wir uns anmelden und der Klubobleuterat entscheide dann, wer Bewegtbilder machen darf. Darf ich schließlich auch, aber es gibt strenge Regeln: Es dürfen nur Mitglieder der eigenen Fraktion und die aktuellen RednerInnen der anderen Fraktionen gefilmt werden. Ein Schwenk in die leeren Reihen der Regierungsparteien, wenn über die Zukunft der Kinderbetreuung, des Naturschutzes oder der Energiepolitik des Landes diskutiert wird? Keine Chance. Eine Nahaufnahme von den Zeitung lesenden, Computer spielenden oder wie Schulbuben kichernden Abgeordneten: No way.
Transparenz ist heute in aller Munde – die Landtagssitzungen aus Tirol werden mittlerweile ins Internet livegestreamt. Auch darüber wurde lange diskutiert. Zu teuer, zu kompliziert, technisch schwer machbar und noch viele andere Scheinargumente plätscherten. „Das schaut sich doch keiner an“, meinte die Regierung. Aber darum geht es nicht. Das Verhalten von Menschen ändert sich, wenn ihre Auftritte wirklich öffentlich und reproduzierbar sind. Wenn ein einziges Kamerateam im Landtagssaal filmt – und das war lange so – gibt es ein Monopol über die Bilder und das öffnet Tür und Tor für Manipulationen und Interventionen.
Zerrlinse Öffentlichkeit. Natürlich ändern sich in einer Landtagssitzung keine Meinungen mehr. Aber der zugespitzte, medienwirksame Austausch der wesentlichen Argumente gehört dazu zu einer lebendigen Demokratie. Wer in öffentliche Ämter gewählt ist, muss sich gefallen lassen, 16 Tage im Jahr bei der Arbeit gefilmt zu werden. In Salzburg werden teilweise sogar Ausschüsse live ins Internet gestreamt. Nicht, dass da Hunderte zuschauen würden. Aber allein die Möglichkeit einer öffentlichen Debatte über das, was momentan hinter verschlossenen Türen passiert, verändert das Verhalten der PolitikerInnen und BeamtInnen in diesen Sitzungen. Dann gäbe es die Farcen, die in vielen dieser Arbeitssitzungen der VolksvertreterInnen von statten gehen, nicht. Dann müsste die Mehrheit zumindest argumentieren, anstatt diskussionslos niederzustimmen, was die Minderheit beantragt oder vorschlägt.
Transparenz tut Not – auch, weil sie ein wichtiges Instrument ist, um die Demokratie in diesem Land zu stärken. Die absurde Regelung, dass im Tiroler Landtag nur angemeldete Teams nur bestimmte definierte Ausschnitte filmen dürfen, gilt immer noch. Sie gehört weg. Und vieles mehr: Für mehr Transparenz kann man seit Kurzem auch unterschreiben – ich empfehle dazu www.transparenzgesetz.at
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