Ist Flucht wirklich das dominante Thema, das die oberösterreichischen Wahlen entschieden hat? Ich bezweifle es massiv. Denn es kommt immer darauf an, wen man wie fragt, was wichtig ist. Das haben die Institute sauber gemacht, aber es ist gestern meiner Meinung nach sehr unsauber interpretiert worden.
Denn die Analyse wurde auf Grundlage von „gestützten“ Fragestellungen in Umfragen erstellt. Gestützt heißt, dass man gefragt wird „Sind Ihnen folgende Themen wichtig: Bildung, Gesundheit, Asyl, Arbeit, …“ und man muss zu jedem Thema „ja“ oder „nein“ sagen. Da kommen regelmäßig alle Themen auf hohe Ergebnisse, weils unkomplizierter ist „ja“ zu sagen und weil es viele wichtige Themen gibt. Und weil RespondentInnen gerne eine Ruh haben und bei „ja“ gibt’s eher keine Nachfrage, als bei „nein“. Dementsprechend sagen sehr viele Leute auf die Frage, ob „Asyl“ wichtig für ihre Wahlentscheidung gewesen sei, „ja“. Das wäre auch bei vielen anderen Themen so.
Interessanter wären für eine tiefer greifende Analyse die „ungestützten“ Fragen. Ungestützt heißt, dass man gefragt wird „Aufgrund welchen Themas oder welcher Themen haben Sie die Partei gewählt, die Sie gewählt haben.“ Darauf kommen normalerweise die Themen, die Menschen wirklich selber und ohne Zuruf wichtig sind und die tatsächlich ausschlaggebend für ihre Wahlentscheidungen sind. Da muss man sich auch was überlegt haben, weil eher nachgefragt wird – „warum“, „was ist Ihre Position“, „was sollte getan werden“ etc. Da sagen die Leute dann sehr viele sehr verschiedene Dinge, was dazu führt, dass das vermeintlich alles entscheidende Thema selbst bei den FPÖ-WählerInnen auf gerade einmal 28% „wahlentscheidend“ kommt. Es gibt also ein buntes Bild an Motivlagen fürs FPÖ-Wählen.
Fast drei von vier RespondentInnen, die bei dieser Wahl die FPÖ gewählt haben, haben also bei der ungestützten Variante dieser Umfrage nicht Asyl oder Flucht gesagt. Und die Sammelrechten (FPÖ, BZÖ, Stronach) haben bei der Nationalratswahl 2013 auch schon 30% in Oberösterreich gemacht – lange, bevor die sogenannte Flüchtlingsfrage ins Bewusstsein der breiten Bevölkerung gerückt wurde.
Wer sich also in der Analyse des oberösterreichischen Wahlergebnisses darauf kapriziert, dass die sogenannte Flüchtlingsfrage alles überdeckt habe, will nicht über die Ursachen reden, die eine starke rechtsradikale Protestpartei wirklich hat. Dann müsste man die Fehler nämlich bei sich selbst – Stichwort Korruption, Stichwort sinkende Löhne, Stichwort Stillstand in der Bundes-Koalition – suchen, statt wehrlose Flüchtlinge für die Erklärung der eigenen Unzulänglichkeiten zu instrumentalisieren.
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Ergänzung: Ich bin skeptisch, was die genauen Zahlen von Umfragen betrifft. Aber es gibt seit Jahren ein sich verdichtendes Bild, was das Wahlverhalten von Männern und Frauen betrifft. Männer wählen rechter, Frauen wählen linker. Und das ist keinesfalls ein österreichisches Unikum: Barack Obama hat bei Männern (und übrigens auch bei Weißen) bei keiner seiner Wahlen eine Mehrheit gehabt. Ähnliche Trends wie in Österreich kann man außerdem bei den skandinavischen Rechtsparteien beobachten. Die rechten jungen Männer sind eine der Herausforderungen, der wir uns stellen müssen. Und auch hier greift die Zuwanderungskarte als Erklärung zu kurz.
Corinna Milborn hat das FPÖ-Phänomen (unten) mit Würde und Anerkennung erklärt. Ich teile diese Einschätzung aber ich glaube, es geht neben Anerkennung auch um Herrschaft. Denn die Öffnung der Gesellschaft – Multikulti, sexuelle Vielfalt, Aufweichen der Geschlechterverhältnisse – bedroht jene am meisten, die dabei (vermeintliche?) Macht abgeben müssen. Ich glaube, eine der Herausforderungen der Bekämpfung des Rechtspopulismus besteht auch in der Männer- und Burschenarbeit. Wenn wir jungen Männern näher bringen können, dass das Patriarchat auch sie unterdrückt und ihnen Zwänge auferlegt, von denen sich zu lösen allen hilft, kommen wir einen großen Schritt weiter.