politik ist (immer noch) kein waschmittel

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Die Unzufriedenheit mit dem politischen Status Quo geht nicht nur quer durch alle politischen Leitartikel dieser Tage, sondern auch durch all meinen Feiertags- und Feriengesprächen mit FreundInnen, Verwandten und Bekannten. Was ich an Handlungsansätzen lese und höre, ist allerdings mehr als unbefriedigend.

  • „Die ehemaligen Großparteien hätten sich einen dritten neuen Koalitionspartner als Eisbrecher in die Regierung holen sollen.“
  • „Anstatt der politischen Kompromisse soll endlich einmal das gemacht werden, was die ExpertInnen für richtig halten.“

Gewerkschaften retten Kampfflieger. Ich halte beide Ansätze für verwandt und für gleichermaßen falsch. Ich glaube, wir DemokratInnen müssen den Kompromiss als zentrales Element demokratischer Gestaltung wieder salonfähig machen. Denn wer einfache Lösungen fordert – selbst wenn die zu gesellschaftlichem Fortschritt führen würden – spielt immer nur denen in die Hand, die so tun, als wäre der demokratische Interessensausgleich ein einfaches Spiel. Da reiben sich dann jene die Hände, die zunehmend an Macht gewinnen, ohne in irgendeiner Form demokratisch legitimiert zu sein: Der Vertrauensverlust in den demokratischen Interessensausgleich hilft den Banken, den Ratingagenturen, den Rüstungsfirmen, den Geheimdiensten und den LobbyistInnen der Großkonzerne. Wenn die einst pazifistischen deutschen Gewerkschaften Druck auf die Regierung machen, damit ein Hersteller von Kampfflugzeugen seine Produktion nicht verlagert, sagt das mehr als genug über die Marginalisierung der ArbeiterInnenbewegung. Wenn schon Ö1 direkt nach den Berichten über die südeuropäischen Kapitalismus-Krisengebiete die Ratings von Standard&Poors und Co durchgegeben werden, dann ist die diskursive und faktische Entmachtung der demokratisch gewählten Regierungen sehr weit vorgedrungen.

Zurück zur GroKo. Drei Bekannte haben mir in Varianten erzählt, sie hätten gerne eine große Koalition plus Grüne oder Neos als dritte Regierungspartei gehabt. Die dritte Regierungspartei hätte dann Zünglein an der Waage sein können und strittige Themen anstatt der gegenseitigen Blockade einmal in die eine Richtung und ein anderes Mal in die andere Richtung kippen können, so die These. Ich halte das für naiv. Die Grünen hätten von dieser GroKo bestenfalls ein mittelprächtig ausgestattetes Energieministerium und ein bißchen mehr Geld für vorschulische Kinderbetreuung und für den öffentlichen Verkehr bekommen. Die Neos hätten ein bißchen Schulreform spielen dürfen mit einer mittleren Reife als Schulversuch und eine ein Jahr kürzere Einschleifregelung bei der Anhebung des Pensionsalters. Vielleicht hätten die Pinken auch noch das ebenso schwach ausgestattete Integrationsstaatssekretariat vom nunmehrigen Außenminister übernehmen dürfen. Aber keine Chance, dass ein dritter Partner im Boot aus dieser bei meinen Bekannten so verhassten GroKo ein attraktives politisches Angebot machen hätte können.

Kompromiss diskreditiert. Ein anderer Blick auf diese Koalition und auf das Zustandekommen politischer Lösungen tut Not. Der Kompromiss als zentrales Element demokratischer Entscheidungsfindung ist dermaßen in Verruf geraten, dass jedes aufeinander Zugehen von Regierungspartnern als Kuhhandel diskreditiert wird. Dabei ist der Kompromiss im Privaten doch der Einser-Tipp für alle FreundInnen, die in einem Streit versinken. Wenn NachbarInnen sich bekriegen, empfehlen ihnen Dritte einen Kompromiss, anstatt vor Gericht jahrelang um einen halben Meter Grundstück zu streiten. Der Kompromiss sorgt dafür, dass bei einer Entscheidung nicht knapp die Hälfte der Betroffenen überstimmt wird. Der Kompromiss macht, dass wir keine 51%-Demokratie sind, sondern idealtypisch eine Konkordanzdemokratie, in der möglichst alle betroffenen Institutionen an einen Tisch geholt werden und in fast allen Fällen eine Lösung erzielen, die alle Institutionen jenen erklären können, die sie vertreten. Und der Kompromiss als gesellschaftliche Methode der Entscheidungsfindung ist schließlich dafür verantwortlich, dass wir in relativem sozialen Frieden ohne gewaltsame Auseinandersetzungen leben.

Für das spezifisch schlechte Image des Kompromisses in Österreich sind viele Faktoren verantwortlich. Mit dem inhaltlichen Kompromiss geht bei rot und schwarz immer ein personeller Kompromiss einher. Für jede/n rote/n Spitzenposten in der Verwaltung muss auch ein möglicherweise unnötiger zweiter schwarzer Spitzenposten geschaffen werden – das überlagert in einem auf Personen und nicht auf Inhalte fokussierten medialen Umfeld gleichzeitige inhaltliche Annäherungen. Der Kompromiss besteht in dieser österreichischen GroKo im gegenseitigen Abwürgen großer Reformvorhaben, anstatt im Abtausch. Ich bleibe etwa dabei, dass Studiengebühren gegen Gesamtschule ein Abtausch wäre, der sich inhaltlich nicht widerspricht und bei dem beide Parteien etwas vorzuzeigen hätten. Das schlechte Image des Kompromisses hat aber auch etwas mit finanziell ausgehungerten Zeitungsredaktionen zu tun. Es ist einfacher, Fritz Neugebauer gegen Claudia Schmied in einen Artikel zu schicken, als die Hintergründe auszuleuchten und vor und Nachteile der jeweiligen schulpolitischen Forderungen für SchülerInnen, für PädagogInnen und für die Gesellschaft zu beschreiben. Und die Tatsache, dass die Artikel dann unterm Strich immer Neugebauer gegen Schmied heißen und als persönliche Kämpfe interpretiert werden, trägt auch dazu bei, dass die AkteurInnen noch stärker in ihren Positionen einbetoniert sind und bewegungsunfähig werden. Denn eines geht in der hiesigen Politik gar nicht: Verlieren und Schwäche zeigen. Und da liegt vielleicht ein Hebel, um den Kompromiss wieder salonfähig zu machen.

Fiktive Regierungserklärung. Was wäre, wenn Werner Faymann und Michael Spindelegger sich nach den Regierungsverhandlungen hingestellt und Folgendes gesagt hätten: „Ich habe mich für die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer stark gemacht. Das ist eine Maßnahme, dank der wir 200 Millionen Euro mehr pro Jahr für gute Betreuungseinrichtungen für unsere Kleinsten investieren können. Dafür hat sich die ÖVP bei der Senkung des Spitzensteuersatzes durchgesetzt…“ (Faymann übergibt an Spindelegger) „…ich freue mich, dass in Österreich in Zukunft niemand mehr als 40% Steuern bezahlen muss. Das ist ein wichtiger Leistungsanreiz für Spitzenverdiener. Außerdem konnten wir ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr bei Kindern mit Sprachdefiziten durchsetzen, damit alle Kinder die gleichen Startchancen haben. Weil diese Maßnahme umstritten war, sind wir bei der Ausstattung des Integrations-Staatssekretariats einig geworden…“ (übergibt an Faymann). „Wir setzen ein Staatssekretariat ein, das in strittigen Asylverfahren an Stelle der zuständigen Bezirkshauptleute eine Schlichtungsstelle beinhaltet, die an klaren und transparenten Kriterien die Integration der AsylwerberInnen misst und den BHen eine Entscheidung vorschlägt. Ebenfalls in diesem Staatssekretariat findet sich die Integrationsmilliarde, die wir in den nächsten fünf Jahren für integrative Jugendarbeit in peripheren Stadtvierteln investieren werden.“

Unabhängig von der inhaltlichen Bewertung dieser fiktiven Maßnahmen, wäre das ein Gestus, der dieser Republik gut täte und der das Image des Kompromisses fördern würde. Davon, dass RegierungspartnerInnen den Verhandlungsprozess und den Abtausch von Projekten auch transparent machen, sind wir aber leider meilenweit entfernt. Lieber werden – und jetzt bin ich bei den von so vielen herbeigewünschten ExpertInnen – zehntausende Euro schwere Gutachten und Meinungsumfragen ins Treffen geführt, um den öffentlichen Diskurs für sich zu drehen und schließlich im politischen Prozess zu gewinnen. Diese so oft bezahlten ExpertInnen anstelle ihrer notwendigen Beratungsfunktion zu EntscheidungsträgerInnen zu machen, wäre eine Bankrotterklärung der repräsentativen Demokratie. Denn es ist die Aufgabe von PolitikerInnen, politische Mehrheiten für bestimmte Maßnahmen zu organisieren und sich dabei mit der Expertise von WissenschafterInnen zu behelfen. WissenschafterInnen können und werden keine politischen Mehrheiten organisieren können und wenn sie das doch glauben, gehen sie wie der ehemalige Wissenschaftsminister sang- und klanglos unter. Das ist auch gut so: Denn neutrale Expertise ohne politische Meinung und ohne Welt- und Menschenbild gibt es nicht. Darüber, welche Maßnahmen vertretbar und zumutbar sind sollen unter Konsultation von ExpertInnen jene entscheiden, deren Beruf es ist, politische Mehrheiten zu finden oder zu verhindern: Die PolitikerInnen.

Was tun? Die österreichische Politik leidet, behaupte ich, nicht am allermeisten am Stillstand der Großen Koalition, sondern an einer sinnbefreiten Vereinfachung politischer Debatten auf das niedrigstmögliche Niveau bei gleichzeitiger höchstmöglicher Personalisierung. Das hat mit dem Zustand der Medien in diesem Land eben so viel zu tun, wie mit der systematischen Unterforderung der WählerInnen durch die Politik selbst und durch den Furor jener Selbstdarsteller (ja, nur Männer) im Äther, die täglich verlautbaren, wie einfach doch alles wäre.

Mündigen BürgerInnen kann man zutrauen, dass sie einen als Partei auch unterstützen, wenn man ihnen einmal nicht im Werbesprech nach dem Mund redet. Mündigen Menschen kann man entgegentreten, wenn man ihre politische Meinung falsch findet. Mündigen WählerInnen kann und muss man die Komplexität des politischen Entscheidungsfindungsprozesses erklären, um die guten Seiten der repräsentativen Demokratie und der Checks und Balances zu unterstreichen, um die einfachen Lösungen als gemeingefährlichen Unsinn zu entlarven und um den eigenen Spielraum sichtbar zu machen. Das – und nur das – ist ein taugliches Mittel gegen das Unsagbare, das schon wieder allerorts herbeigeschrieben wird.

Ein Gedanke zu „politik ist (immer noch) kein waschmittel

  1. Ich sehe gelassen in die unmittelbare Zukunft. Wenn du dir die Frage stellst, wie lange die GRKO hält, hast du auch schon die Antwort. Ich gebe ihr naximal zwei Jahren, dann gibt es Neuwahlen, bei denen ROT und SCHWARZ abgestraft werden. Was dann kommt ist allemal besser als diese GRKO.
    Theoretisieren bringt nichts. Man muss den Dingen sozusagen bis zum „bitteren Ende“ ihren Lauf lassen.

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