Es ist der Gassenhauer in diesem Wahlkampf: Weniger Einfluss für die Parteien, mehr Einfluss für die BürgerInnen, fordern die neuen Gruppierungen unisono. Wer den Gassenhauser anstimmt, ist sich der Zustimmung der Enttäuschten sicher. Die sind zurecht enttäuscht, weil die politischen MachthaberInnen nicht gewillt sind, eine gerechtere Verteilung der gesellschaftlichen Ressourcen herbeizuführen. Wo Superreichtum neben grassierender Armut so ausgestellt wird, wie in den bunten Sonntagszeitungen und in dem ganzen sozialpornographischen Trash, der auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen seine Fixplätze hat, sinkt das Vertrauen in die Politik.
Perspektive. Ich will einen anderen Blickwinkel auf den Parteieneinfluss anbieten. Und zwar anhand eines der Lieblings-Streitobjekte der Parteien, das gleichzeitig immer als Schulbeispiel für die Parteienrepublik verwendet wird: Die heilige Kuh ORF. Der ORF platziert Qualitätssendungen ins Spätabendprogramm, strahlt eine Krone-kritische Dokumentation jahrelang nicht aus, dreht seine einzige qualitativ hochwertige Diskussionssendung ab, engagiert für Steuermillionen einen der nervigsten Moderatoren des Landes. Der ORF ist in den Spitzenetagen im Bund und in den Bundesländern politisch besetzt. In Tirol werkt der ehemalige ÖVP-Geschäftsführer als Landesdirektor, im Fürstentum Niederösterreich herrscht Landeshauptmann-Berichtspflicht. Bei jedem höheren Redaktionsjob am Küniglberg können mir kundige JournalistInnen ausführlich erzählen, ob das „eine Rote“ oder „ein Schwarzer“ ist und wie die jeweiligen Tauschgeschäfte seinerzeit gelaufen sind.
Kürzlich wurde kolportiert, die SPÖ wolle eventuell den mit einer Mehrheit gegen die ÖVP gewählten ORF-Generaldirektor gegen den österreichischen Job in der EU-Kommission tauschen. Viele ältere Semester im ORF beziehen Traumgagen, während die Jungen finanziell ausgeblutet werden. Die kommende Gehaltserhöhung für die „fixen Freien“, die euphorisch gefeiert wird, gleicht gerade einmal die seit über 10 Jahren nicht mehr erfolgte Valorisierung der Gehälter aus. In der Ö1-Redaktion gibt es in etwa vier Mal so viele Nicht-Angestellte, wie fixe RedakteurInnen. Summa summarum: Der ORF ist kein heller Stern am Himmel der unabhängigen, auf Qualität und auf gute Arbeitsbedingungen all seiner MitarbeiterInnen bedachten öffentlich-rechtlicher Sender.
Alternativen. Soweit sind sich auch alle immer einig, wenn man diese Diskussion führt. Und es ist ein bißchen österreichisch, dass man keine Antwort kriegt auf die Frage, wie denn ein demokratisch verfasstes öffentliches Unternehmen anders besetzt werden soll, als mit Vertrauensleuten jener Menschen, die das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger besitzen. Auf ein Medium mit diesen Reichweiten und dieser Definitionsmacht müssen die politisch Mächtigen tatsächlich aufpassen, wie die HaftlmacherInnen. Aus ihrer Perspektive müssen Ostermayer und Kopf bei den öffentlichen MeinungsmacherInnen Einfluss haben, das kann man ihnen nicht vorwerfen. Aber auch aus einer demokratiepolitischen Perspektive behaupte ich: Gut, dass der ORF ein Kampfplatz der Parteien ist. Wäre er es nicht, stünde es um die öffentliche Meinungsbildung in diesem Land um einiges schlechter.
Aus der Juristerei kennt man die Lösung langjähriger, unkündbarer Verträge für hohe Angestellte der Republik, die man zwar politisch bestellt, aber denen man dann möglichst große Unabhängigkeit ermöglichen will. Kontrolle braucht es an einer so zentralen Stelle wie der ORF-Generaldirektion trotzdem. Die erledigt im ORF momentan der Stiftungsrat. Den kann man meines Erachtens nicht anders besetzten, als analog zum Ergebnis der letzten Nationalratswahlen. Selbst wenn man sogenannten unabhängigen ExpertInnen mehr Einfluss in der Programmgestaltung gewähren wollte, müsste die wieder jemand aussuchen. Das wäre im Idealfall nicht die Generaldirektion, sondern ebenfalls ein pluralistisch zusammengesetztes Gremium wie der Stiftungsrat. Also wieder eine politische Auswahl: In einem Land, in dem jeder Meinungsforschungsagentur mit einer gewissen Berechtigung eine politische Farbe zugeordnet werden kann, kann mit dem Märchen von den unabhängigen ExpertInnen nur hausieren gehen, wer den Menschen Sand in die Augen streuen will.
Hidden Agenda. Der ORF ist ein staatseigenes Unternehmen, das seinem öffentlich-rechtlichen Qualitätsanspruch nur in wenigen Fällen nachkommt. Trotzdem: die ‚hidden agenda‘ der ORF-PrivatisiererInnen und der ÖBB-PrivatisiererInnen ist nicht die Verbesserung des ORF, sondern der schleichende Abbau staatlicher Strukturen. Der schleichende Abbau staatlicher Strukturen ist aber immer auch ein Abbau demokratischer Strukturen. Mir ist immer noch lieber, Ostermayer und Kopf übertreten hin und wieder eine rote Linie an Küniglberg, als Mateschitz und Stronach machen sich aus, welche Nachrichten in diesem Land relevant sind. Mir reichen schon ihre Inserate, ich brauch ihre Medien nicht.
Was man tun kann. Die Macht, den ORF zu verbessern, liegt übrigens bei den BürgerInnen. Sie bestimmen die Quote und sie bestimmen den öffentlichen Diskurs mit. Wenn sich das Pröll-TV im Land unter der Enns endlich weniger Menschen zumuten würden, käme auch dort früher oder später die Frage auf, ob das mit der Qualität der Berichterstattung zu tun hat. Wenn Menschen wegschalten und verärgerte LeserInnenbriefe oder Protestschreiben an den ORF schreiben, wenn Schwachsinns-TV wie „The Bachelor“ in die Wohnzimmer geflimmert wird, werden die Werbeflächen am Rand dieser Formate billiger und die Generaldirektion am Küniglberg muss sich etwas überlegen. Wenn 300 Ö1-Club-Mitglieder dem Funkhaus schreiben, dass sie die Übernahme der Ö3-Nachrichten als schleichenden Abbau der eigenen Info-Schiene des Qualitätssenders wahrnehmen und auf weitere Programmstreichungen mit Kündigung ihrer Mitgliedschaft reagieren, erzeugt das Druck in der Argentinierstraße. Und wenn PolitikerInnen, die über die Maße in den ORF hineinregieren, dafür mit Stimmeinbußen oder mit hörbarem Widerstand aus den eigenen Reihen bestraft werden, überlegen sie sich die nächste Intervention.
Es gilt für den ORF wie für andere zentrale staatliche Einrichtungen: Wer die Privatisierung will, hat den Kampf um ein demokratisch kontrolliertes Organ der Meinungsbildung oder der Verkehrsplanung schon aufgegeben. Was da unter dem Deckmantel der Entpolitisierung mit dem Gestus des sich etwas Trauens immer so kämpferisch gegen die da oben klingt, ist in Wahrheit ein Zeichen politischer Schwäche – oder des Wunsches, dass die Gestaltung der stärksten Medienkanäle des Landes nicht mehr eine mit vielen Checks und Balances ausgestattete Verhandlungssache der gewählten VolksvertreterInnen sein soll. Da sollte das Politik- und Demokratieverständnis des Vorzeige-Selfmademans in diesem Land, dessen Österreich-Projekt eigentlich mit der Gründung einer eigenen Zeitung beginnen hätte sollen, eine Warnung sein.