Natürlich wollte das der irrste Regierungschef Europas nicht. Aber trotzdem: Indem die Regierung Berlusconi den 20.000 nordafrikanischen Flüchtlingen, die in den letzten Tagen auf italienischem Territorium gelandet sind, TouristInnenvisa mit Reiseberechtigung in der ganzen EU ausstellt, kippt sie die EU-Asylpolitik. Die beruht darauf, dass die nord- und mitteleuropäischen Länder sich an den Mittelmeer-Anrainerstaaten abputzen: Sie dürfen alle Flüchtlinge, die es tatsächlich bis nördlich des Brenners schaffen, in jenes Land zurückbringen, in dem sie als erstes in Europa eingereist sind. Und nachdem man ohne Visum kein Flugzeug nach Mitteleuropa besteigen kann heißt das für Italien, für Griechenland, für Malta und für Spanien: Viel Spaß mit den Flüchtlingen. Wir sauberen Mittel- und NordeuropäerInnen müssen uns kaum die Hände schmutzig machen. Überraschung ist die neueste Entwicklung übrigens keine.
Noch zynischer ist nur die Haltung der deutschen und der österreichischen Regierung, was die aktuelle Debatte über die 20.000 Flüchtlinge betrifft. Der deutsche CSU-Innenminister Friedrich will keine Flüchtlinge aus Lampedusa, Italiens Aufnahmekapazität sei noch lange nicht ausgeschöpft. Nicht besser in Österreich: Zuerst hat Bundeskanzler Faymann die Revolution in Ägypten begrüßt, Mubarak habe auf die Stimme des Volkes gehört und der Umsturz sei ein Beitrag zur Demokratisierung. Noch vor 2 Wochen hat Maria Fekter gesagt, 5.000 bis 6.000 libysche Flüchtlinge in Österreich aufzunehmen, sei kein Problem. Jetzt macht die rechte Innenministerin die Grenzen dicht, will das Schengen-Abkommen, ein Herzstück der Europäischen Union, außer Kraft setzen. Von den 5.000 bis 6.000 lybischen Flüchtlingen, die Österreich aufnehmen könne, ist auf einmal keine Rede mehr. Dabei wäre von so einer hohen Zahl gar keine Rede: Wenn man die 20.000 Flüchtlinge der letzten Tage auf 27 EU-Staaten aufteilt, wären es weniger als 800 pro Land. Also zum Beispiel 75 Menschen in Tirol.
Der österreichische Boulevard applaudiert einmal mehr der Innenministerin und hetzt gegen Italien und gegen die Europäische Union. Dabei hat Berlusconi den versammelten EU-InnenministerInnen heute nolens volens die Maske heruntergerissen. Die Europäische Union kann nämlich nichts dafür, dass in den Regierungen der Nationalstaaten das Florianiprinzip Baugesetz der Realverfassungen ist. Sollen die in Südeuropa sich mit den Menschen herumschlagen, die wir vor 8 Wochen mit Chips und Bier vor dem Fernseher noch als tapfere junge HeldInnen gefeiert haben. Sollen sie verrecken im Massengrab Mittelmeer oder unter menschenunwürdigen Bedingungen dahinvegetieren in den völlig überfüllten südeuropäischen Flüchtlingslagern. Diese Haltung ist jene der InnenministerInnen der EU-Mitgliedsstaaten. Sie hat mit einer Europäischen Wertegemeinschaft, deren große Erzählung jene von Frieden, von Bewegungs- und von Gewaltfreiheit ist, überhaupt nichts zu tun.