1971 gab es die letzte große Wahlrechts-Reform in Österreich. Die minderheitenfreundliche Wahlkreisänderung war ein Zugeständnis der SPÖ an die FPÖ, die zuvor eine von Bruno Kreisky geführte Minderheitsregierung gestützt hatten. Was 2012 in der Steiermark recht unbemerkt beschlossen und mittlerweile vom Nationalrat in Gesetzesform gegossen wurde, läutet einen neuen Trend in Richtung mehr Personalisierung des Wahlrechts ein. Besonders ungewöhnlich dabei: Die Reform ist eine Selbstentmachtung der Landesparteien. Sie geben in der steirischen Wahlreform Macht an die dezentralen Strukturen ab. Mit der Zusammenlegung kleiner steirischer Wahlkreise wandern 10 Nationalratsmandate von den Landeslisten auf Bezirkslisten. Auf den betroffenen Mandaten sitzen heute unter anderem Werner Amon, Susanne Winter, Gerald Grosz und die jüngste SPÖ-Nationalratsabgeordnete, Sonja Steßl-Mühlbacher.
Aber langsam. Die bisher 8 steirischen Wahlkreise wurden im Oktober 2012 zu 4 großen Wahlkreisen zusammengelegt. Ein Mandat auf einer Regionalliste „kostet“ gleich viele Stimmen, wie die Wahlzahl auf der Landesebene. 2008 musste eine Partei in ihrer Region 26.927 Stimmen holen, um ihre/n SpitzenkandidatIn in den Nationalrat zu hieven bzw. 53.854 für zwei Nationalratsmandate und so weiter. Auf diese Art und Weise schafften es 2008 acht SteirerInnen – vier von der SPÖ und vier von der ÖVP – direkt aus ihren Regionalwahlkreis ins Parlament. 16 steirische Nationalratsabgeordnete kamen über die Listen der Landesparteien ins Parlament. Dieses Verhältnis 16:8 zu Gunsten der Landesparteien wird sich zumindest umkehren: Wäre 2008 nach dem neuen Wahlrecht gewählt worden, säßen 18 steirische RegionalmandatarInnen und nur 6 von den Landesparteien bestimmte Abgeordnete im Nationalrat.
Warum ist das so? Die größeren Wahlkreise machen es leichter, über die Hürde zu springen. Die Grünen haben etwa in Graz öfter an der Hürde für ein Grundmandat gekratzt, zuletzt wurde es um 1.000 Stimmen verpasst. Mit der Zusammenlegung des Bezirks Graz mit dem Bezirk Graz-Umgebung schaffen die Grünen in diesem neuen Bezirk den Sprung über die Wahlzahl von 26.927 und gewinnen ein Direktmandat.
Ursachenforschung. Warum geben Landesparteien freiwillig in einer großen Reform so viel Macht an ihre Bezirksorganisationen ab? Da ist einerseits die Verwaltungsreform mit Gemeindezusammenlegungen, die Voves und Schützenhöfer durchgedrückt haben. Die Wahlrechtsreform könnte ein Gegengeschäft sein, um die Bezirksorganisationen für die Verwaltungsreform zu gewinnen. Michael Bauer, bei dem ich mich für die Rechenhilfe zu den Auswirkungen der neuen Wahlkreise bedanke, hat mich auf eine andere mögliche Erklärung aufmerksam gemacht: Es könnte der Versuch der zentralen Strukturen sein, Bezirksorganisationen und im Fall der ÖVP bündische Strukturen dazu zu zwingen, mehr Geld für Wahlkämpfe in die Hand zu nehmen. Für weitere Erklärungen bin ich natürlich dankbar, immer her damit.
Konsequenzen. Heraus kommt ein stärker personalisiertes Wahlrecht. Denn ein gemütlicher Platz auf Platz 4 der Landesliste reicht bei den Großparteien nicht mehr für ein Nationalratsmandat. Wer aus der Obersteiermark nach Wien will, muss sich um seinen Bezirk kümmern, dort präsent sein und die Parteistrukturen gleichermaßen beleben und kontrollieren. Wer ein Mandat will, braucht die Stimmen aus der Bevölkerung, nicht jene aus dem Landesparteivorstand. Das gilt umso mehr, als 2012 im Bund auch die Hürde für Direktmandate gesenkt wurde: In den Regionalwahlkreisen sind nur mehr 14% der Parteistimmen notwendig, um direkt in den Nationalrat einzuziehen – natürlich vorausgesetzt, die Partei schafft in dem Wahlkreis ein Mandat. Das ist durchaus realistisch: 2008 bekam der Gewerkschafter Josef Muchitsch in seinem südweststeirischen Wahlkreis über 10.000 Vorzugsstimmen und damit über 40% der SPÖ-Stimmen. Der oststeirische ÖVP-Abgeordnete Michael Praßl bekam jede siebte ÖVP-Stimme in seinem Bezirk.
Wie wichtig es für lokal weniger verankerte Parteiprominenz ist, ob die Stimmen auf Regional-, Landes- oder Bundesebene vergeben werden, zeigt eine Geschichte aus dem Bezirk Leibnitz: Hier schlug der Weinbauer Hannes Zweytick bei der Nationalratswahl 2008 zwar den ehemaligen Wirtschaftsminister Bartenstein mit fast 3.000 Vorzugsstimmen. Letzterer zog aber, weil die Regionalliste aber im dafür zu kleinen Wahlkreis kein Mandat schaffte, über die Bundesliste der ÖVP wieder ins Parlament ein.
Trendsetter. Die steirische Wahlrechtsreform und die mit ihr implementierte Umkehrung des Verhältnisses zwischen Landes- und Regionalmandaten könnte einen Trend setzen. Seit Jahren bemühen sich zahlreiche Initiativen um Wahlrechtsänderungen. Die steirischen Regierungsparteien haben einen Weg gefunden, ihre Regionallisten und damit die Politik vor Ort aufzuwerten. Im Moment sitzen im Parlament 69 Abgeordnete auf Direktmandaten ihres Wahlkreises, also gut jede/r Dritte. Dank der steirischen Wahlreform werden es ab Oktober 2013 zehn mehr sein. Würden alle Bundesländer nach dem Vorbild der Steiermark ihre Wahlkreise zusammenlegen, wären über 120 und damit zwei Drittel der Abgeordneten im Nationalrat regional gewählte MandatarInnen.
Einen Haken hat das ganze natürlich. Die steirischen Abgeordneten, die in meinem Rechenbeispiel mit dem neuen Wahlkreisen und dem alten Wahlergebnis ihr Landeslisten-Mandat verlieren, sind 5 Frauen und 5 Männer und ihr Altersschnitt liegt 10 Jahre unter dem Durchschnitt der ParlamentarierInnen. Das ist auch der wichtigste Grund, der meines Erachtens gegen solche Reformen spricht: Personalisierte Wahlsysteme bevorzugen alt eingesessene Männer. Sie machen Parlamente tendenziell zu einem Abbild der alten Machtstrukturen und nicht zu einem repräsentativen Bild der Bevölkerung.
naja, dein Schluss zum Perönlichkeitwahlrecht stimmt so nicht – zb in Finnland ( wo du eine Person auf dem Wahlvorschlag wählen musst); setzen sich bei den Grünen eher Junge Leute ( insbesondere Frauen) durch…. die Männer fliegen raus… hängt eher von der Partei ab…. und es würde die Parteien zwingen auf andere Leute zu setzen…..