In den kalten Februartagen 2000, nach Wolfgang Schüssels Tabubruch, schwarz-blau war besiegelt, gerade einen Tag alt. Erich Böhme, einer der renommiertesten deutschen Polit-Interviewer, lädt den geheimen Regierungschef Jörg Haider nach Berlin zu einer Diskussionssendung auf ntv ein. Es ist eine illustre Runde, die den Rechtspopulisten am Tag seines größten politischen Triumphs entlarven will: Der Publizist Ralph Giordano, CSU-Chef Michael Glos, das sozialdemokratische EU-Schwergewicht Freimut Duve. Haider wird mit Buhrufen empfangen und quittiert sie mit einem Lächeln. Er, den sie vorführen wollten im großen deutschen Hauptstadtfernsehen, ist in seiner Lieblingsrolle: Feind der Etablierten, ausgepfiffen vom Publikum und gleichzeitig ein Gegner auf Augenhöhe seiner intellektuellen Widersacher. Ich hab mir die Sendung heute noch einmal angeschaut und es überkommt mich das gleiche Gruseln, wie an jenem Abend vor 11 Jahren. Weil Haider in seiner Lieblingsrolle genau das Schauspiel abliefert, mit dem er seine Partei auf 27% gebracht hat. Und die anderen merken es nicht einmal.
Ich bin mit der Schüssel-Regierung von Haiders Gnaden politisch aufgewachsen. „Danke Jörg“ stand auf einer Deix-Karikatur auf den Plakaten, die mich angesprochen und politisch aktiviert haben. 11 Jahre später muss man konstatieren: Haider hat die österreichische Politik aus den Angeln gehoben, noch heute werkeln ÖVP und SPÖ im Schatten einer freiheitlichen Partei und einem orangen Anhängsel, das längst stärkste Kraft in diesem Land ist. Noch nicht an den Wahlurnen. Aber in wesentlichen Politikfeldern – in der Integrations- und Asylpolitik, in dem, was sie Sicherheitspolitik nennen – machen sozialdemokratische und konservative MinisterInnen seit Mitte der 90er-Jahre FPÖ-Politik.
Die Saat des Millionenerben aus dem Bärental, der sich so erfolgreich als Vertreter des sogenannten kleinen Manns geriert hat, ist aufgegangen und trägt satte Blüten. Seine Popularität hatte Haider dem Tabubruch zu verdanken – nicht den vermeintlichen 27% Kellernazis in diesem Land und nicht den landesväterlichen Almosen, die er verteilt hat. Sondern weil er der Wut im Bauch über die Etablierten in unsicheren Zeiten eine Stimme und ein Gesicht gegeben hat. „Die da oben“, zu denen er selbst zweifellos gehörte, hat er vorgeführt mit seinen Taferln in Diskussionssendungen und mit seinen Lobreden vor alten Nazis und unmissverständlichen Relativierungen des Holocaust. Gäbe es in diesem Land eine klare Grenze, er hätte sie im Wochentakt überschritten. Es gab die Grenze aber nicht in dieser Republik. Wo auch, wenn die akademische sozialistische Elite schon in den 50ern wieder eine (national)sozialistische war. Das wusste Haider. Und das wussten auch viele ältere WählerInnen, für die die Doppelmoral der Altparteien im Umgang mit der NS-Zeit nur ein weiterer Beweis dafür war, dass Haider recht hatte mit der Behauptung, es handle sich um eine ideologische Missgeburt bei dieser demokratischen Republik Österreich.
Die meisten Medien haben ihre Rolle gespielt in dieser Haider-Republik, haben dankbar jedes Hölzchen gefangen, das er ihnen geworfen hat. Jedes Haider-als-Hitler-Cover in profil, News und wie sie alle heißen, hat Haiders Schauspiel nur noch weiter befeuert. „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“ – das ist der rote Faden des politischen Lebens des Wahlkärntners aus Bad Goisern. Das kann passieren in einem Land, in dem der Nationalsozialismus an den Stammtischen noch immer ambivalent diskutiert wird. In einem Land, wo sich die politische Elite an den Opfern des Holocaust versündigt hat, indem sie die Mörder und Helfer nach wenigen Jahren wieder in höchste Posten gehievt hat. In einem Land, das fast seine gesamte intellektuelle Elite verjagt oder vergast hat.
Man hätte Haider auch anders darstellen können: Als schwerreichen Wichtigtuer, als neoliberalen Aufmerksamkeitsjunkie, als kindischen Schreihals, als Privilegienritter, umgeben von Privilegienrittern. Nur dass das den anderen Aufmerksamkeitsjunkies und Privilegienrittern niemand geglaubt hätte. Womit wir wieder beim Anfang wären: Die deutsche Intelligenzia ist in der TV-Sendung grandios gescheitert, weil sie Haider unterschätzt hat. Und weil sie nicht verstanden hat, dass Skandalisierung einem, der von der Skandalisierung lebt, nur nützen kann. Strache ist kein neuer Haider, aber er bedient die gleiche Klientel. Das demokratische Österreich sollte aus seinen Fehlern lernen: In der Liga der Schreihälse kann man Haiders Erben nicht schlagen. Man muss den Tonfall ändern.