Es gab drei Eskalationsstufen in Trumps Plan zur Wahl:
Stufe 1: WählerInnen mit Drohszenarien vom Wählen abhalten, Briefwahl durch Verschlechterung des US Postal Service verschleppen, Fristen für Stimmabgaben verkürzen. Ist gescheitert. Joe Biden gewinnt mit über 5 Millionen Stimmen
Stufe 2: Mit Gerichtsverfahren Auszählung stoppen, Stimmen ungültig machen, Recounts etc. Hilft nix. Trump gewinnt durch Recounts wenn überhaupt ein paar 1.000 Stimmen – viel zu wenige, um die 10.000en Stimmen Vorsprung wettzumachen. Geht sich nirgends aus.
Stufe 3: Misstrauen in den Prozess säen, seine Anhängerschaft stabilisieren, totale Macht im Weißen Haus ausüben, willkürliche Kündigungen, offener Krieg mit ehemaligen Verbündeten. Opfermythos und Dolchstoßlegende schmieden. Das gelingt.
Was nicht gelingt und wozu alle Fachleute sagen, geht sich nicht aus: Delegationen im Electoral College drehen. Ja, Trump ruft RepublikanerInnen in Wahlbehörden persönlich durch und will, dass sie Zustimmung zu Formalprozessen verweigern. Er lädt Abgeordnete, wie heute zwei aus Michigan, ins Weiße Haus ein, um Unruhe zu stiften. Er schickt seinen durchgeknallten Anwalt zu skurrilen Medienauftritten, bei denen der Unruhe stiftet. Seine Partei geht auf den republikanischen Innenminister von Georgia los, der den dortigen Wahlprozess überwacht und als fair bezeichnet, umUnruhe zu stiften.
Aber die Parlamente der Bundesstaaten haben nach der Wahl keine Rolle mehr bei der Auswahl der Delegierten zum Electoral College. In Michigan haben 150.000 Leute mehr „Delegierte zum Electoral College für Biden/Harris“ gewählt als „Delegierte zum ElectoralCollege für Trump/Pence“. Jetzt sind nur mehr Wahlbehörden und dann GouverneurInnen am Zug, um die Delegierten zu bestätigen. Die GouverneurInnen in vier der knappen Bundesstaaten, in Nevada, Wisconsin, Michigan und Pennsylvania, sind DemokratInnen. Wer das ganz genau nachlesen will, Politico hat das minutiös auseinandergenommen: https://www.politico.com/news/2020/11/19/how-electoral-college-works-437749
Ich verstehe die Sorge und die Aufregung, aber die Gefahr von dem, was Trump macht, ist keine kurzfristige, sondern eine nachhaltige. Joe Biden wird am 20. Jänner als Präsident angelobt werden. Aber die „gespaltene Nation“ ist jetzt ein ganz praktisches Problem. Weil sich über 30% der AmerikanerInnen und über 50% in vielen Bundesstaaten, nur mehr in verqueren Medienblasen bewegen und die US-Demokratie sukzessive und substantiell unterwandert wird. Da sind dutzende Millionen von Menschen rationalen, wissenschafts- und evidenzbasierten Argumenten nichtmehr zugänglich. Wie man mit deren VertreterInnen, dem Großteil der Republicans, ein Land so regieren sollte, dass es 2024 nicht für Trumps Wieder-Wahl oder jene für einen seiner LakaiInnen sturmreif geschossen ist – das ist die bedrohlichere Frage als das Theater jetzt.