you’re never late to the party. der späteinsteigerInnen-guide zur us-wahl

Jetzt laufen in den Hauptabendprogrammen USA-Dokumentationen. Jetzt werden die ersten Seiten mit der US-Wahl gefüllt. Hier ein SpäteinsteigerInnen-Guide zur US-Wahl mit Antworten auf die wichtigsten Fragen.

  1. Wer steht zur Wahl?

Das Team aus US-Präsident Donald Trump, einem autoritären Geschäftsmann und Vizepräsident Mike Pence, einem streng religiösen Berufspolitiker, tritt gegen Joe Biden, einen Anwalt und Kamala Harris, eine Karrierejuristin, an. Trump und Biden sind 74 und 77 Jahre alt, Harris ist 56, Pence 61 Jahre alt. Gewählt werden PräsidentIn und VizepräsidentIn für vier Jahre. Außerdem zur Wahl steht wie alle zwei Jahre das gesamte RepräsentantInnenhaus, die größere Kammer des Parlaments und wie ebenfalls alle zwei Jahre ein rotierendes Drittel des US-Senats.

  1. Wie ist Politik in den USA aufgebaut?

Es gibt zwei große Parteien, die eher rechts-konservativ ausgerichtete Republikanische Partei und die eher links-progressiv ausgerichtete Demokratische Partei. Diese beiden Parteien teilen sich sämtliche Sitze der US-weiten Politik auf: Bis auf zwei, formal unabhängige aber praktisch demokratische Senatoren und ein paar wenige ebenfalls zum Schein unabhängige Abgeordnete, sind alle 435 im RepräsentantInnehaus und alle 100 im Senat entweder RepublikanerInnen oder DemokratInnen. Auch sämtliche GouverneurInnen der Bundesstaaten, das sind quasi direkt gewählte Landeshauptleute bzw MinisterpräsidentInnen, gehören einer der beiden großen Parteien an.

  1. Wie ist das Kräfteverhältnis der beiden Parteien?

Alle Wahlen seit 20 Jahren sind eigentlich knapp ausgegangen: Kein Präsidentschaftskandidat hatte mehr als 53% der Stimmen. Die in den letzten 20 Jahren höchste Sitzzahl im Senat für eine Partei war 60:40 für die DemokratInnen nach der ersten Obama-Wahl 2008. Und eine 40-Sitz-Mehrheit im 435 Abgeordnete umfassenden RepräsentantInnenhaus gilt schon als massive Mehrheit. Wir haben es also grundsätzlich mit einem sehr ausgeglichenen System zweier ungefähr gleich starker Parteien zu tun. Aber bis zu Donald Trump waren die im Auftreten und Habitus oft sehr unterschiedlichen PräsidentschaftskandidatInnen politisch keine Welten auseinander.

  1. Wie ist Trump passiert?

Der Zentrismus beider Parteien, also das in die Mitte streben, um die paar wenigen unentschlossenen WählerInnen auf seine Seite bringen, hat sich mit Trump geändert, der nicht nur einen völlig anderen Stil in die Politik gebracht hat, sondern auch einige informelle Vereinbarungen beider Parteien brach und damit seinen Außenseiter-Status pushte: Vor Trump war unbestritten, dass die USA ein Einwanderungsland sind und dass keine Mauern gebaut werden sollen. Und vor Trump war klar, dass Freihandel Konsens zwischen den beiden großen Parteien ist. Über die Gründe von Trumps Wahlsieg sind Bücher geschrieben worden. Long story short: Er hat die traditionelle republikanische Koalition aus evangelikalen ChristInnen, aus Business Republicans und aus ein paar weißen ArbeiterInnen, um sehr viele zusätzliche weiße ArbeiterInnen ergänzt. Das war deswegen besonders leicht möglich, weil ihm mit Hillary Clinton eine der unbeliebtesten PolitikerInnen der USA gegenübergestanden ist, weil die Freihandelspolitik der DemokratInnen die Industrie und Arbeitsplätze unter Druck setzte und weil der radikale Antifeminismus der RepublikanerInnen im Wahlkampf ist bei vielen Menschen auf fruchtbaren Boden gefallen.

  1. Was hat Trump geschafft?

Umgesetzt hat Trump dann „nur“ eine klassisch republikanische Agenda, weil er zu undiszipliniert und politisch unbewandert ist und weil das US-System viele sogenannten Checks and Balances hat, bevor radikale Reformen passieren können: Davor müssen viele Gremien und Parlamente mitstimmen, das ist kompliziert. So beschränken sich Trumps Errungenschaften auf eine klassisch republikanische, Reiche verschonende und die Mittel- und Unterschicht belastende, Steuerreform und auf RichterInnenamtsbesetzungen mit konservativen RichterInnen, die ihm die republikanische Fraktion vorgelegt hat. Darüber hinaus ist das Gefährliche an Trump nicht seine legislative Agenda, sondern die politische Kulturveränderung, die er gebracht hat. Denn er ermutigt mit seinem Rassismus und mit seinem Verbalradikalismus Rechtsradikale und Anti-DemokratInnen beim politisch kandidieren, beim medialen Einfluss gewinnen und auch dabei, bewaffnet vor Parlamenten aufzumarschieren, wie das in Michigan im Frühjahr der Fall war.

  1. Wie steht es jetzt in diesem Rennen ums Weiße Haus?

Seit Ausbruch der Covid-Krise im Frühjahr hat Joe Biden seinen knappen Vorsprung in den Umfragen zu einem großen Vorsprung ausgebaut. Deutliche Mehrheiten der US-AmerikanerInnen sind mit dem Umgang Trumps mit dem Coronavirus nicht einverstanden und das geht tief in Trumps WählerInnen vom letzten Mal hinein. Deshalb führt Biden in den US-weiten Umfragen durchschnittlich mit 9-11 Prozent. Eine Besonderheit des US-Wahlsystems, in dem nicht die meisten Stimmen sondern die meisten gewonnenen Bundesstaaten zählen, bringt mit sich, dass Biden erst ab 5% Vorsprung auf Trump sicher nächster Präsident wird. Es gibt also ein paar Prozent Spielraum in den Umfragen für einen Präsidenten Biden. Aber fix ist das noch nicht. Es wird unter anderem von der letzten Fernseh-Debatte der beiden Kandidaten am Donnerstag abhängen, ob Trump den Rückstand noch entscheidend reduzieren und am 3. November eine knappe Wahl erzwingen kann.

  1. Und warum ist der Senat so wichtig?

Von denen, die den Umfragen glauben, wird momentan das Rennen um die Mehrheit im US-Senat genauer beobachtet als jenes ums Weiße Haus. Denn es ist knapper. Je nachdem, wie ein halbes Dutzend sehr knappe Rennen in den Bundesstaaten ausgehen, werden entweder die RepublikanerInnen ihre Mehrheit im 100köpfigen Senat, in den jeder Bundesstaat 2 SenatorInnen entsendet, knapp halten oder knapp verlieren. Der Senat ist die stärkere der beiden Kammern im US-Kongress. Hier müssen RichterInnenbestellungen vom Bezirksgericht bis zum US-Höchstgericht bestätigt werden, hier müssen große Budgets durch, hier werden die großen außenpolitischen Linien beschlossen. Die RichterInnen sind besonders wichtig, weil in den USA viele heikle politische Fragen letztendlich von den (Höchst)-Gerichten entschieden werden. Ohne Mehrheit im Senat, keine großen Reformen für den/die amtierende/n PräsidentIn, das ist die Regel.

  1. Was bringt ein Präsident Joe Biden?

Ein Präsident Joe Biden bringt eine Normalisierung politischer Prozesse und eine Normalisierung der Außenbeziehungen der USA. Biden wird die Grundfesten der US-Demokratie stehen lassen und nicht weiter schleifen. Er bringt einen ganz anderen Umgang mit Covid. Der Rest hängt tatsächlich von den Kräfteverhältnissen im Senat und im RepräsentantInnenhaus ab. Nur mit einer klaren Mehrheit im Senat, wir sprechen da von 53 oder mehr demokratischen SenatorInnen, lassen sich tiefgreifende progressive Reformen – vom Mindestlohn über einen Green New Deal und den Ausbau der Gesundheitsversorgung bis zu beitragsfreien Hochschulen und einer bezahlten Elternkarenz – möglicherweise umsetzen. Denn es reicht nicht, zu einem Zeitpunkt 51 Stimmen zusammenzukratzen, wenn es dir zwei Jahre später bei der nächsten Senatswahl dafür fünf SenatorInnen „putzt“ und deine Mehrheit weg ist. Diese Balance aus notwendigen Reformen und aus einer Stabilisierung der demokratischen Mehrheit insbesondere im Senat, wird die wichtigste Aufgabe eines Präsidenten Joe Biden. Wenn es ihn gibt. Wir werden sehen.

Fragen bitte jederzeit auf Twitter @pablodiabolo oder auf Facebook per PN an Paul Schuierer-Aigner.

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