Es gibt eine große Unbekannte, die alles relativiert, was wir an „conventional wisdom“ über US-Wahlen zur Verfügung haben: Nach „conventional wisdom“ dürfte Donald Trump gar nicht das Rennen um das republikanische Ticket gewonnen haben. Deswegen sind auch Erklärung und Argumentation im Folgenden unter der Prämisse zu betrachten, dass es auch Grenzen der Gesetzmäßigkeiten gibt.
Die Wichtigste aller Gesetzmäßigkeiten versucht Trump auszuhebeln: George W. Bush gewann im Jahr 2000 knapp 40% der „Latinos“, also der spanischsprachigen und aus spanischsprachigen Ländern stammenden WählerInnen. Dann wurden die Latinos – u.a. wegen der immer strengeren Positionen der RepublikanerInnen zur Einwanderungspolitik, aber auch wegen ihrer ökonomischen Zugehörigkeit und geschickter Mobilisierung der DemokratInnen – schnell Teil der „Obama coalition“ und wählten zu fast 70% den demokratischen Präsidenten. Die Gesetzmäßigkeit lautet, dass ein/e republikanische PräsidentschaftskandidatIn mindestens ein Drittel der Latino-Stimmen brauchst, um eine Chance auf eine Mehrheit im „Electoral College“ zu bekommen.
Drei Latino-spezifische Trends helfen Obamas DemokratInnen zusätzlich: Es werden immer mehr Latinos (sprich: eine klare Mehrheit bei denen ist auch Netto in Stimmen immer mehr wert), die werden immer demokratischer und sie leben in wichtigen Bundesstaaten, in denen die Mehrheiten auf der Kippe stehen. Ein Blick auf die Karte oben zeigt an der mexikanischen Grenze New Mexico und Arizona. New Mexico hat George W. Bush ein Mal gewonnen und ein Mal um 360 Stimmen verloren – heute findet dort de facto kein Wahlkampf mehr statt, Obama hat mit 15% bzw. 10% Vorsprung gewonnen. Arizona war bis vor kurzem ein sogenannter „Red State“ mit deutlichen republikanischen Mehrheiten bei allen Wahlen – zuletzt zwei Mal 9% Vorsprung gegen Obama. Heute ist dank Latino-Zuwachses niemand mehr so sicher, ob der Heimatstaat von John McCain im November nicht für Clinton abstimmen könnte. Links über Arizona seht ihr auf der Karte Nevada, seit Obama ebenfalls mit klarer DemokratInnen-Schlagseite, davor zwei Mal von George W. Bush gewonnen. Ganz rechts unten in Florida sind 15% der Wahlberechtigten Latinos, 2008 waren es erst 12% und dennoch gewann Obama den „Sunshine State“.
Dass die vier Staaten zwischen der Hauptstadt Washington DC und Florida, alle vier Teil der Konförderation und damit ehemals tiefster Süden auch im politischen Sinn, auf der Karte oben weiß eingefärbt und damit nicht klar prognostizierbar sind, das haben die DemokratInnen der wachsenden schwarzen Bevölkerungsgruppe und deren steigender Registrierungszahlen für Wahlen zu verdanken. Dass Virginia (VA) zwei Mal für Obama abstimmte, hätten sich die RepublikanerInnen nach zwei Bush-Siegen mit je 8% Vorsprung nicht träumen lassen. Hier spielt allerdings auch das Hinauswachsen des demokratischen Washington DC weit über die Staatsgrenze hinein nach Virginia eine große Rolle. 2008 konnte Obama aber auch North Carolina für sich entscheiden (2012 nicht). South Carolina und Georgia sind in der jüngeren Geschichte noch immer von den republikanischen KandidatInnen gewonnen worden, aber sogar die wackeln dank steigender Minderheiten-Zahlen und -Mobilisierung zu Wahlen.
Ein Blick auf die Karte zeigt noch einen weiteren roten Staat, der tendenziell demokratischer wird. Missouri (MO) wird ebenfalls langsam diverser mit steigenden Latino- und Blacks-Anteilen (allerdings in Summe unter 20%) und in St. Louis, Missouri leben 70.000 bosnischstämmige AmerikanerInnen, die großteils nach 1990 kamen und denen die Anti-Flüchtlings- und Anti-Islam-Rhetorik des republikanischen Kandidaten nicht gefallen wird. Obama verlor Missouri 2008 um nur knapp 4.000 Stimmen. Jetzt fehlt, halbrechts oben, nur mehr ein weißer Staat auf der Landkarte: Ohio, die Mutter aller Wahlschlachten, ein Swing State. Seit 1988 konnte hier niemand mehr eine größere Mehrheit als 51,4% (Obama 2008) erzielen. Seit 1960 hat Ohio immer den gleichen Sieger gehabt, wie die US-Wahl insgesamt. As Ohio goes, so goes the nation, sagt man.
Und Ohio ist das Symbol für das Hoffnungsgebiet der RepublikanerInnen: Der „Buckeye State“ ist das Herzstück jener Staaten, mit denen die Konservativen den aus dem demographischen Wandel resultierenden politischen Wandel umkehren wollen: Mit Hilfe der weißen ArbeiterInnen, die aufgrund der Wirtschaftskrise und dem Niedergang ganzer Städte frustiert sind und denen die Diversität der „Obama coalition“ und des bunten, modernen Amerika, zu weit geht. Davon gibt es viele in Ohio und viele in den Nachbarstaaten Michigan und Pennsylvania. In Wisconsin regiert seit 6 Jahren ein republikanischer Gouverneur, der mehrere Wiederwahlen, u.a. infolge eines Amtsenthebungsverfahrens, gewonnen hat und Hoffnungssymbol der Konservativen in einem eigentlich demokratisch dominierten Bundesstaat ist.
So lautet also das Kalkül von Trump: Die knapper werdenden Mehrheiten im diverser werdenden Süden retten und damit gewinnen, wo ein Republikaner gewinnen muss. Und in demokratischem Herzland – mit einem oder zwei „gestohlenen“ Industriestaaten insgesamt eine Mehrheit der Wahlmänner und -frauen im „Electoral College“ gewinnen. Mehr frustrierte Weiße auf seine Seite ziehen, als er eigentlich konservative Latinos durch seine rassistische Rhetorik verjagt – das ist die Rechnung.
Damit die aufgeht – und jetzt kommen wir zur Auflösung der Karte ganz oben – müsste Trump aber schon alles aufgehen. Denn Hillary Clinton hat nur mit den dunkel- und hellblau eingefärbten Staaten (dunkel für „zu 99,9% demokratisch“, hell für „zu 90% demokratisch“) schon 260 Stimmen im „Electoral College“. Gewählt ist man mit 270 Stimmen. Sieben der neun verbliebenen „Swing States“ haben mehr als 9 Stimmen und von jedem einzelnen dieser Staaten (Arizona, Missouri, Georgia schwer; Florida, North Carolina, Ohio möglich; Virginia wahrscheinlich) reicht Clinton schon ein einziger zum Einzug ins Weiße Haus. Trump muss diese Staaten also gar alle gewinnen. Nur wenn Trump alle sieben gewinnt und South Carolina dazu, dann hat er eine Mehrheit und zieht ins Weiße Haus ein, wenn der Rest der Karte so stimmt (wovon jedenfalls auszugehen ist).
Und dann gibt’s da noch eine Lieblingsvariante der Nerds: Clinton gewinnt die 260 plus South Carolina und kommt damit auf 269:269 – dann entscheidet die Mehrheit im Senat (danke, Leo Dobusch!) RepräsentantInnenhaus. Wie die zu Stande kommt und wie die Chancen darauf stehen, steht hier ein anderes Mal. Und selbst bei der unwahrscheinlichen Konstallation, dass Clinton 260 plus South Carolina gewinnt, könnte es noch passieren, dass in einem der beiden Bundesstaaten, der nicht alle Wahlmänner nach dem Bundesstaat-weiten Ergebnis vergibt, sondern auch auf Bezirks-Ebene, eine Stimme im Electoral College von Clinton zu Trump wandert (in Maine) oder von Trump zu Clinton (in Nebraska).
Die mit Abstand wahrscheinlichste Variante auf Grundlage der Karte ist aber: Trump muss gar alles gelingen, damit er eine Chance hat. Und danach sieht es wirklich nicht aus.
Bei Stimmengleichheit im Electoral College entscheidet nicht der Senat, sondern das Repräsentantenhaus mit einer Stimme pro Delegation.
Es fehlen so viele Genderanpassungen in diesem Text, da sieht man wieder dass Frauen in diesem Blog total benachteligt und diskriminiert werden, z.B.: Wahlmaenner UND WahlFRAUEN, Seit 1960 hat Ohio immer den gleichen Sieger und SIEGERIN, RepräsentantInnenhaeuserin, etc.