O-Ton Werner Faymann: „Die Idee der Volksvertretung ist, dass Abgeordnete für die Zeit ihrer Tätigkeit unabhängig entscheiden können, wie sie zur Verbesserung der Gesellschaft beitragen können. Dafür brauchen sie finanzielle Sicherheit. Wie sie als VolksvertreterInnen entscheiden, darf nicht von der Laune einzelner Personen abhängig sein. Gute PolitikerInnen arbeiten nicht für Geld, sondern für eine gute Zukunft des Landes. Ich will, dass sie das machen können, ohne auf private GeldgeberInnen angewiesen zu sein. Deswegen haben wir als gewählte Regierung ein Transparenzpaket beschlossen und werden umfassende Transparenzgesetze auf den Weg bringen: Als Schutz für die Abgeordneten vor Bestechung. Jede Region soll ihre VertreterInnen im Parlament haben, die AnsprechpartnerInnen für die BürgerInnen sind und sich für das Wohlergehen der Menschen in ihrem Wahlkreis einsetzen. Ein kleineres Parlament heißt mehr Einfluss der LobbyistInnen und weniger Vertretung der Regionen in Wien.“
Der Kanzler hat das natürlich nicht gesagt. Aber so könnte ein Beitrag zur Debatte über die Verkleinerung des Nationalrats aussehen, wenn man sich an die Regeln berücksichtigt, die Georg Lakoff und Drew Westen aufgestellt haben. Die beiden Wissenschafter haben vor 10 Jahren begonnen, zu skizzieren, wie die nach 9/11 marginalisierte Demokratische Partei wieder große Wahlen gewinnen könnte. Ihre Bücher heute zu lesen, ist faszinierend: Denn die Obama Kampagne hat sich minutiös an die Anleitung zur Rückeroberung der Macht über den öffentlichen Diskurs gehalten.
Das banale „nicht an die Köpfe, sondern an die Herzen appellieren“ hat der Linguist George Lakoff präzise ausgearbeitet und auf die großen politischen Debatten der 00er-Jahre in den USA angewandt. Ausgeführt hat Lakoff seine Leitsätze in „Moral Politics“. Drew Westen hat in „The Political Mind“ seine sozialpsychologische Expertise in das „Reframing“ politischer Botschaften investiert. Das Wichtigste der beiden liberalen Meisterdenker in Kürze:
It’s the values, stupid. BürgerInnen denken nicht in Programmen oder in Gesetzesentwürfen. Sie denken großteils Teil in Werten. Und das „Denken“ ist eigentlich mehr ein unbewusstes „Fühlen“. WählerInnen in ein, zwei Sätzen sein Weltbild und seine Ziele zu erklären, bevor man sie mit konkreten Vorhaben bombardiert, hilft. Werte sind ein Rahmen, sie geben Orientierung und sie sind ein Anknüpfungspunkt für WählerInnen. Über Werte kann man sprechen und diskutieren. Über Paragraph 147b diskutieren BürgerInnen nicht mit PolitikerInnen. WählerInnen müssen die PolitikerInnen, die sie wählen, nicht mögen. Aber sie müssen ihre Werte teilen.
Think of the nation as a family. Ob man das gut findet oder nicht: Menschen stellen sich ein komplexes Modell wie einen Staat auf kleineren Ebenen vor, die nachvollziehbar und bekannt sind. Für die USA postuliert George Lakoff, dass die Familie das Modell ist, in dem sich Menschen Politik vorstellen. Auf der konservativen Seite hat Lakoff ein „strict father“-Modell festgestellt, an dem sich auch die Vorstellung von Politik orientiert: Ein starker Anführer, der weiß, wie böse die Welt ist und aufgrund seiner Erfahrung seine Schäfchen auf die Bedrohungen vorbereitet und sie schützt. Die Schäfchen sind noch unerfahren und deswegen bringt ihr Widerspruch nichts: Sie werden bestraft und folgen, bis sie selber „strict fathers“ werden. Auf liberaler Seite sieht Lakoff ein „nurturant parents“-Modell: Mit klaren, transparenten Hierarchien erarbeiten sich Familien gemeinsam ihr Lebensmodell. Zu den Erziehungsmethoden gehören „soft power“ ebenso, wie Diskurs und zweite Chancen. Die meisten Menschen in den USA leben in beiden Modellen, etwa am Arbeitsplatz als „strict father“ und zu Hause als „nurturant parent“: Die Frage, für wen sie ihre Stimmen abgeben, hängt davon ab, welches Familien- und damit Politikbild in einer Debatte aktiviert wird.
Framing. Gute politische Botschaften rekurrieren auf bereits bekannte, unbewusst vorhandene Denkmodelle, wie zum Beispiel auf Familienstrukturen. Sie verbinden die „core message“ mit einem vertrauten Beispiel aus der realen Lebenswelt der WählerInnen und appellieren damit an das Unbewusste. Drew Westen zeigt in diesem Vortrag, wie die Referenz auf das Unbewusste funktioniert: Er nennt seinen ZuhörerInnen fünf scheinbar unzusammenhängende Begriffe. Wenige Minuten später fragt er unvermittelt nach der ersten Waschmittelfirma, die dem Publikum einfällt. Obwohl es zig bekannte Marken gibt, nennen fast alle ZuhörerInnen die Marke „tide“ – wohl deshalb, weil die unzusammenhängenden Begriffe unter anderem „ocean“ und moon“ waren.
Take posession of terms. Wer dreitausend Mal „change“ sagt, wird irgendwann mit diesem Begriff assoziiert. Wer dreitausend Mal „liberal elite“ gehört hat, wird „liberal“ als Schimpfwort wahrnehmen. Auch das skizziert Westen: Während die Gründerväter der amerikanischen Verfassung sich selbst als „liberal“ bezeichnet hatten und noch in den 1970ern Präsident Lyndon B. Johnson diesen Terminus positiv verwendete, hat die republikanische Propaganda den Begriff durch die Verknüpfung mit negativen Begriffen und deren tausendfache Verwendung dafür gesorgt, dass „liberal“ zur Verunglimpfung geworden ist, die den RepublikanerInnen so machen Wahlsieg beschert hat. Zweites Beispiel: George W. Bush ist 2000 als „compassionate conservative“ angetreten und hat damit einen zentralen Begriff der politischen Linken für sich vereinnahmt. Umso mehr, als der Stabreim auch leicht zu merken ist: Ein genialer Schachzug. Und heute in Österreich? Die SPÖ plakatiert in Wien großflächig „Die SPÖ schützt…“ und versucht damit einmal mehr, den Sicherheits-Begriff von den Rechten zurückzuerobern.
Forget about acronyms. Gelernt von den RepublikanerInnen – sprechende Bezeichnungen für politische Programme müssen her, Abkürzungen müssen weg. Ein Bildungsprogramm, das schwache SchülerInnen in Privatschulen drängt, nennt man „No Child left behind.“ Ein Umweltprogramm, das die Grenzwerte für Luftverschmutzung anhebt, anstatt sie zu senken, nennt man „Clear Skies Act“. Ein Gesetz, das BürgerInnenrechte außer Kraft setzt, nennt man „Homeland Security Act“. Oder eben „a doctor for every family“ statt das vage „universal health care“, wie Drew Westen vorschlägt. Aktuelles Beispiel aus Österreich: Der „Pflegeregress“, den die Kärntner SPÖ abschaffen will, ist ein Unwort – darunter können sich maximal Betroffene etwas vorstellen. Ein „Generationenvertrag neu“, in dessen Rahmen die „SeniorInnen-Strafsteuer“ abgeschafft wird, wäre naheliegend.
Stick to the message. Und wenn die politischen Botschaften ausgetestet und auf die Referenzrahmen der WählerInnen abgestimmt sind, gilt Regel Nummer eins für alle politischen Kampagnen: Stick to the message. Eine Botschaft ist erst dann bei den WählerInnen angekommen, wenn sie die PolitikerInnen und deren MitarbeiterInnen nicht mehr hören können. „Change you can believe in“ glauben Menschen mit jedem Mal, das sie die Phrase gehört haben, mehr.
Ist das alles Propaganda? NLP? Sollte es nicht eigentlich um Inhalte gehen, statt um die Verpackung? Drew Westen schreibt, er bekommt für den gleichen Inhalt – eine Pro-Choice-Position – im tief konservativen US-Bundesstaat Georgia je nach Formulierung von 30 bis 65% Zustimmung. Es geht also nicht darum, Ansprüche aufzugeben – sondern darum, progressive Politik richtig zu formulieren, damit sie mehrheitsfähig ist.