Zwei Wochen vor Ort: Von meiner grundsätzlichen Solidarität mit dem Staat, den die Juden und Jüdinnen geschaffen haben, bin ich nicht abgekommen. Angesichts der Bedrohungsszenarien rundum kann man für die Existenz eines israelischen Staats eben nur ganz oder gar nicht sein. Und von rundum, von Ahmadinejad und Assad, von Hamas und Hisbollah, höre ich nur „gar nicht“.
Was nicht heißt, dass alles eitel Wonne ist in dem Land, das ich gesehen habe. Es ist nicht alles schwarz oder weiß, zwischen dem Ballermann Eilat und der Technologiemetropole Haifa, zwischen Arafats Ramallah und der Wüstenstadt Beer Sheva. 300.000 SiedlerInnen leben außerhalb der Grenzen von 1949. Manche davon in Kleinstädten in davor unbesiedeltem Land wie im 30.000 EinwohnerInnen starken Maale Adumim östlich von Jerusalem, manche zu wenigen hunderten mitten in palästinensischen Städten wie Hebron. Tendenziell würd ich sagen: Dass tausende SoldatInnen radikale SiedlerInnen schützen, die sich mitten in palästinensischen Städten auf das biblische Recht der JüdInnen auf Galiläa berufen, ist nicht zu rechtfertigen. Aber dass unbesiedeltes Land erschlossen wird, solange niemand vertrieben wird, ist zu rechtfertigen. So ganz einfach ist das halt nicht in Israel: Die Politik hat ihre erstaunlichsten Wendungen hinter sich – vom völligen Rückzug aus dem Gaza-Streifen unter einem rechten Ministerpräsidenten bis zur Beteiligung der linken Arbeiterpartei unter Ehud Barak an der aktuellen Rechtskoalition. Es ist alles ein bißchen zu kompliziert für einfache Lösungen.
Und dann gibt’s neben 45minütigen Grenzkontrollen auf der Busfahrt von Ramallah nach Jerusalem und einem dreistündigen Kontroll-Marathon vor der Abreise vom Flughafen Ben Gurion eben auch noch Dinge, die augenscheinlich funktionieren. Im interkulturellen Alltag nämlich: Die vielbeschworene enorme Militärpräsenz der Israelis in Ostjerusalem – dort, wo die jüdische Klagemauer, die christliche Grabeskirche und die muslimische Al-Aqsa-Moschee einen sprichwörtlichen Steinwurf voneinander entfernt sind – entpuppt sich an normalen Tagen als Märchen. Man kann auch schon einmal 20 Minuten kreuz und quer durch die engen Altstadtgassen spazieren, ohne einer einzigen Patrouille zu begegnen. Am Weg trifft man orthodoxe Juden, die muslimische Straßenhändler auf arabisch nach der Uhrzeit fragen und muslimische Restaurantbesitzer, die auf hebräisch ihre Köstlichkeiten anpreisen oder auf englisch den Weg zu den christlichen Heiligtümern am Ölberg erklären. An der Klagemauer werfen kleine Buben mit Schläfenlocken hinter einem Balkon versteckt mit Grasballen nach einem Rabbi und amüsieren sich auf jiddisch köstlich über ihren Streich. Und am Hotspot der armenischen Community in der Altstadt ist ein dicker Afrikaner genauso vertrauter Gast in einer Pizzeria, wie eine alte russische Frau, die ohne Hilfe ihrer Familie die steilen Alstadtstiegen nicht mehr bewältigen kann. Bei den allermeisten Menschen in Israel, die keine Kippa, ein großes Kreuz am Hals oder ein Kopftuch tragen, erkennt man sowieso nicht, ob sie JüdInnen, MuslimInnen, ChristInnen, Bahai oder ganz etwas anderes sind.
Manchmal ist der Pathos der israelischen Geschichtsschreibung kaum zu ertragen. Das merkt man an Denkmälern, bei Führungen und in Gedenkstätten. Vor allem der Brückenschlag zur aktuellen Politik greift manchmal zu weit: Nein, die Shoah rechtfertigt nicht jede einzelne militärische Aktion des Militärs von Dschenin bis nach Gaza. Aber nach einem Besuch in Yad Vashem ist mir nach vier Tagen in der durchgeknallten Crazytown Jerusalem eines wieder klarer: Zur grundsätzlichen Solidarität mit Israel und seiner Politik kommt eine bedingungslose Solidarität mit der Existenz dieses Schmelztiegels der Kulturen, wo die Juden und Jüdinnen zusammengekommen sind, nachdem sie über die ganze Welt zerstreut worden sind und ihre penibel geplante Vernichtung bevorstand. Israel ist nicht nur ein Land, über dessen konkrete Politik sich mit guten Argumenten streiten lässt. Es ist eben auch der Beweis dafür, dass die Nazis nicht gewonnen haben.
bisher in meinem Israel-Thread: Crazytown
hier gibt’s den Bericht von meiner Reisegenossin Lore, die Freitagnachmittag die Via Dolorosa mit 300 ChristInnen abmarschiert ist.
demnächst bei mir: Die Radikalen
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