Was im 10 Mal so großen Nachbarland passiert, hat immer auch Einfluss auf die österreichische Politik. Einmal, weil geänderte Rahmenbedingungen beim größten Handelspartner manifeste Konsequenzen haben. Und einmal, weil in Deutschland mit einer Regierung ohne die konservative Großpartei auch der Horizont gezeigt wird, was in so einem Bündnis möglich wäre – auch wenn die FDP in vielen Fragen auch nur eine CDU mit weniger Bauch und teurerem Anzug ist.
Was kommt also, woran sich Österreich ein Vorbild nehmen oder eine Abgrenzung vornehmen wollen wird?
* Klima/Umwelt: hier ist noch viel Spielraum für Verhandlungen, aber beide kleineren Partner haben im 12-seitigen Sondierungspapier symbolische Zugeständnisse bekommen. Grüne freuen sich über früheren Kohleausstieg (2030), Liberale über weiter kein Tempolimit auf den Autobahnen.
Arbeitsmarkt/Soziales: Hier ist die SPD-Handschrift massiv – und ein Hinweis auf einen gänzlich anderen Kurs als in Ö. Statt wie in Ö in Steuerboni zu investieren, die nur dem obersten Drittel helfen, soll Deutschland einen Mindestlohn von 12€/Stunde statt der geltenden 9,50€ bekommen. Das war und ist Kanzlerkandidat Scholz erstes Anliegen. Und das unterscheidet ihn in der Richtung fundamental vom letzten SPD-Kanzler und vom aktuellen ÖVP-Kanzler, deren erstes Anliegen die Verschärfung des Arbeitsmarkts war/ist.
Ein höherer Mindestlohn in Deutschland hat natürlich auch Effekte auf den Ö Arbeitsmarkt: die gastronomische Reservearmee wird kleiner, der Ö Tourismus wird sich überlegen müssen, ob nicht doch an der Lohnschraube statt via ÖVP an der Zwangsschraube gedreht werden muss. Denn auch da sieht das Ampel-Sondierungspapier mit dem Bürgergeld eine leichte Entschärfung vor: Arbeitslose Menschen sollen mehr dazuverdienen dürfen, sie sollen ein höheres Schonvermögen haben und später von der besseren 1. in die schlechtere 2. Stufe des Arbeitslosengelds fallen. Auch hier will die ÖVP in Ö genau das Gegenteil und hat dafür schon zwei Minister und den Kanzler die mediale Stimmung aufbereiten geschickt.
* Zusammenleben: Deutschland deklariert sich im Ampel-Sondierungspapier als Einwanderungsland, das ein modernisiertes StaatsbürgerInnenschaftsrecht braucht. Für gut integrierte ZuwandererInnen soll schneller ein fixer Aufenthaltsstatus möglich sein. Das steht fundamental quer zur österr Diskussion, in der schon wieder die nächste Flüchtlings“welle“ von jenen skizziert wird, die daraus politisches Kleingeld machen wollen. Asylverfahren und Familienzusammenführungen sollen beschleunigt und legale Wege zur Einwanderung gestärkt werden – auch dazu gibt es in Ö nicht einmal Bekenntnisse, geschweige denn Aktivitäten.
Das 12seitige Papier hat natürlich noch viel mehr Inhalt.
Aber an diesen 3 Themenfeldern lassen sich Ähnlichkeiten (Klimapolitik schwierig, solange Konservative oder Liberale mitverhandeln) und scharfe Trennlinien (zB Arbeitsmarkt- und Einwanderungspolitik) feststellen. Die österr Diskussion über eine politische Neuausrichtung nach Kurz wird nicht losgelöst von der deutschen Debatte stattfinden. Aber die zukünftige deutsche Kanzlerpartei hat gezeigt, dass man mit klassisch sozialdemokratischen Themen (und ohne laute symbolische Zugeständnisse an Rechte) Wahlen gewinnen kann und arbeitet an deren Umsetzung. Auch das könnte ein Learning für Österreich sein.