Ein Spaziergang durch die Innsbrucker Innenstadt. Ich hab sie endlich gefunden, die islamistische Bedrohung. So viele Kopftücher wie noch nie in dieser Stadt auf einem Haufen, ungeniert, in aller Öffentlichkeit. Sie stellen ihre Religion offen zur Schau. Eine Machtdemonstration des politischen Islam. Die Fundamentalistinnen mit kleinem i, ihrer eigenen Unterdrückung nicht gewahr, bedrohen unsere Wertordnung. Nicht mehr nur in Favoriten, im Neustadtviertel, in Gries, in Lehen und im Olympischen Dorf, nein: Sie sind mitten in der Tiroler Landeshauptstadt angekommen. Dort, wo die TouristInnen sich im christlichen Europa wähnen, wimmelt es geradezu vor Kopftüchern. Und von Frauen, darunter, versteckt.
Es ist kurz nach 18 Uhr, die Geschäftslokale haben gerade geschlossen. Es brennt noch Licht: Denn irgendwer muss ihn ja wegmachen, den Dreck, den die Laufkundschaft in den frequentierten Modehäusern, Unterwäschegeschäften und Multimedia-Ketten gemacht hat. Es sind die Kopftuch-Jobs. Man könnte glauben, hier gilt der Slogan „willst du ein Geschäft hier putzen, musst du nur ein Kopftuch nutzen.“ Sie mögen Slavica, Leyla und Merve heißen, die Frauen, die dafür sorgen, dass die Läden um 8 Uhr in der Früh wieder aussehen, wie am Vortag um 8 Uhr in der Früh. Das Dienstleistungs-Proletariat, das sich mit Putz-Jobs durchs Leben schlägt, kommt aus der zweiten EinwandererInnen-Generation. Es ist einer dieser Jobs, für die man die deutsche Sprache nicht sprechen können muss. Es ist einer dieser Jobs, die ganz unten auf der sozialen Skala stehen, was Anerkennung betrifft: Wenig Geld, keine Aufstiegsmöglichkeiten. Putzen kann ja eh jede Trottelin, der es nicht zu blöd ist.
Das Stiegenhaus in meinem Miethaus putzt eine Frau, die älter aussieht, als meine Oma. Die ist 91. Die bosnische Serbin in meinem Stiegenhaus ist erst 62. Schmerzhaft sieht es aus, wenn sie sich zum Stufen wischen bückt. Ich hab sie gefragt, ob ihr das nicht schwerfällt, ob sie keine Arbeit machen kann, die ihren Körper nicht noch weiter schindet, als er offensichtlich schon geschunden ist. Sie hat keine Ausbildung, sie ist zu alt, hat sie geantwortet. Und ihr Mann ist krank, sie muss seine Medikamente bezahlen. Gepflegt wird der kranke Mann von der Schwiegertochter, während die Frau in meinem Stiegenhaus putzen geht. Die Geschichte der Frau wird sich also wiederholen, wird um ein Eck vererbt. Sie hat „nur“ zwei Putzjobs. Viele andere haben drei, vier oder mehr, erklärt sie mir. Auch sie trägt ein Kopftuch – Berufsuniform, sozusagen. Da packt mich dann doch die Wut über den herrschenden Diskurs über MigrantInnen in diesem Land. Die Kopftuch-Frauen wahren die Illusion, dass in diesem Land alles sauber ist. Und dafür, dass sie unseren Dreck zu Schandlöhnen wegmachen, dürfen sie sich dann auch noch beschimpfen lassen: Als Sozialschmarotzerinnen, als Unintegrierbare, als Nichtemanzipierte. Das wird ihnen nicht gerecht. Es ist eine Schande.