achtung, lemminge oder: kein lesetipp

Da haben die deutschen Bekannten aber gestaunt, als der letzte Bundeskanzler des Landes und der prominenteste TV-Politologe sich im gesteckt vollen Kinosaal gegenübersaßen, um einleitende Worte zum Film „The return of the war room“ zu sprechen. Denn die beiden haben sich verhalten, wie Profis, sondern wie zwei alte Haberer, die sich für ein Plauscherl treffen und davon schwärmen, als alles noch schöner war. Als noch nicht der eine von seiner Partei und der andere eine Zeit lang von der ORF-Führung aus dem Fernsehen hinausgeschmissen worden war. Der Plausch war antiaufklärerisch im besten Sinn: Gusi konnte minutenlang davon schwadronieren, dass ihn im Frühjahr 2008 die Ablöse durch Faymann nicht gestört habe, weil er eh besseres zu tun gehabt habe, als Wahl zu kämpfen: Nämlich Europa zu retten mit einem Paket, dass er quasi im Alleingang mit Schröder geschnürt habe. Der war zwar damals schon weg – aber das ist dem Politologen an Gusis Seite nicht weiter aufgefallen. Man kann ja nicht alles wissen.

Und jetzt hat Filzmaier ein Buch geschrieben, eine Anleitung zum Österreich retten, sozusagen. „Der Zug der Lemminge“ heißt das Werk. Ich sag’s gleich: Ich hab mich noch nicht fertig durchgekämpft. Aber zur Halbzeit kann ich mit Gewissheit sagen: Finger weg davon. Denn was der Politologe als Analyse ankündigt, als ein Heranwagen an „gesellschaftliche Problemfelder“, ist zum größten Teil Nabelschau üblicher Filzmaier’scher Halblustigkeiten kombiniert mit den üblich invaliden Umfragedaten befreundeter Meinungsforschungsinstitute.

Im Ernst: Wenn die Analyse der politischen Beliebigkeit und der Offenheit nach ganz rechts nicht viel mehr bietet, als Passagen wie „Wenn ich heute mit 50 oder 60 Personen Bus oder Bahn gefahren bin und überlebt habe, darf ich mir gratulieren. Nein, es geht nicht um Verkehrsunfälle oder den Körpergeruch im Wageninneren als große Gefahr. Aus statistischer Sicht war ich auf engstem Raum mit fünf bis sechs Möchtegern-Mördern.“ Ich mein Körpergeruch, what the fuck? Oder wenn sich das Web 2.0 „vor allem für Blockwartnaturen“ eignet und dem Politologen als einzig zitables Beispiel für seine Nutzung http://www.rottenneighbor.com einfällt, was soll das? Oder Feminismus: „Hierzulande leben tausende Männer, welche das weibliche Geschlecht am allerliebsten an der heimischen Kochstelle verorten. Vorzugsweise nackt.“ Das ist weder deutsch, noch witzig.

Der Herr, der gefordert hat, Schafherden in den Grazer Stadtpark zu treiben, damit sich die Ausländer nicht an Mädchen vergehen, war nicht irgendein „Mitstreiter“ von Susanne Winter, sondern ihr Sohn. Ulrike Ypsilanti heißt übrigens Andrea Ypsilanti. Aber bei dem sonstigen Sermon ist das auch schon wurscht. Warum mich das so ärgert? Weil es eigentlich gut ist, wenn  PolitkwissenschafterInnen ihre Meinung nicht an der Eingangstür zu den Unis abgeben. Und weil es eine doppelt vertane Chance ist, wenn der prominenteste Vertreter des Fachs sich erstens als Politiker-Haberer und zweitens als schlamperter Recherchierer und als schlechter Analytiker herausstellt, der sich nicht merkbar vom Niveau der herrschenden politischen Verhältnisse abhebt.

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