„Ich kenn da jemanden, der dir helfen könnte. Ich frag dir mal bei meinem alten Freund nach, der ist hoher Beamter. Und mit der könnt ich auch noch reden, die hat mit mir studiert. Und in meinem Tennisverein, da gibt’s auch noch jemanden, der dich weiterbringen könnte.“ Wo ist die Grenze zwischen Korruption und ganz normalen, legitimen Hilfestellungen? Was tun, wenn ein befreundeter Architekt was bauen will und ich bin als Politiker entscheidungsbefugt? Für wen darf ich mich nicht zu stark einsetzen, weil mir vorgeworfen werden könnte, ich mache das aufgrund privater Verbindungen und nicht der Sache wegen? Und dieses verlockende Angebot für eine Reise mit einem Unternehmen? Welche meiner Überzeugungen darf ich hergeben, um mitregieren zu können?
Die Grünen sind auch keine besseren Menschen. Das kann ich sagen, weil ich sehr viele kennengelernt habe. Da gibt’s genau, wie überall sonst, Wichtigtuer und Intrigantinnen, Dampfplaudererinnen und Eisenärsche, faule Mandatare und Abgeordnete, die ihre Großmutter für einen politischen Deal verkaufen würden. Grüne sind nicht weniger eitel, machtverliebt, schlagzeilenbesessen und sie sind keine besseren ChefInnen. Je älter wie werden, desto eher wollen sie noch „was werden“ und desto weniger erinnern sie sich daran, was sie eigentlich wollten. Grüne PolitikerInnen schwindeln ab und zu, sie reden hinter dem Rücken schlecht über andere Grüne, sie heucheln manchmal Interesse und sie pflegen ihren Netzwerke genau so fleißig, wie PolitikerInnen anderer Couleurs.
Aber. Die Grünen sind als einzige Partei in diesem Land seit 25 Jahren frei von nennenswerten Korruptionsskandalen. Das ist umso bemerkenswerter, weil sie seit 2003 in Oberösterreich, seit 2005 in Bregenz, seit 2008 in Graz und seit 2010 auch in Wien mitregieren. Woher kommt dieses Alleinstellungsmerkmal, wenn Grüne eigentlich keine besseren Menschen mit höheren moralischen Standards sind?
Ein Blick in die späten 70er-Jahre hilft. Von heute betrachtet ist ja logisch, dass sich Umweltbeschützende, Friedensbewegte und FrauenrechtlerInnen zusammenschlossen und über das Parlament ihren Forderungen mehr Nachdruck verleihen wollten. Damals war das ein schräges Sammelsurium an Menschen, von denen sich viele misstrauten. Und noch viel mehr misstrauten sie der Macht, gegen die sie ankämpften. Wenn Menschen, die sich und den Mächtigen misstrauen, Regeln für ihr Zusammenleben schreiben, kommt meistens was sehr Ausgeklügeltes raus. So wie die amerikanische Verfassung, eine ausgeklügelte Konstruktion von Kontrollmechanismen, damit keine Institution zu viel Macht über eine andere hat. Oder eben wie bei den Grünen ein von Kontrolle geprägtes System wie die Idee einer Basisdemokratie mit Rotationsprinzip und mit dem Anspruch, Entscheidungen im Konsens zu treffen.
Vieles von dem, was die misstrauischen GründerInnen der Grünen in ihre Grundsätze schrieben, ist aufgeweicht worden. Man nannte das dann Professionalisierung oder Vorbereitung auf die Regierungsfähigkeit. Wer für Grüne ein Mandat hat, ist kein besserer Mensch. Aber er oder sie hat eine politische Heimat, in der Transparenz und Kontrolle Grundgesetze sind. Der eine oder die andere Abgeordnete wünscht sich sicher ein bißchen mehr Freiheit und weniger Rechenschaftspflicht gegenüber den Mitgliedern der Partei. Aber die Mitglieder garantieren, dass grüne PolitikerInnen korruptionsfrei sind. Weil sie sonst nämlich abgewählt werden.