
Kamala Harris hat 75.000 Menschen an dem Ort versammelt, wo Trump 20.000 auf den Kongress gehetzt hat: Direkt auf die Fläche zwischen den großen Institutionen der amerikanischen Demokratie, Kapitol hier, Weißes Haus dort, Höchstgericht hüben, Lincoln Memorial drüben. Wer einmal dort war, weiß: Das ist ein besonderer Ort, da ist immer irgendwas in der Luft.
Das örtliche Machtzentrum der Vereinigten Staaten der USA, beliebtes Film- und Serienmotiv, gehasst in weiten Teilen des Landes als korrupter Sumpf, wo sich Lobbyist*innen und Politiker*innen tummeln und sich gegenseitig das Kinn kraulen und das Geld nachschmeißen.
Dort also ist Kamala Harris: Sie will Trump herausfordern, indem sie ein Vielfaches seines Publikums vom 6. Jänner 2021 dort hinbringt. Und sie will ihn natürlich auch zum Reagieren zwingen. Drei Dinge schaden Trump im Wahlfinale: Der Putschversuch vom 6. Jänner. Seine furchtbare Persönlichkeit, die darin zum Ausdruck kommt. Und die Bedrohung der Freiheit durch ihn und seine Gefolgsleute. Darüber soll geredet werden: Und das geht am besten mit einem Mega-Event an dem Ort, von wo der Putschversuch seinen Ausgang nahm.
Kamala Harris braucht jede Stimme, auch wenn sie heute wieder etwas Rückenwind bekommt: Die ersten Briefwahl-Statistiken beginnen zu drehen, weil jetzt auch vermehrt in jenen Staaten, wo sie hinten liegt, mehr Wahlkarten von Demokrat*innen ankommen. Und die allerletzten Umfragen haben neben vielen 50/50s doch auch ein paar gute Zahlen für Harris. Am stärksten: CNN hat für das knappe Rennen enorme Abstände in zwei der drei Bundesstaaten der Blue Wall, Wisconsin und Michigan: 5 und 6% Vorsprung soll Harris dort haben.
Kippt das Unentschieden in Pennsylvania in der gleichen Umfrage zu Harris, dann ist sie Präsidentin. Denn das einzige Puzzleteil, das dann noch auf 270 Stimmen fehlt, ist der 2. Kongressbezirk von Nebraska – und da führt sie noch deutlicher. Dann könnte sich auch kein republikanischer Gouverneur mehr mit einer Verzögerungstaktik zwischen Harris und die 270 werfen: Denn alle drei Staaten der Blue Wall haben mit Tony Evers, Gretchen Whitmer und Josh Shapiro demokratische Gouverneur*innen.
Tricksen und Schmutzen werden die Republicans trotzdem, den Supreme Court verwenden, Aufruhr auf der Straße zu erzeugen versuchen. Aber wenn die Blue Wall hält und Nebraska-02, dann ist das die sicherste Variante für Harris. Sie scheint greifbar.
Fix ist das natürlich überhaupt nicht, auch wenn sich heute nach George W. Bushs Tochter noch Arnold Schwarzenegger in die Reihe der republikanischen Wahlempfehlungen für Harris eingereiht hat. Ich hab die Chancen wegen der Fundamentals, der eigentlich guten Themenlage für Democrats wegen Trumps katastrophalem Höchstgericht und dessen Entscheidungen und wegen seiner immer faschistoideren Persönlichkeit, immer für 80:20 Harris gehalten. Ich glaube das immer noch – heute vielleicht noch ein Stück besser begründbar als gestern.
Aber das kann – so ehrlich muss man auch sein – morgen schon wieder anders sein.