
Es ist immer noch keinen Monat her, dass Donald Trump bei einem Auftritt angeschossen wurde und sich die halbe internationale Journalist*innenszene einig war: Das war’s. Es ist entschieden. Trump wird wieder Präsident.
Keinen Monat später liegt Trump gegen das demokratische Ticket in den drei Swing States des Mittleren Westens, mit deren Hilfe Joe Biden ins Weiße Haus eingezogen war, jeweils 4% zurück. Das demokratische Ticket ist neu, das von Donald Trump ist alt und durch seinen Vize nicht attraktiver geworden. JD Vance lockt niemanden von der Couch, der/die nicht davor schon von Trump begeistert war. Harris Vize-Kandidat Tim Walz dagegen signalisiert jedenfalls den Wunsch der demokratischen Kampagne, die Zielgruppen zu erweitern und nicht-klassisch-demokratische Wähler*innen anzusprechen.
Die zwei großen, renommierten Analyse-Institute, die nicht nur mit Umfragen, sondern auch mit Modellen mit mehreren zusätzlichen Faktoren – Parteiregistrierungen, Spendenhöhe, vorherige Wahlergebnisse, Kandidat*innen-Beliebtheit und noch mehr – arbeiten, haben die drei anderen Swing States zu Gunsten von Harris und Walz umgestellt: Arizona, Nevada und Georgia sind aus der Kategorie „neigen zu Trump“ in die Kategorie „Unentschieden“ zurückgestuft worden.
Das Momentum für Harris und Walz ist real, das ist nicht nur an Umfragen messbar. Keine Veranstaltung mehr mit weniger als 10.000 Zuseher*innen, in Glendale/Arizona waren es gestern mit fast 20.000 die meisten, die je ein*e Demokrat*in in Arizona mobilisieren konnte. Jetzt stellt sich die Frage: Geht das so weiter? Ist das Ding entschieden? Und was macht Trump?
Trump macht das, was er schon mit Hillary Clinton erfolgreich gemacht hat und woran er bei Biden gescheitert ist. Wissend, dass er einen Plafond von 46-47% hat und keine Mehrheit bekommt, muss er die demokratischen Kandidat*innen diskreditieren, damit sie auch weniger Stimmen bekommen. Trump muss gar nicht gewinnen: Wegen des Wahlsystems reicht ihm eine Niederlage mit 2% US-weit wahrscheinlich trotzdem für den Einzug ins Weiße Haus.
Also schmeißt Trump mit Dreck, nennt Harris zu dumm für eine Pressekonferenz, eigentlich auch zu dumm für die Anwältin*innenprüfung und erzählt, „sie“ hätten Joe Biden herausgenommen und der sitze jetzt traurig daheim und schreie den Fernseher an. Das offensichtliche Ziel: Trump ist bekannt, über den erfährt niemand mehr was Neues, die Lager sind da recht festgefahren. Harris ist gerade im Honeymoon mit der Öffentlichkeit und geht momentan in Richtung oder über 50%, sie hat außerdem nach wie vor ein positives Saldo bei der Ablehnungs-/Zustimmungsrate, was eine absolute Ausnahme unter bundesweiten Spitzenpolitiker*innen ist. Das muss aus Trumps Sicht weg: Bleibt Harris netto-positiv, dann wird sie schwer zu schlagen sein.
Wir haben Zweifel an ihrer Hautfarbe gehört, dass niemand wisse, wie man ihren Namen eigentlich ausspreche, aus Trumps Umfeld wird die Legende gestreut, Harris sei nicht in den USA geboren und deswegen eigentlich gar nicht berechtigt, zu kandidieren. Der Rückzug Bidens wird als Coup bezeichnet, der vielleicht verfassungswidrig sei und von dunklen Mächten gesteuert. Es ist das gesamte Gruselkabinett an Lügen und Verschwörungstheorien, das Trump schon jetzt, 88 Tage vor der Wahl, herausholt.
Das wird mehr, das wird schlimmer, weil (nur) so funktioniert Trump: Immer noch ein Schauferl drauf legen, damit die Öffentlichkeit immer was Neues zu schreiben hat, aber sich gleichzeitig in kleinen Schritten daran gewöhnen kann, dass das Unsagbare, das Trump sagt, ja eigentlich eh ganz normal sei. Trump hat mit dieser Strategie 2016 gewonnen. Es ist 2024 schwieriger für ihn, weil viele seiner konkreten politischen Vorschläge sehr unpopulär sind. Aber es ist noch lange nicht vorbei.
A week is a lifetime in politics – deshalb ist keinen Monat nach dem Attentat und dem schon attestierten Wahlsieg Trumps, statt dessen seine Mitbewerberin in Führung. In einem Monat kann alles drehen: Und es sind noch drei Monate bis zur Wahl.