
Viel wichtiger als was gesagt wird ist ja, wie es gesagt wird. Wie schauen die Leute aus, wenn sie das sagen. Wie ist die Stimmung bei denen, die zuhören? Tragen die das, was sie da hören, weiter? Motiviert sie das, sich zu engagieren? Nun: Die Herausforderung könnte nicht größer sein, die Aufgabe nicht wichtiger, als eine zweite Amtszeit von Donald Trump zu verhindern und eine erste Amtszeit von JD Vance, wenn Trump nicht vier Jahre amtsfähig bleiben sollte.
Man kann über den heutigen Auftritt von Vizepräsidentin Harris und ihrem heute ausgewählten Vizepräsidentschaftskandidaten Tim Walz vor 12.000 Zuseher*innen in Philadelphia also eine Textanalyse laufen lassen: Harris hält ihre Standard-Rede und an den Stellen, wo Walz Agenda als Gouverneur oder biographische Eckpunkte hineinpassen, werden sie hineingeflochten. Walz erzählt seine Geschichte vom Bauernhof der Familie über die Nationalgarde bis in den Kongress und zum Gouverneurssitz von Minnesota.
Aber wichtiger als der Text ist: Zwei Politiker*innen, die am Wahltag beide 60 Jahre alt sein werden, füllen eine Arena mit Freude, mit Lachen und mit Energie. Walz darf sogar einen Witz über die Gerüchte machen, sein republikanisches Gegenüber JD Vance habe Sex mit einer Couch gehabt. Sie wollen die unter 40-jährigen, die Generation ihrer Kinder gewinnen. Zwei Boomer treiben die Millenials und die Gen Z an – das geht auch nur, wenn dein Gegenüber Donald Trump ist.
Atmosphärisch loben Harris und Walz einander, lachen miteinander, schütten Komplimente und Freundschaftsbekundungen über dem bis heute Früh noch im Rennen gewesenen Gouverneur und Gastgeber Shapiro aus, Walz war mit ihm bei einem Springsteen-Konzert in New Jersey – eine Seitenbemerkung, mit der er suggerieren will: Die Demokrat*innen sind jetzt alle miteinander befreundet, sogar wenn sie bis heute früh Konkurrenten um den begehrtesten Job der Partei waren.
Tim Walz interessantestes biographisches Detail aus Sicht der Kampagne ist seine Tätigkeit als Football-Coach. Harris nennt ihn mehrmals „Coach Walz“, sie malt blumige Bilder um diese Rolle. Und es ist kulturell tatsächlich gut für eine Kandidatin, der man abgehobene Küsten-Mentalität vorzuwerfen versucht, einen Coach aus dem Heartland, aus Middle America, an ihrer Seite zu haben. Davon werden wir ebenso mehr sehen, wie von Walz Zeit bei der Nationalgarde, für die er sich mit 17 freiwillig gemeldet hat. Das impft Harris Kandidatur gegen einen Großteil der kulturellen Attacken.
Was bleibt also vom ersten gemeinsamen Auftritt?
Erstens: Ein versteckter Nebensatz, auf den ein Teil der Kampagne aufgebaut werden wird: Walz erzählt, seine Frau und er hätten jahrelang auf ein Kind gewartet – und als die künstliche Befruchtung schließlich nach langem Warten erfolgreich war, nennen sie ihre heute 23-jährige Tochter Hope. Wir werden noch mehr von Hope hören: Denn dass nach dem Schwangerschaftsabbruch auch künstliche Befruchtung, Verhütung und sexuelle Selbstbestimmung im Allgemeinen auf der Angriffsliste der Republikaner*innen stehen, das ist ebenso klar wie unpopulär.
Zweitens: Das Wichtigste hat Walz am Anfang gesagt, sein erster Satz auf der Bühne ist, mit Blick zu Harris: „Thank you for bringing the joy back.“ Das ist die Energie, die die Demokrat*innen brauchen, um ein Rennen gewinnen zu können, das bis zur Wahl im November sehr knapp sein wird.