der salzburger zaubertrank

Ich glaube, die Salzburger Wahlanalyse von Erich Neuwirth sollte unseren Blick auf die österreichische Nationalratswahl am 29. September grundlegend ändern: Denn was der renommierte Statistiker über Salzburger Sprengelergebnisse der Gemeinderats- und Bürgermeister*innenwahl herausgefunden hat, das stellt die Logik der österreichischen Politik auf den Kopf.

Einige Glaubenssätze der politischen Kaste und der Berater*innen und Fernseh- und Zeitungspolitolog*innen, werden durch die Wähler*innenströme aus Salzburg erschüttert. Widerlegen kann man Neuwirths empirische Erkenntnisse nicht: weil kein Medium leistet sich für stunden-, seiten- und tagelange Analysen empirische Evidenz. Es ist billiger und einfacher erklärbar, die seit 25 Jahren immer gleichen Klischees über die österreichischen Wähler*innen zu wälzen. Und auch keine Uni des Landes schaut sich bei der Wahlforschung das Offensichtliche an. Talking about lebensnahe empirische Forschung: es wäre so einfach. Aber egal.

Folgende Thesen kann man spätestens nach Neuwirths Analyse kübeln:

Der Nichtwähler und die Nichtwählerin, das unbekehrbare Wesen: Man bringe die Nichtwähler*innen halt nicht zu den Urnen, auch wenn sie 30, 40, 50 und mehr Prozent der Stimmen hätten. In Salzburg haben 7% der Nichtwähler*innen von der letzten Gemeinderatswahl neu gewählt. Und 85% dieser Nicht-mehr-Nichtwähler*innen, also 6% von allen ehemaligen Nichtwähler*innen von 2019, haben dieses Mal KPÖ gewählt. Das sind bisher unbekannte Größenordnungen: es haben mehr Nichtwähler*innen von 2019 dieses Mal KPÖ gewählt, als Grünwähler*innen von 2019 dieses Mal wieder Grün. Das ist eine mehrheitsverschiebende Masse an über 4.000 Menschen in Salzburg – bei weniger als 50.000 Wähler*innen am Wahltag.

Es gibt eine unverschiebbare strukturelle rechte Mehrheit in Österreich: das war schon länger falsch – man möge bei Franz Voves, Gabi Burgstaller, Peter Kaiser und Elke Kahr nachschlagen: sie alle haben rechte Mehrheiten durch Mehrheiten links der Mitte abgelöst. Aber die tausenden neuen Wähler*innen in einer sehr überschaubaren Stadt wie Salzburg, sagen auch: vergesst eure Thesen über fixe Mehrheiten. Schwarz-Blau hat 50 und ein paar wenige Prozent, mit wenigen Ausnahmen nie mehr bei Wahlen. Wenn jemand bundesweit 6% der bisherigen Nichtwähler*innen auf seine Seite bringt, dann verschiebt das mehr, als der gewöhnliche Abstand zwischen Blau-Schwarz und dem Rest ist.

Die Lagergrenzen sind starr: Laut Neuwirths unwidersprochenen empirischen Analysen ist auch das ein Topfen: etwa gleich viele Nichtwähler*innen, wie dieses Mal KPÖ gewählt haben, über 4.000, eine hohe einstellige Prozentzahl aller Wähler*innen (!) sind von der ÖVP zu SPÖ, Grünen und KPÖ gegangen – also über den vermeintlichen großen Graben. Die Wähler*innen sind komplexer als die meisten Fernseh- und Zeitungsanalysen es zu erläutern erlauben. Vieles davon ist auch irrational – oft entgegen eigene Interessen etc. Aber eines ist es jedenfalls nicht: starre Lagergrenzen zwischen Schwarz-Blau und dem bunten Rest mit 50+% für erster und 50-% für die anderen: das ist eine Fantasie, vielleicht auftragsbedingt auch ein Wunsch vieler sogenannter Expert*innen.

Der Herbst 2024 ist eine Wundertüte: Platz 1 ist offen, die Mehrheit ist es auch. Für den Moment muss man bei der Salzburger KPÖ schauen, die 85% aller neuen Wähler*innen bekommen hat. Und die ist niederschwellig, ohne Glanz und Glamour, nicht part of the Politgame, auf der Seite der Vielen und ohne die üblichen Statussymbole der Classe Politique. For the many, not the few. So geht das.

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