wo die bruchlinie ist

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Es gibt einige Versprechen, die die Politik in westlichen Demokratien ihren Bürgerinnen und Bürgern gegeben hat: Wer fleißig arbeitet, soll sich etwas leisten können – einen schönen Urlaub, ein gutes Auto, einen Schrebergarten, eine ausreichende Pension. Es herrscht relativer sozialer Frieden. Niemand muss sich darum sorgen, wie etwas Essbares auf den Tisch kommt. Wir sorgen dafür, dass der Lebensstandard kontinuierlich steigt. Sozialer Aufstieg ist möglich. Euren Kindern wird es besser gehen, als euch selbst.

Diese Versprechen sind aufgelöst: Wer fleißig arbeitet, verdient am zweiten und dritten Arbeitsmarkt so wenig, dass der Staat auf die Mindestsicherung „aufstocken“ muss. In Deutschland betrifft das 4,3 Mio. Menschen. Ja, Millionen. Ein Haus oder eine Eigentumswohnung? Ohne großes Erbe nicht zu schaffen. 280.000 Kinder in Österreich leben in Armutsgefährdung oder manifester Armut – das heißt, dass die Eltern sich eine Waschmaschinenreparatur sprichwörtlich vom Mund absparen müssen.

Solange die Politik der ’10er-Jahre an den Ansprüchen der ’70er-Jahre gemessen wird, muss sie scheitern. Und deshalb muss der Rahmen neu formuliert werden: Es gibt kein Zurück zu hochgezogenen Grenzen. Es gibt kein Zurück zum moralischen Diktat der Amtskirchen. Es gibt kein Zurück zum Schilling. Es gibt kein Zurück zur abgeschottenen Gesellschaft der weißen Fabriksarbeiter mit Frauen und Kindern in der günstigen Gemeindewohnung. Es gibt kein Zurück zur Beamtenpension nach 35 Dienstjahren.

Aber die gute Nachricht ist: Es ist genug für alle da. Wir sehen es daran, dass wir 10 Milliarden Menschen ernähren könnten, wenn die Ressourcen fairer verteilt werden. Wir sehen es daran, welch schwindelerregende Summen die öffentliche Hand für Repräsentation, für Korruption, für Waffenlieferungen, für die Subvention von Atomstrom und für allerlei anderen Unsinn zur Verfügung hat. Wir müssen diese Ressourcen „nur“ anders verteilen. Und das Ausverhandeln eines neuen Gesellschaftsvertrags in einer globalisierten Welt läuft nicht zwischen Ländern, zwischen Religionen oder zwischen sogenannten Ethnien. Sondern zwischen Arm und Reich.

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Ein Postskriptum zu Griechenland, in diesen Tagen: Das Vergesellschaften der Verluste und das Privatisieren der Gewinne ist kein neuer Effekt – das ist dem freien Markt immanent. Das Vergesellschaften der Verluste im griechischen Fall zeigt dramatisch auf, wie undemokratisch unsere westlichen Demokratien werden, wenn es um bedrohte Reichtümer des reichsten einen Prozents der Bevölkerung geht. Da ist dann von erzieherischen Effekten die Rede und davon, dass die anderen bösen Kinder auch unartig werden, wenn man den GriechInnen einen Teil ihrer Schulden erlässt (und damit aufhört, die rasant ansteigende Kindersterblichkeit, Suizidrate und Delogierungen in Kauf zu nehmen).

Und dann hörst du im Radio, dass an den Märkten keine gröberen Turbulenzen im Fall eines Ausstiegs Griechenlands aus der Währungsunion befürchtet werden, weil ohnehin fast nur mehr öffentliche Gläubiger übrig sind – also Staaten oder staatsnahe Einrichtungen: Die Europäische Zentralbank, die Europäische Union, ausländische Staatsfonds, der internationale Währungsfonds, die Nationalbanken der Währungsunion. Man muss sich das wirklich auf der Zunge zergehen lassen: Es läge in der Hand von demokratisch kontrollierten Organen, einen Schuldenschnitt zu machen und das Elend in Griechenland zu beenden. Statt dessen bricht unter dem Sparzwang das Sozialsystem zusammen, die Krankenversicherungen funktionieren nicht mehr, die sicher geglaubten Pensionen lösen sich in Luft auf, von einem Urlaub oder von einem neuen Auto ganz zu schweigen.

Wenn der Würgegriff der reiche Nordländer und ihrer nimmersatten Banken nicht aufhört, könnte Griechenland der erste Fall sein, wo sich das, was ich im ersten Absatz beschrieben habe – Fortschritt und soziale Verbesserungen als Grundversprechen – ins Gegenteil verkehrt. Wo nicht mehr nur in Frage steht, ob das Versprechen hält, sondern wo es aktiv und nachhaltig gebrochen wird. Wo die Lebenserwartung zurück geht, wo die Menschen ärmer werden, wo weniger Bildung für die breite Bevölkerung angeboten wird und wo die Flexibilisierung der Arbeitswelt wieder eine 50-Stunden-Woche bringt. Der Ausstieg aus dieser Abwärtsspirale heißt Schuldenschnitt und Neustart für Griechenland. Das ist nicht unmöglich bei einer Volkswirtschaft von Brandenburg und Berlin oder von Nieder- und Oberösterreich zusammen. Und es geht: Denn es ist genug für alle da.

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